Gera. Erinnerung an den schwersten Luftangriff auf Gera mit einem Zeitzeugenbericht des Stadtarchivars Ernst Paul Kretschmer

Es dauerte nur eine knappe Viertelstunde und die Geraer erkannten ihre Stadt nicht mehr wieder. Genau heute vor 75 Jahren fand am frühen Vormittag der schwerste Luftangriff der Alliierten auf Gera statt.

Gera erlebte eine Katastrophe, wie seit dem großen Stadtbrand von 1780 nicht mehr. Nach nur 26 Jahren seines Kulturengagements erlitt bei dem Luftangriff vom 6. April auch das Stadtmuseum und seine Sammlung große Zerstörungen. Deren Ausmaß überlieferte uns der Stadtarchivar und Zeitzeuge Ernst Paul Kretschmer (1887-1957) in seiner ergreifend nüchternen Beschreibung:

Dachstuhlbrand durch ein großes Nachbargebäude

Die imposante historische Aufnahme im Hochformat.
Die imposante historische Aufnahme im Hochformat. © Erhardt Ostertag/ Sammlung Stadtmuseum Gera

„Ich eilte nach dem zerstörten Osterlandmuseum, um hier zu retten, was noch zu bergen war. Das Museumsgebäude hatte anfänglich nur Fensterschäden durch die Bombendetonationen in den Nachbargebäuden erlitten. Eine 480 kg Sprengbombe war nicht zur Explosion gelangt. Der Dachstuhlbrand des Museums war durch das große Konsumgebäude an der unteren Bachgasse verursacht worden, aber bis auf kleine Herde zum Erlöschen gekommen. Jetzt loderten und züngelten aufs neue Flammen im Obergeschoß auf. [...]

Von der Bombe war der Kopf und Aufschlagzünder abgebrochen. Sie steckte zwischen dem Treppenaufgang zum 2. Stockwerk und dem 1. Stockwerk gut sichtbar in der Decke. Wir, Oberlehrer Hemmann und Kretschmer, eilten nun mehrmals nach dem völlig verqualmten Innern und bargen [...] das Notwendigste aus den völlig zertrümmerten Vitrinen der Süd- und Westseite, hingen die stadtgeschichtlichen Bilder ab, die durch das Wasser beim Dachstuhlbrand schon teilweise ruiniert und verschmutzt waren und lagerten sie in Schichten auf die Innungsladen der Geraer Zünfte. [...]

Durch den Luftdruck der Bomben waren alle Schränke und Vitrinen gesprengt und die Schlösser herausgerissen worden, zerfetzt waren die Ausstellungsstücke vom Geraer Zeugdruck. Abends brannten die wertvollen Sammlungen des Obergeschosses mit Dr. Ludwig Brehms Vogelsammlungen, den wertvollen Insektensammlungen von Heino Lonitz und sonstige Tierschausammlungen und die gesamte reichhaltige geologische Sammlung, ferner die Conchiliensammlung, die Muscheln, des Apothekers Wilhelm Israel. [...]“

„Am Morgen des 7. April stand das Gebäude aber wieder in Flammen“

„Wir haben bestimmt viele hundert Mal treppauf und -ab das Gebäude durcheilt, unter anderem mit Oberlehrer Hemmann allein dreimal die Türfüllung beim Bombenausbläser an der Treppe abgelöscht, haben dann auch das glimmende Dachgebälk abreißen lassen und hatten abends das Gefühl, daß ein Weiterschreiten der gefräßigen Elemente im Museumsgebäude nicht zu fürchten sei. Am Morgen des 7. April stand das Gebäude aber wieder in Flammen. Ein Zug der Leipziger Feuerwehr, der bei Löscharbeiten in Gera tätig war, konnte durch Vermittlung von Oberlehrer Hemmann den erneut ausgebrochenen Brand löschen und das Museum vor der völligen Vernichtung bewahren. [...]

Am Tage darauf fiel in der Nähe eine Luftmine. Durch den ungeheuren Luftdruck entstanden weitere Trümmer im Museum. Zersprengt wurden jetzt die großen Vitrinen, die am Vortage noch völlig intakt waren, mit Geraer Porzellan und Geraer Zinn. Der Inhalt einer Münzvitrine wurde bis ins Treppenhaus verschleudert. Die Schausammlung von Geraer Zeugdruckproben wurde in den zu Bruch gegangenen Schränken zerfetzt. Überreste hingen an den elektrischen Außenleitungen des Brühls.“

Patrick Golenia ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kulturamt der Stadtverwaltung Gera