Erfurt. Mit „Rheingold“ beginnt der Erfurter „Ring“. Niemand weiß, ob er endet

So schön, so grausig geht nirgends die Welt unter. Vom ersten Augenblick an zieht die Bühne in ihren Bann, dieses archaische „Rheingold“-Ambiente erzeugt eine magische Faszination fürs Apokalyptische. Das Erfurter Theater wagt Wagners „Ring des Nibelungen“, und wenn dieses umstrittene Unterfangen nicht schon mit dem ersten Teil, dem Vorabend der Tetralogie, scheitert, wäre dies vornehmlich dem Regieteam um Jürgen R. Weber zu danken. Denn musikalisch überzeugt diese ambitionierte Produktion kaum.

Am Ende, wenn aus dem Orchestergraben die letzten, gleißenden Streicherwogen in den Saal überschwappen, löscht ein barbarisches Blutbad die Szenerie aus. Wotan kennt keine Gnade. Nicht mit Alberich (Máté Sólyom-Nagy), dem er des Rings wegen den ganzen Arm ausgerissen hat, nicht mit dem eigenen Völkchen, ja nicht mal mit sich selbst, wenn er – per Videonahaufnahme en detail zu studieren – sein linkes Auge opfert. Diese Ästhetik des Grauens à la Artaud taugt für Zartbesaitete nicht.

Das Personal scheint einem Horror-Film entsprungen

Solche Elemente des Splatter-Movies machen in Webers filmisch gedachter Inszenierung absolut Sinn, weil sie den unheimlich-heimeligen Eindruck eines Fantasy-Märchens gründlich zerstören. Manche Randfiguren, etwa die Raben Hugin und Mugin, wirken so possierlich, als seien sie der Augsburger Puppenkiste entsprungen. Das übrige Mythen-Personal indes wurde, aus der Nähe betrachtet, so abgefeimt hässlich aus einem Gothic-Panoptikum geschöpft, dass es von seiner rohen Gesinnung zur Kenntlichkeit entstellt scheint. Da haben Maske und Kostümschneiderei Großes geleistet (Kostüme: Tristan Jaspersen).

Donner (Alik Abdukayumov) und Froh (Tristan Blanchet), die beiden lümmelhaften Wichtigtuer, haben sich schon bei anderen Gelegenheiten blutige Fressen geholt, die rotärschigen Muskelpakete Fafner (Kakhaber Shavidze) und Fasolt (Sam Taskinen) funktionieren als brutale Bioroboter, Mime (Ewandro Stenzowski) und Alberich sowie Fricka (Kaja Bildt) wie Zombies und Orks. Nur die kraft ihres Amtes ewig jugendschöne Freia (Laura Nielsen) und Halbgott Loge (Brett Sprague), fast ein gebildeter Gentleman, heben sich von dieser Geisterbahn-Personage ein wenig ab.

Alberich (Máté Sólyom-Nagy) verliert nicht nur den Ring an Wotan. So sinnt er auf Rache.
Alberich (Máté Sólyom-Nagy) verliert nicht nur den Ring an Wotan. So sinnt er auf Rache. © Theater Erfurt | Lutz Edelhoff

Doch Vorsicht: Kinder von Traurigkeit sind sie allesamt nicht. Weber hat diese gierigen, gemeinen, ganovischen – also vorzivilisiert menschlichen – Charaktere keineswegs karikiert, sondern bloß ihre von Wagner angelegte Überzeichnung verdeutlicht. Das birgt sogar Anlässe zu haarsträubender Komik und passt auf jeden Fall in eine vorgeschichtliche Handlung, die Zeiträume von der Erdentstehung bis zur Bronzezeit sinnlich, symbolisch verdichtet.

Video-Projektionen veredeln ein Bühnenbild von enormem Schauwert

Drei fantastisch-fremdartige Schauplätze hat Bühnenbildner Hank Irwin Kittel kreiert: das in seiner Sedimentstruktur subtile Flussbett des Rheines, einen Thing- und Sakralplatz à la Stonehenge sowie rot glühende Bergwerks-Höhlen tief im Erdinneren, also Nibelheim. All das wird durch farbmächtige Video-Projektionen, die Gretchen fan Weber erdacht hat, ins Spektakuläre gesteigert. Da türmen sich Wolken zu Wotans wilder Jagd, rauschen Meteoriten aus dem unwirklich nahen Firmament herab oder nagen sich fahle Würmer durchs Erdreich. Dieses organische Wabern und Weben zeugt ohnmächtiges Unbehagen beim Zuschauen. Denn eine sichere Zuflucht – Walhall, die Burg – bleibt ferne Vision.

Ach, fände diese Webersche Lesart doch eine Entsprechung im Musikalischen! Die meisten, nicht unbedingt Wagner-geübten Ensemblemitglieder und Gäste – fast ausnahmslos Rollendebüts – schlagen sich so engagiert wie tapfer. Aber mehr oder weniger ergeht es ihnen doch wie Loge, der zwar eine feine, präzise Partie singt, dessen hohe Tenorstimme aber viel zu leicht dafür ist. Einzig Albrecht Pesendorfer als Wotan verkörpert herausragendes Wagner-Format.

Vor allem agieren die vereinigten Philharmonischen Orchester aus Erfurt und Gotha-Eisenach zu bemüht und akribisch, als dass ein spannkräftiges, mitreißendes symphonisches Fließen und Strömen entstünde. Dirigent Pedro Halffter entwickelt kaum nachvollziehbare, dynamisch akzentuierte Strukturen. Für „Walküre“, gar „Siegfried“ genügt das gewiss nicht. – Vielleicht hälfe da eine Kooperation mit den Nachbarn in Weimar: So wie bei „Meistersinger“ und „Lanzelot“ könnte man ab 2025/26 nun mit dem „Ring“ verfahren. Falls ihn denn niemand für sich allein beansprucht...

Weitere Vorstellungen: 6., 14. und 19. April, 5., 19. und 29. Mai. www.theater-erfurt.de