Mit stolzgeschwellter Brust und zarter Melancholie in die neue Spielzeit am Theaterhaus Jena

Jördis Bachmann
| Lesedauer: 7 Minuten
Die letzte Spielzeit für das künstlerische Team am Theaterhaus Jena bricht an. Leiterin Lizzy Timmers (vorn Mitte) stellte gemeinsam mit dem Team die Höhepunkte bis zum Januar 2024 vor. Das Theaterhaus wurde jüngst mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet, der mit 100.000 Euro dotiert ist. 

Die letzte Spielzeit für das künstlerische Team am Theaterhaus Jena bricht an. Leiterin Lizzy Timmers (vorn Mitte) stellte gemeinsam mit dem Team die Höhepunkte bis zum Januar 2024 vor. Das Theaterhaus wurde jüngst mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet, der mit 100.000 Euro dotiert ist. 

Foto: Jördis Bachmann / Funke Medien Thüringen

Jena.  Streiten über Hundekot, das Patriarchat wegfetzen und das Ende einer Trilogie: Die letzte Spielzeit für die künstlerische Besetzung des Jenaer Theaterhauses bricht an – eine Übersicht über Premieren und Veranstaltungen.

Glitzerkleider und Sakkos liegen bereit und warten auf den großen Auftritt in Berlin: Im Oktober überreicht KulturstaatsministerinClaudia Roth den mit 100.000 Euro dotierten Theaterpreis des Bundes an das Jenaer Theaterhaus. Das Haus überzeuge „strukturell ebenso wie künstlerisch-ästhetisch“, heißt es in der Begründung der Jury. Und weiter: „Die Produktionen der vergangenen Spielzeiten haben den unmittelbaren Kontakt zur Stadtgesellschaft gesucht und seien im besten Sinne nah am Zeitgeist“.

Mit stolzgeschwellten Brustkörben und dieser Anerkennung im Rücken startet das Theaterhaus-Team jetzt in die neue Spielspielzeit. Es ist die letzte Spielzeit der aktuellen künstlerischen Besetzung unter der Leitung von Lizzy Timmers und Maarten van Otterdijk, weshalb sie unter den Titel „Last Song Jena“ gestellt wurde. 2018 waren die Holländer als Künstler-Kollektiv „Wunderbaum“ in Jena aufgeschlagen, mittlerweile hat sich das Team modifiziert – die letzten Wunderbäume werden Ende 2024 ihre Wurzeln in neue Bühnenbretter bohren – bis dahin allerdings zünden die Theaterhäusler noch ein theatrales Abschiedsfeuerwerk für die Stadt.

Zwei Jahre länger als zunächst geplant wirkt das Künstler-Kollektiv nun am Theaterhaus, denn schließlich war ihnen die Pandemie in die Quere gekommen. „Vieles, was wir begonnen hatten, konnte dadurch gar nicht richtig erblühen“, sagt Lizzy Timmers. Dass es goldrichtig war, die Zeit am Jenaer Theaterhaus zu verlängern und alle Inszenierungen erblühen zu lassen, bestätigt nun der Theaterpreis des Bundes. Timmers Augen glänzen – ein Glanz zwischen Stolz über die Auszeichnung, Abschiedsschmerz und Lust auf die neue Spielzeit.

Nein, eine einjährige Abschiedsparty, werde die neue Spielzeit sicher nicht, sagt Schauspieler Leon Pfannenmüller. „Noch sind wir da!“ Und das Team hat bereits bis zum Januar 2024 viel vor: Vier Premieren, ein Tanzfestival, eine Diskussionsreihe zwischen Literatur und Wissenschaft und natürlich die Wiederaufführungen der besten Inszenierungen der vergangenen Spielzeit stehen auf dem Programm.

Vier Premieren bis zum Januar 2024

1 „Die Hundekot-Attacke“

Die Erarbeitung des Stücks, dass am 27. Oktober als erste Premiere der Spielzeit auf die Theaterbühne kommt, drohte das Kollektiv zu sprengen, heißt es im Vorstellungstext zu „Die Hundekot-Attacke“. Dabei greifen die Theaterhäusler einen Vorfall auf, bei dem der Ballettdirektor der Staatsoper Hannover, Marco Goecke, Hundekot auf eine Journalistin warf. Während der Proben im Theaterhaus habe man Angst bekommen, selbst zu personae non gratae zu werden, und sei in Streit geraten. Doch letztlich kommt das Stück auf die Bühne, und da es um die Geschichte eines Ballettdirektors gehe, habe man sich den Choreographen Eduardo Cino ins Boot geholt und werde natürlich tanzen, erklärt Walter Bart, der bis 2021/22 die Künstlerische Leitung inne hatte, danach jedoch an seine Frau Lizzy Timmers abgab. Bart, der sich bereits neuen Projekten zugewendet hat, kehrt für „Die Hundekot-Attacke“ sozusagen als Gast ans Theaterhaus Jena zum eigenen Team zurück. (Premiere: 27. Oktober 2023, 20 Uhr)

