Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz ist in Elmau erstmals Gastgeber eines internationalen Gipfels: Wie gut kann er mit Biden, Macron und Co.?
Es ist eine wichtige Premiere für Kanzler Olaf Scholz: Ein halbes Jahr nach Amtsantritt ist der deutsche Regierungschef erstmals Gastgeber eines internationalen Gipfeltreffens. In Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen empfängt er ab dem Wochenende die Staats- und Regierungschefs der großen demokratischen Wirtschaftsmächte zum G7-Gipfel, an der Spitze US-Präsident Joe Biden.
Scholz will bis Dienstag große Beschlüsse erreichen: mehr Unterstützung für die Ukraine, mehr Klimaschutz, die Stärkung der Demokratien weltweit, Schritte gegen die vom Krieg ausgelöste Ernährungskrise. „Wenn von Elmau ein Signal der Geschlossenheit ausgeht, wäre ich sehr zufrieden“, sagt Scholz. Aber das hängt von seinen Gästen ab: Wie gut kann der Kanzler mit Biden, Macron & Co.? Wer wird ihm in Elmau gefährlich?
Joe Biden: Der US-Präsident ist nicht nur der mächtigste Teilnehmer, sondern für Scholz auch der anspruchsvollste. Zwei Mal haben sich die beiden bislang getroffen: im November am Rande des G20-Gipfels in Rom gemeinsam mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel und im Februar im Weißen Haus. Biden ist um ein gutes Verhältnis zum „wichtigsten Bündnispartner“ bemüht, er lobt Scholz als „absolut“ vertrauenswürdig. Aber der 79-Jährige lässt an seinem Führungsanspruch keinen Zweifel – gerade in der Ukraine-Krise.
Die USA sind der wichtigste Waffenlieferant der Ukraine, die Zurückhaltung Deutschlands und anderer EU-Staaten verfolgte Biden zeitweise mit Ungeduld. Während er den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Kriegsverbrecher und Mörder nennt, äußert sich Scholz viel vorsichtiger. Schon vor seiner Ankunft mit der Air Force One am Sonnabendabend in München hat Biden eine eigene Gipfelagenda vorgelegt: Er will den Druck auf Russland weiter erhöhen und dazu „eine Reihe konkreter Vorschläge“ unterbreiten. So gibt es einiges zu bereden, wenn sich Präsident und Kanzler am Sonntagmorgen noch vor dem Gipfelbeginn zum bilateralen Gespräch zusammensetzen.
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Emmanuel Macron: Auf den französischen Präsidenten kann sich Scholz verlassen. Der 20 Jahre jüngere Macron ist zwar emotionaler und eloquenter als der kühle und wortkarge Scholz, aber beide haben einen Hang zum Technokratischen und halten sich für schnelle Denker. Die Abstimmung ist eng, ihr Verhältnis gut, wenn auch nicht herzlich. Im Élysée hatten sie Scholz vorigen Herbst als Idealbesetzung im Kanzleramt gefeiert, weil er näher an Macrons europapolitischen Ideen ist als Vorgängerin Merkel.
In der Ukraine-Krise sind beide meist auf einer Wellenlänge: Unterstützung für die Ukraine schließt für sie (gemeinsame) Gespräche mit Putin nicht aus. Gemeinsam reisten Macron und Scholz – in Begleitung von Mario Draghi – gerade erst nach Kiew. Vor dem Gipfel kündigte Macron Unterstützung für die Scholz-Pläne etwa beim Klimaschutz an.
Mario Draghi: Den italienischen Premier hat Scholz von Beginn an als Verbündeten umworben. Früh reiste er nach Rom, lobte den Gastgeber („echter Europäer“) für seine „intelligente Politik“ und besiegelte eine engere Kooperation. Der Sozialdemokrat Scholz und der parteilose Draghi kennen sich aus ihren früheren Ämtern als Finanzminister und EZB-Präsident. Weil auch Macron eng mit Draghi kooperiert, zeichnet sich eine neue, starke Dreierspitze in Europa ab: Scholz, Macron, Draghi – die drei dürften beim Gipfel an einem Strang ziehen.
