Frank Quilitzsch über die Wiederbelebung des Schulsports.
Ich sehe meine Mutter vor der Bildröhre mit den Armen schwingen. Sie ahmt die Übungen der Vorturnerin im Gymnastikanzug nach. Ein Klavierspieler gibt den Rhythmus vor. Nun, das Outfit meiner Mutter – Strumpfhose und Rollkragenpullover – ist nicht bühnenreif, aber sie turnt ja daheim. Und ich im Leibchen turne mit. Jeden Morgen um 9.15 Uhr zehn Minuten. Das war unsere „Medizin nach Noten“ und gesünder als der tägliche Löffel Lebertran.
„Jedermann an jedem Ort, mehrmals in der Woche Sport!“ – Schon im Kindergarten übten wir uns im Eierlauf und Sackhüpfen. Wir schauten „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser!“ und hörten „He, he, he! Sport an der Spree!“ mit Heinz-Florian Oertel. Ich kenne es nicht anders, zur Schule oder zum Sportverein wurde gelaufen oder geradelt und an freien Nachmittagen auf dem Wäscheplatz gebolzt.
Unser Sportlehrer hat mich mit seiner Begeisterung angesteckt, so dass ich selbst am Entengang und Kniehebelauf Vergnügen fand. Ja, Anstrengung kann Spaß machen! Man fühlt sich meist gut danach. Die Schulmeisterschaften im Fußball und Handball waren Klassenkampf. Wenn wir Jungs die B-Klasse schlugen, himmelten die Mädchen uns an, und umgekehrt. Die Besten nahmen am Cross-Lauf teil und wurden zur Kinder-und-Jugend-Spartakiade delegiert.
All das geht mir durch den Kopf, als unser Minister für Körperkultur das „Jahr des Schulsports 2024“ ausruft. Warum nur ein Jahr und nicht ein Jahrzehnt? Und warum nicht auch ein „Jahr der gesunden Ernährung“? Wie auch immer, von mir ein kräftiges „Sport frei!“.
Frank Quilitzsch: Alter, du wirst abgehängt. Die besten Kolumnen, Klartext-Verlag, Essen, 176 S., 16,95 Euro