Berlin. Die Landtagswahl in Thüringen 2019 hat zu einem Polit-Chaos geführt. Schuld an dem Ausgang ist auch die politische „Ausschließeritis“.

Es war zu befürchten, dass die Thüringer Wähler der Politik ein kompliziertes Wahlergebnis liefern würde. Was jetzt vorliegt ist nicht kompliziert. Es ist ein echtes Chaos. Rechnerisch ist Thüringen dank einer politischen „Ausschließeritis“ derzeit de facto unregierbar.

CDU und Linkspartei können und wollen nicht miteinander. Allen anderen Kombinationen fehlt es rein rechnerisch an Masse. Und mit Björn Höckes AfD will – zu Recht – gar niemand regieren. Es hat noch nie eine deutsche Landtagswahl gegeben, die eine derart komplizierte Regierungsbildung nach sich zieht. Neuwahlen nicht ausgeschlossen.

Der Wahlabend sandte Botschaften, die weit über Thüringen hinaus relevant sind. So hat die Linkspartei, allen Voraussagen zum Trotz, noch immer Kraft im Osten. Sie triumphiert erstmals als absoluter Wahlsieger. Das verdankt sie „Wessi“ Bodo Ramelow, dem beliebten und bodenständigen Ministerpräsidenten. Er hat seine Bürgerlichkeit zum Markenzeichen erhoben und kann es sich leisten, damit zu spielen. Ein Ramelow bindet sogar seinem Terrier „Attila“ auf dem Weg zum Wahllokal Krawatte um.

Wahl in Thüringen 2019: Debatte um Führung der CDU wird ungemütlicher

Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion, kommentiert den Ausgang der Landtagswahl in Thüringen 2019.
Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion, kommentiert den Ausgang der Landtagswahl in Thüringen 2019. © Dirk Bruniecki

Die CDU hat es nicht geschafft – trotz eines kämpferischen Kandidaten – auf Platz 1 zu kommen. Das ist ein schwerer Schlag für Mike Mohring, aber auch für die Parteivorsitzende, der es nicht gelingt, sich endlich aus der Dauerkrise zu manövrieren. Thüringen war tiefschwarzes Stammland. Bernhard Vogel hatte 1999 über 50 Prozent geholt. Alles längst Geschichte.

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Das enttäuschende Wahlergebnis der jüngsten Wahl geht mit der neuen Parteichefin nach Hause. Annegret Kramp-Karrenbauers großes Ziel, das Kanzleramt in Berlin, ist mit dieser Wahl noch weiter in die Ferne gerückt. Die Debatte um AKKs Eignung wird ungemütlicher und die Herausforderer – alles Männer – werden ihre mühselig aufgebrachten Rücksichten fahren lassen.

Die Stärke der AfD ist an sich schon keine Überraschung mehr im Osten. Und dennoch ist Thüringen ein Sonderfall. Denn mit Björn Höcke stand hier ein AfD-Mann an der Spitze, der seine Nähe zu rechtsextremen Positionen gar nicht mehr kaschieren mag. Er ist sogar einigen in der AfD-Führung zu rechts – um so erschreckender ist sein Triumph. Wer die Höcke-AfD wählte, ist kein „besorgter Bürger“ mehr.

Abschneiden der SPD in Thüringen wird zum Handicap

Wähler, die bei ihm ihr Kreuz machten, unterstützten auch Fremdenfeindlichkeit und sein ekliges Spiel mit alten Tabus. Sie finden Höckes doppeldeutigen Fantasien von Deutschlands „tausendjähriger Zukunft“ offenbar in Ordnung. Das ist ein harter Schlag für die Demokratie im Heimatland der deutschen Dichter und Denker.

Bleibt ein Blick auf die SPD und diesmal braucht man eine ganz große Lupe dazu. Rund acht Prozent ist ein Ergebnis, das eine Partei auf dem elenden Marsch in die Bedeutungslosigkeit zeigt. Gut möglich, dass sie in vier Jahren an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Auch für den Mann, der so gerne neuer SPD-Parteivorsitzender würde, kann es jetzt ganz ungemütlich werden. Der Absturz in Thüringen ist ein brutales Handicap für Olaf Scholz‘ Ambitionen und damit auch ein Menetekel für die Zukunft der Großen Koalition.