Berlin In Deutschland zeigen die Corona-Maßnahmen langsam Wirkung. Bei Anne Will diskutieren die Gäste den Stand im zweiten Corona-Sommer.
In Deutschland ebbt die Corona-Pandemie ab, Teststrategie und Impfungen zeigen Wirkung. Doch nun hat eine Recherche von WDR, NDR und SZ ergeben, dass die Anzahl der durchgeführten Tests mit Skepsis zu betrachten ist, weil manche Testzentren mehr Tests abrechnen, als sie durchführen.
Anne Will bespricht die Corona-Lage in ihrer Sendung mit dem Thema „Das große Impfversprechen – wo steht Deutschland im zweiten Pandemie-Sommer?“
"Anne Will": Das waren die Gäste:
- Jens Spahn (CDU, Bundesgesundheitsminister)
- Christian Lindner (FDP, Parteivorsitzender)
- Janosch Dahmen (Grüne, Bundestagsabgeordneter und Arzt)
- Christina Berndt (Journalistin bei der "Süddeutschen Zeitung")
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist zu Anne Will ins Studio gekommen, nachdem er zuletzt bei Talkshows meist nur zugeschaltet war. Es geht mal wieder darum, dass etwas in seinem Verantwortungsbereich nicht gut gelaufen ist – wie schon oft während der Pandemie.
Nach Maskenmangel, weitgehend nutzloser Corona-Warn-App und Impfstart im Schleichgang. Spahn hatte ja schon zu Beginn der Pandemie gemutmaßt, dass „wir uns alle viel werden verzeihen müssen“.
Spahn: Offensive statt Fehler eingestehen
Aber zum Eingestehen von Fehlern ist er nicht zu Will gekommen. Er geht gleich in die Offensive. Vor drei Monaten hätte es „fast gar keine Testinfrastruktur“ gegeben, nun gibt es mehr als 15.000 Teststellen. Subtext: Es ist seine Erfolgsgeschichte.
Aber nach einer Recherche von WDR, NDR und SZ wird in den Testzentren bei der Abrechnung betrogen. Ein Zentrum hat statt 550 realer Tests 1743 abgerechnet. „Wo kriminelle Energie ist, wird jemand betrügen“, sagt Spahn. Künftig soll es stichprobenartige Tests geben.
Die Verantwortung dafür sieht er nicht bei sich: Die Gesundheitsämter würden die Testzentren beauftragen, somit seien auch sie für die zur Kontrolle zuständig. „Ich kann nicht aus Berlin heraus die Testzentren kontrollieren.“
Weniger Erstattungen für Tests
Zudem wird der Geldregen für die Testcenter demnächst etwas weniger plätschern: Bisher gibt es bis zu 18 Euro je Testung, je nach Einkaufspreis des Tests. Davon werden 12 Euro für nichtmedizinisches Personal und 15 für Mediziner fällig. Künftig sollen für Tests nur noch 3 bis 4 Euro anrechenbar sein und für Personalkosten will Spahn unter zehn Euro pro Test zahlen.
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In der Pandemie hat Jens Spahn vor allem Stehvermögen bewiesen. Kaum ein Minister hat so oft beteuert, dass es eigentlich gut läuft und bald noch viel besser. Auch wenn er, wie im Falle der Test-Betrügereien sogar vom Koalitionspartner SPD hart kritisiert wurde, bleibt er seiner Taktik treu.
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Der Arzt und Abgeordnete Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) hat hingegen vor allem Sorge, ob die Tests denn auch medizinisch richtig durchgeführt wurden und werden, und fordert Qualitätskontrollen. Aber Spahn beteuert, dass man bei den niedrigen Inzidenzen keine Angst vor falsch durchgeführten Tests haben müsse. Eine erstaunliche Aussage, wo die Tests doch momentan das Rückgrat der Öffnungsstrategie sind.
