#langenichtgehört

Neuauflage von „Who’s next“: Notdurft am Obelisk für den Rock-Olymp

Christian Werner
| Lesedauer: 4 Minuten
The Who (von links): Pete Townshend, Keith Moon, Roger Daltrey und John Entwistle. „Who's next“ hat eines des berühmtesten Albencover, inklusive Urinflecken.

The Who (von links): Pete Townshend, Keith Moon, Roger Daltrey und John Entwistle. „Who's next“ hat eines des berühmtesten Albencover, inklusive Urinflecken.

Foto: Trinifold Archive / Universal Music

Erfurt.  Es sollte wieder eine Konzept-LP werden, größer als „Tommy“. Doch The Who mussten ihr Album-Projekt eindampfen. Christian Werner über „Who’s next“.

Nur einer aus der Band hat tatsächlich an den Betonklotz gepinkelt: Einzig The-Who-Gitarrist und Band-Vordenker Pete Townshend hinterließ seine Marke bei dem spontanen Fotoshooting auf einer Abfuhrhalde eines Bergwerks bei Sheffield. Weil der Harndrang der anderen drei Bandmitglieder nicht stark genug war, behalf sich der Fotograf Ethan Russell kurzerhand mit Resten von Regenwasser.

The Who - "Baba O'Riley"

Ob nun ironischer Kommentar zur Popkultur, zum Leben oder Reminiszenz an Stanley Kubricks Film „2001: A Space Odyssey“: Das Cover von „Who’s next“ gilt als eines der bekanntesten der Rockgeschichte.

"Who's next" ist eigentlich Ersatz für ein größeres Projekt

Auch sonst weist die fünfte Platte von The Who keine schlechte Bilanz auf – für ein Ersatzalbum oder wie es Townshend formulierte, „ein Kompromiss-Album“:

  • Das Werk beschert der Gruppe 1971 mit „Baba O‘Riley“, „Behind blue Eyes“ und „Won’t get fooled again“ drei Hit-Singles,
  • es ist eines der ersten Rock-Alben, auf dem ein Synthesizer eingesetzt wird (etwa in "Baba O'Riley") und
  • es gilt als eine ihrer beliebtesten und besten Platten.

Eigentlich sollte die Platte „Life House“ heißen, ein Doppelalbum werden und seinen Vorgänger, das immens erfolgreiche Konzeptalbum, die Rockoper „Tommy“, übertrumpfen. Townshend ersinnt für das Konzept von „Life House“ die Geschichte einer dystopischen Welt mit Umweltverschmutzung, Klimakatastrophen und Lockdowns, die Menschen mit Unterhaltungsinhalten ohne störende Musik per Übertragungsanzügen ruhiggestellt.

Kurz gesagt: Der Musiker nahm schon vor Jahrzehnten Entwicklungen wie das Internet, Virtual Reality und Lockdowns voraus, ebenso düstere Visionen, die viel später etwa in den „Matrix“-Filmen von anderen Künstlern ausformuliert wurden.

Townshend steht fast vorm Zusammenbruch

Die Vorbereitungen für das Projekt als Mischung aus Musik, Film und Live-Experiment ziehen sich ab 1969 über zwei Jahre, doch es scheint schier zu groß für die Band und nach einem Beinahe-Nervenzusammenbruch streicht Townshend Konzept und Umfang zu einem Rockalbum üblicher Konfektion zusammen. Heute lässt sich sagen: Auch das reicht aus für State-of-the-Art-Rockmusik seiner Zeit - und darüber hinaus.

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The Who - "Who's next/Life House"

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Nach mehreren Versuchen in den vergangenen Jahren, die Idee, das Konzept und die angefangene Musik von "Life House" doch irgendwie unter die Leute zu bringen, inklusive Box-Sets und einem Internet-Projekt, veröffentlichen The Who nun den definitiven Überblick über das Projekt: „Who’s next/Life House“ gibt es in mehreren Editionen.

Die umfassendste und umfangreichste ist eine aufwändige Box mit einer Blu-Ray, die neue Atmos- und 5.1-Surround-Mixe des Albums von Steven Wilson enthält sowie zehn CDs: 155 Tracks, davon 89 unveröffentlicht, teils neu gemischt mit Demos, Studio-Outtakes, und zwei kompletten Konzerten von 1971. Die Box enthält außerdem ein 100-seitiges gebundenes Buch, eine Graphic Novel, zwei Poster und Konzertprogramme, vier Anstecknadeln und ein Farbfoto.

The Who - "Behind blue Eyes"

Wer es ein paar Nummern kleiner mag: Das Album erscheint auch als limitiertes Vierfach-LP-Set, als einfache Vinyl- und CD-Version sowie als Doppel-CD mit einer Auswahl der Demos, Live- und Sessionaufnahmen aus der großen Box. Auch diese exemplarisch einzeln herausgestellten Live-Versionen, etwa von „Won’t get fooled again“, zeigen beispielhaft, dass The Who Anfang der Siebzigerjahre in einem beeindruckenden Zenit standen.

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Wir stellen in #langenichtgehört vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor.