Berlin. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will U-Bahnen für die Paketlieferung nutzen. Der Vorschlag stößt auf Kritik und viele Fragen.

Immer mehr Menschen bestellen online. Was für viele Konsumenten bequem ist, wird auf den Straßen immer mehr zum Problem: Lieferwagen, die sich nur langsam den Weg durch den Verkehr bahnen und Staus verursachen, wenn sie zum Ausladen in der zweiten Reihe halten.

Im vergangenen Jahr bestellten Verbraucher Waren und Dienstleistungen im Wert von 94 Milliarden Euro und damit rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr, wie aus Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel hervorgeht.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wirbt deswegen für die Idee, unterirdische Wege für die Paketverteilung zu nutzen. „Ich wäre dazu bereit, ein Pilotprojekt mit einer Stadt zu machen, wo wir eine U-Bahn umbauen und eine spezielle Paket-U-Bahn daraus machen“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft.

„Wir sollten bereit sein, neu zu denken und nicht immer das Aber zu sehen“, lautet die generelle Ermunterung des Ministers. So eine Bahn könne zum Beispiel nachts von 2.00 Uhr an fahren und Pakete sowie Päckchen zu Zwischenlagern – sogenannten Mikro-Hubs – an Haltestellen in einzelnen Stadtteilen transportieren. „Wir installieren Mikro-Hubs, von dort aus können die Lieferanten die Waren mit einem Elektro-Lastenfahrrad weitertransportieren“, sagte Scheuer.

Paketlieferung mit der U-Bahn: Zweifel an der Umsetzbarkeit

Einige Verkehrsbetriebe äußern Zweifel an der Umsetzbarkeit der Idee. „Es gibt keinen Platz“, sagte eine Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Es gebe weder ein Depot zur Lagerung der Pakete außerhalb der Stadt, noch die Möglichkeiten, ausreichend kleine Auslieferungsstellen - wie von Scheuer vorgeschlagen - in der Innenstadt zu schaffen.

In Berlin würden neue Modelle für lokale Warentransporter diskutiert, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Klar ist aber auch: Es gibt dafür noch kein belastbares Modell, das sich in einem absehbaren Zeithorizont realisieren oder ausprobieren ließe.“ So sei die Schnittstelle von der Schiene auf die Straße besonders kompliziert, da U- und S-Bahnen fast nie auf Straßenniveau lägen.

„So lassen sich Paletten oder größere Lieferungen, bei denen sich der Aufwand überhaupt erst lohnt, kaum in der vorhandenen Infrastruktur von U- und S-Bahn weiterreichen, auch etwa weil es keine Lastenfahrstühle gibt.“ Angesichts des zu erwartenden Liefervolumens schlössen sich viele weitere offene Fragen an, sagte auch die BVG-Sprecherin.

Stationen unter der Erde schwer als Umladepunkte nutzbar

„Wer holt die Pakete wann ab? Wer bewacht die Lieferungen?“ Vieles an einem Paketdienst per U-Bahn sei bei den aktuellen Gegebenheiten des unterirdischen Transports in der deutschen Hauptstadt schwer vorstellbar. „Wir haben uns dazu schon seit geraumer Zeit Gedanken gemacht. Die Idee des Ministers ist nicht neu“, sagte die Sprecherin.

Die BVG freue sich dennoch über die Offenheit des Ministers bei Fragen rund um den wachsenden Lieferverkehr, sagte die Sprecherin. Man wolle keine Türen endgültig schließen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, findet den Vorschlag Scheuers „spannend“. „Wenn die Paketlogistik auf die Schiene verlagert wird, kann der Straßenverkehr entlastet und die Auslieferung klimafreundlich und elektrisch gestaltet werden.“

Angesichts von vier Milliarden prognostizierten Paketsendungen bundesweit im Jahr 2020 brauche man dringend neue Lösungen, um den Verkehr zu entlasten, erklärte Dedy. Die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) verweist auf die Tücken des unterirdischen Lieferverkehrs. „Stationen unter der Erde sind als Aus- und Umladepunkte weniger geeignet“, sagte ein VGF-Sprecher.

Andreas Scheuer ist bereit für einen Praxistest

Stattdessen könne sich eine Auslieferung per Straßenbahn als praktikabler erweisen. „Das Netz ist kleinteiliger, die Haltestellen als potenzielle Umladepunkte enger beieinander und somit dichter am Kunden.“ Von entsprechenden Ausladestationen könnten die Pakete auf Lastenfahrräder verteilt werden, von denen sie dann zum Kunden gebracht würden, betonte der VGF-Sprecher.

Auch in Berlin böte sich nach Ansicht von Senat und BVG eher die Straßenbahn als Güterverkehrsmittel an. Hier gebe es bereits Depots, die für eine Lagerung von Paketen in Frage kämen. Beim Abladen der Fracht könnten die Straßenbahnen auf einem Extragleis abgestellt werden, der nachfolgende Personenverkehr könnte so problemlos überholen. So würden Rückstaus durch die Lieferungen vermieden werden. Allerdings gebe es ebenfalls logistische Hindernisse wie fehlende Abstellgleise, sagte der Senatssprecher.

Bundesverkehrsminister Scheuer regte nun einen ersten Praxistest aus. „Ich wäre dazu bereit, ein Pilotprojekt mit einer Stadt zu machen, wo wir eine U-Bahn umbauen und eine spezielle Paket-U-Bahn daraus machen“, sagte Scheuer am Wochenende den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Die Paket-Züge sollten nach Betriebsschluss fahren.

Unterirdischer Warentransport in anderen Ländern bereits getestet

Die Idee, Pakete per U-Bahn oder Straßenbahn zu verschicken, ist nicht neu. So gab es in Berlin bereits entsprechende Überlegungen. Dort hatten etwa in den 1930er Jahren Güterstraßenbahnen Pakete ausgeliefert. In der US-Großstadt Chicago wurden eigens Tunnel für den Warentransport per Metro gebaut. Aufgrund des Aufschwungs bei Lastwagen wurde die unterirdische Belieferung aber 1959 eingestellt.

In der französischen Stadt St. Etienne wurden 2016/17 versuchsweise Waren und Pakete mit Straßenbahnen hin- und hergefahren. Zum Abschluss hieß es, das Projekt sei wirtschaftlich nicht realisierbar, zudem habe es technische Probleme gegeben. Die Schweiz will ausarbeiten, wie Anlagen für den unterirdischen Gütertransport gebaut und betrieben werden können. Dafür wurde jüngst ein Gesetz erlassen.

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