2 „On the Edge“

„On the Edge“, ist der Titel des zweiten Stücks, dass in dieser Spielzeit Premiere feiern wird. Schauspieler Nikita Buldyrski hat die Inszenierung entwickelt und stellt sich darin die Frage: „Was wenn allen längst klar ist, weshalb sie hier sind, nur dir selbst nicht.“ Buldyrski präsentiert im Stück das Resultat seiner künstlerischen Diplomarbeit. Auf seiner Reise springt er zwischen eigenen Rap-Songs, Genres wie Stand-Up und Lyrik sowie Zeitabschnitten umher. Verfolgt von der Frage: Wohin mit mir? (Premiere: 4. Dezember 2023 im Kassablanca)

3 „So long, Jena“

Lizzy Timmers selbst schließt mit der Premiere von „So long, Jena“ ihre Theater-Trilogie „Deutschkurs“ ab. Das Stück ist ein letzter Teil, in dem sich Lizzy Timmers fragt: Wie lernt man sich zu verabschieden – und wie trifft man wichtige Lebensentscheidungen? „Eigentlich“, so sagt die Niederländerin, „ist Deutschland für mich Jena“, denn das sei die Stadt, die sie intensiv kennengelernt habe, und die dementsprechend ihre Vorstellung von Deutschland präge, konkretisiert sie. Hier besuchen ihre Kinder die Schule. Eine schöne Stadt, um mit der Familie Wurzeln zu schlagen, findet Timmers. Der Abschied stehe dennoch bevor und bei jedem schönen Erlebnis, frage man sich nun, war das das letzte Mal? (Premiere: 14. Dezember 2023)

4 „Die Entführung der Amygdala“

Schließlich wird am 20. Januar Schauspielerin Pina Bergemann ihre Inszenierung „Die Entführung der Amygdala“ präsentieren. Darin begeht eine Frau einen Tabubruch: „Nach einem Unfall und einer scheinbaren Amnesie, entscheidet sie sich für ein anderes Leben – jenseits ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau“, so der Vorstellungstext. Bereits mit „Leaving Carthago“ hat sich Pina Bergemann, die selbst Mutter ist, dem Thema Mutterschaft und Karriere gewidmet. Mit der „Entführung der Amygdala“ fetzt Bergemann nun endgültig das Patriarchat aus dem Schädel ihrer Protagonistin. (Premiere 20. Januar 2024)

Theater in Bewegung

Und auch wenn Schauspieler Walter Bart in „Die Hundekot-Attacke“ bereits das Publikum mit seiner neu entdeckten Tanz-Leidenschaft verwöhnen wird, die echten Tanz-Künstler werden vom 3. bis zum 11. November beim Festival „Theater in Bewegung“ auf die Jenaer Bühne geladen. Unter dem Titel „Identity“ werden fünf Tanztheaterabende geboten. Heike Faude, Kuratorin des Festivals, sagt, man habe in der Vergangenheit immer wieder festgestellt, dass Eltern auch ihre Kinder mit zu den Veranstaltungen nahmen. In diesem Jahr biete man daher erstmals Kinderkarten für das „Theater in Bewegung“ an.

„Meins“ – Diskussion über Eigentum

Letztlich wird die Diskussionsreihe „Meins“ im November, April und Mai dazu einladen, über das Eigentum nachzudenken. Der Sonderforschungsbereich“Strukturwandel des Eigentums“ der Universitäten Jena und Erfurt und das Theaterhaus gehen dabei auf Spurensuche in der Literatur. An drei literarischen Abenden wird mit den Autoren und Autorinnen Felix Lee („China, mein Vater und ich“), Jenny Erpenbeck („Heimsuchung“) und Lukas Bärfuss („Die Krume Brot“) diskutiert.

Neben diesen Höhepunkten werden unter anderem Stücke wie „Zur Wartburg“, „Making Plans“ oder „Knast“ wieder aufgelegt. Eine Spielzeit, wie sie einer letzten Spielzeit würdig zu sein scheint. Man sei trotz leichter Abschiedsmelancholie hoch motiviert „die beste Spielzeit ever“ abzuliefern, sagt Lizzy Timmers.

Das gesamte Programm findet sich unter theaterhaus-jena.de; Ticktes für die Theaterhausvorstellungen gibt es im Vorverkauf über den Ticket-Service der Tourist-Information Jena. Online-Tickets unter www.jena.de/tickets; Kartentelefon Tourist-Information Jena: 03641/498060