Breitseite für Spahn
Und so verpasst Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung" Spahn eine Breitseite: „Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde: Dass hier ein Koffer Geld genommen wurde oder dass er so offen hingestellt wurde. Es ist da an sehr vielen Stellen nicht genau genug hingeschaut worden. Ohne die journalistische Arbeit meiner Kollegen wäre das nicht aufgefallen.“
Angesichts dieser massiven Kritik fragt auch Anne Will nochmal bei Christian Lindner (FDP) nach. Schließlich hat er sich in den vergangenen Monaten überhaupt nicht zurückgehalten mit Kritik an der Bundesregierung. „Zeigt sich hier eine besondere Freundschaft zwischen Ihnen und Jens Spahn?“, witzelt Anne Will. „Nein hier zeigt sich die besondere Seriosität der FDP“, sagt Lindner.
Will kommentiert daraufhin breit grinsend: „Da müssen sie selber lachen!“ Es ist wohl eher die Hoffnung auf eine Koalitionsbeteiligung nach der Bundestagswahl, die Lindner versöhnlich stimmt.
Streit um Impfungen von Kindern
Derweil erzählt Jens Spahn von den wachsenden Impferfolgen. 40 Prozent der Bundesbürger seien schon geimpft, er geht insgesamt von 70-75 Prozent Impfwilligen insgesamt aus. „Bis Mitte Juli werden 90 Prozent aller Impfwilligen geimpft sein.“ Die über 12-jährigen Kinder sollen dann bis Ende August geimpft sein können, wenn es nach Spahn geht.
Doch gerade um die Kinder-Impfungen gibt es ja derzeit Streit: Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung für Kinder (noch) nicht. Aber Spahn will von den 50 Millionen Dosen Biontech, die er bis Ende August erwartet 5 Millionen für Kinder an die Bundesländer verteilen.
„Die Ständige Impfkommission macht Empfehlungen“, sagt Spahn mit dem Unterton, dass man sich nach Empfehlungen zwar richten könne aber nicht müsse. „Kinder werden in den nächsten Jahren die Infektion bekommen oder die Impfung“, stellt Spahn fest. Was man sich davon aussuche, sei eine individuelle Entscheidung.
Lindner attackiert Spahn
Und da findet auch Lindner in seinen Oppositionsmodus zurück. Als Spahn zuerst ausweichend auf die Frage antwortet, ob er nicht angekündigt habe, dass es zusätzliche Impfdosen für Kinder geben sollte und ob er sie nun aus den vorhandenen Kapazitäten verteilen will, hört man Lindner immer wieder „aha“ reinrufen, so dass ihn sogar Anne Will fragt, was seines „Ahas“ denn bedeuten: Und Lindner erklärt, dass es sich eben nur um die Umverteilung von Impfstoff handle. „Das Motiv von Herrn Spahn ist richtig, aber die Umsetzung falsch“, findet Lindner.
Das sieht Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt anders: Es gebe noch genug nicht geimpfte Vorerkrankte. Kinder bräuchten den Impftstoff nicht so dringend, erst solle man die dritte Priorisierungsgruppe durchimpfen. Dieser Meinung ist auch Janosch Dahmen: „Wenn wir die Erwachsenen nicht geimpft haben, macht es einen falschen Eindruck, Kinder zuerst zu impfen.“
Lindner: „Die Schulen dürfen nicht wieder schließen“
Das letzte Wort der Sendung reißt Christian Lindner an sich. In seinem Abschlussstatement schießt der FDP-Chef dann sowohl gegen Spahn als auch gegen die Grünen, deren Position im Bezug auf Schulschließungen er nicht teile.
Mit Lindners Schlusswort - „Die Schulen dürfen nicht wieder schließen“ - endet dann auch eine launige „Anne Will“-Ausgabe, in der sowohl klar wurde, dass Corona sowohl den Bundestagswahlkampf bestimmen wird, als auch dass auf lange Sicht wohl keine innige Freundschaft zwischen FDP und Grünen geben wird.
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