Berlin. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legt sein Reformprogramm vor. Die Union spricht von „Flickschusterei“, auch die Linke übt Kritik.

Während die SPD noch überlegt, ob und in welcher Form sie die große Koalition fortsetzen will, plant ihr Bundesarbeitsminister schon weit in die Zukunft: Hubertus Heil präsentiert am Freitag auf einer großen Veranstaltung in Berlin sein Programm für die nächsten Monate und Jahre. Es handelt sich um Ideen, die er in den vergangenen Monaten bei fünf Veranstaltungen mit Bürgern eingesammelt hat.

Die Vorschläge zielen auf Reformen am Arbeitsmarkt und im Sozialbereich. Ein großer Teil steht nicht im Koalitionsvertrag. Entsprechend zurückhaltend reagiert der Regierungspartner Union: Die Ideen seien „ein Sammelsurium, aber kein Programm für die Zukunft der Arbeit“, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß (CDU), unserer Redaktion.

Heil will Bürgern die Angst vor Arbeitsplatzverlust nehmen

Der Minister selbst sagt, er wolle Menschen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machten, „Perspektiven zeigen, um auch die Arbeit von morgen machen zu können“. Digitalisierung solle Arbeit erleichtern, der Sozialstaat solle bürgerfreundlicher werden.

Konkret schlägt der Arbeitsminister beispielsweise vor, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit noch flexibler gestalten können – und dass Arbeitgeber ihnen die passenden Angebote dazu machen. Sogenannte Zeitkonten, auf denen Überstunden oder Urlaubstage eingezahlt werden, sollten stärker genutzt werden. Die Verwaltung dieser Konten solle eine staatliche Stelle übernehmen, um kleine und mittlere Betriebe zu entlasten.

Das Guthaben auf diesen Konten sollen Arbeitnehmer für Auszeiten für die Familie oder die Pflege von Angehörigen nutzen können – möglicherweise gefördert vom Staat. Heil will auch prüfen, ob Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf diese Konten haben können. Der Europäische Gerichtshof hatte zudem im Mai entschieden, dass Arbeitszeiterfassung Pflicht wird – was man dazu wissen muss.

Kommt der Rechtsanspruch auf mobile Arbeit?

Schon oft diskutiert, aber noch nicht umgesetzt ist die Idee eines Rechtsanspruchs auf mobile Arbeit. Arbeitgeber sollen dies aber aus betrieblichen Gründen ablehnen können. Zwar böten viele Firmen die Möglichkeit mobiler Arbeit an. Doch das seien noch zu wenige.

Immer wieder wurde Heil bei seinen Bürgergesprächen auch auf die Zukunft von Hartz IV angesprochen. Grundsätzlich will er an dem System festhalten, auch wenn das Stichwort „Hartz“ in dem Abschlussbericht kein einziges Mal auftaucht. Der Minister ist aber zu Änderungen bereit.

Hartz IV: Heil will weniger Sanktionen

Dazu, ob es weiter Sanktionen geben soll, will er zwar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. In jedem Fall aber sollen Hartz-IV-Sanktionen nicht mehr dazu führen, dass Arbeitslose ihre Wohnung verlieren. Dafür sollen künftig die Kosten der Unterkunft von den Sanktionen ausgenommen werden. Auch eine vollständige Kürzung der Hartz-Leistungen soll es nicht mehr geben.

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Die entsprechenden Sanktionen für unter 25-Jährige will Heil ebenfalls abschaffen. Anders als heute sollen die Jobcenter in den ersten zwei Jahren der Grundsicherung nicht mehr prüfen, ob Betroffene eine unangemessen große Wohnung haben. Aufforderungen, sich eine günstigere Wohnung zu suchen, sollen in der Zeit entfallen – Mietkosten sollen in dieser Zeit übernommen werden.

Ein neues Kindergeld könnte, so der Vorschlag des Ministers, das bisherige mit dem weniger verbreiteten Kinderzuschlag zusammenführen. Eltern mit geringem Einkommen sollen zusammen mit Bildungs- und Teilhabeleistungen eine Unterstützung auf dem Niveau des Existenzminimums erhalten. Bei höheren Einkommen soll das Niveau der Leistung bis zum bisherigen Kindergeld abgeschmolzen werden.

Hartz-IV -Sanktionen- So hart geht der Staat gegen Arbeitslose vor

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    Beiträge für Gewerkschaften sollen sich steuerlich mehr lohnen

    Für Geringverdiener schlägt Heil eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen vor: Mit bis zu 100 Euro monatlich sollen die Beiträge aus Steuermitteln bezuschusst werden. Eine weitere Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen, von der auch Normalverdiener profitieren würden, lehnt Heil ab.

    Damit sich mehr Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft organisieren, sollen sie Mitgliedsbeiträge nicht mehr nur innerhalb der Werbungskosten sondern als extra Sonderausgaben bei der Steuer absetzen können. Tarifverträge sollen einfacher als bisher allgemeinverbindlich werden.

    Der Chef der IG Metall, Jörg Hofmann, lobte Heil für einen Teil der Pläne, ließ aber etwa im Fall der Arbeitszeitkonten die Sorge erkennen, dass der Staat sich zu stark in den Bereich von Gewerkschaften einmischen könne. Nötig sei in jedem Fall eine betriebliche Mitbestimmung bei der Qualifizierung von Arbeitnehmern.

    CDU-Politiker Weiß: Flexibilität nicht staatlich verordnen

    Auch CDU-Politiker Weiß sagte, vieles könnten Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbst in den Betrieben oder in Tarifverträgen regeln, da sollte sich der Staat nicht einmischen: „Mehr Flexibilität ist gut, aber sie darf nicht vom Staat verordnet werden“, sagte Weiß.

    Ein Teil der Vorschläge sei alt, einen Teil habe man in der Koalition umgesetzt. Und bei Ideen wie dem Recht auf mobiles Arbeiten müsse Heil aufpassen, dass er den Arbeitsmarkt nicht spalte zwischen denen, die ein solches Recht wahrnehmen könnten und denen, die als Verkäufer, Lokführer oder Handwerker nie von zu Hause arbeiten könnten.

    Opposition spricht von „Flickarbeiten“

    Auch die Opposition ist skeptisch: „Anstatt die großen Baustellen anzugehen, beschränken sich Heils Vorschläge auf Flickarbeiten“, bemängelte der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Sven Lehmann.

    Die Vorschläge seien „vorgezogenes Wahlkampfgetöse“, sagte die Arbeitsmarktexpertin der Linken, Sabine Zimmermann. „Alle Punkte haben wir von Hubertus Heil oder der SPD bereits gehört“, kritisierte FDP-Politiker Johannes Vogel. Auch die Arbeitgeberverbände warfen Heil vor, Parteipolitik zu betreiben.