Boris Johnson: Der britische Premier mit dem Hang zu chaotischen Auftritten ist kein einfacher Gast, schon gar nicht für den zurückhaltenden Scholz. In der Ukraine-Krise verfolgt der 58-Jährige mit einem engen Draht zu Präsident Wolodymyr Selenskyj einen viel offensiveren Kurs als der Kanzler: Großbritannien ist nach den USA wichtigster Rüstungslieferant. Die erste Begegnung von Scholz und Johnson in London verlief da nicht spannungsfrei. Wegen innenpolitischer Probleme dürfte Johnson versuchen, sich in Elmau besonders zu profilieren, doch kann Scholz auf ihn beim Klimaschutz zählen.
Wolodymyr Selenskyj: Für Scholz ist der ukrainische Präsident der schwierigste Gast, wenn auch nur per Video zugeschaltet. Ihr Verhältnis ist angespannt.
Selenskyj attackiert den Kanzler immer wieder wegen angeblich zögerlicher Unterstützung im Krieg, ausbleibender Waffenhilfe oder der Telefongespräche mit Putin. Nach dem jüngsten Kanzlerbesuch in Kiew und der deutschen Unterstützung für den ukrainischen EU-Beitrittswunsch dürfte sich der Ärger etwas gelegt haben. Doch setzt der 44-jährige Selenskyj nun auf starke Hilfszusagen der G7-Staaten. Und liefert der Gipfel nicht, dürfte den Kanzler neuer Zorn treffen.
Fumio Kishida: Um sich der Unterstützung des japanischen Premiers zu vergewissern, ist Scholz im April aufwendig für einen Tag nach Japan gereist. Die beiden verstehen sich gut: Sie sind gleich alt, beide sind Juristen, Kishida ist nur zwei Monate länger im Amt als der Kanzler. Dass ein deutscher Regierungschef noch vor seiner ersten China-Reise Tokio besucht, ist neu und eine gezielte Geste an den „Wertepartner“. Scholz und Kishida vereinbarten regelmäßige Regierungskonsultationen, die Japan bisher mit keinem anderen Land unterhält. Kishida dürfte sich beim Gipfel erkenntlich zeigen.
Justin Trudeau: Der kanadische Regierungschef könnte für Scholz eine große Hilfe sein. Der Kanzler lobt Trudeau als „gleichgesinnten Partner“, mit dem er beim Klimaschutz „Seite an Seite“ marschiert. Trudeau (50) verfolgt auch in der Ukraine-Krise einen ähnlichen Kurs wie der Kanzler. Man müsse mit Waffenlieferungen vorsichtig sein, sagte Trudeau beim ersten Treffen mit Scholz, eine Eskalation müsse vermieden werden.
Narendra Modi: Der indische Premierminister ist einer der wichtigsten Gäste, auch wenn er nicht zum G7-Club gehört. Scholz empfing Modi (71) im Mai im Kanzleramt, umwarb ihn als „zentralen Partner“ in Asien. Ein Schlüsselanliegen von Scholz beim Gipfel ist es, die weltweite Zusammenarbeit demokratischer Staaten voranzubringen. „Unser Verständnis von Demokratie greift zu kurz, wenn wir uns nur auf den klassischen Westen konzentrieren“, sagt der Kanzler.
Deswegen sind neben Indien auch Indonesien, Südafrika, der Senegal und Argentinien als Gastländer eingeladen. Sie sollen sich nach Meinung der G7-Staaten den Sanktionen gegen Russland anschließen – bislang halten sich viele Länder des globalen Südens mit Kritik am russischen Angriff zurück. Indien erhält von Moskau nicht nur Rüstungsgüter, sondern jetzt auch Kohle und Öl zu Dumpingpreisen. Ob Scholz Modi in Elmau umstimmen kann? Unwahrscheinlich.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de