Erfurt. Zwei eindringliche Graphic Novels beschäftigen sich mit dem Thema Flucht Richtung Europa. Ein Autor liest am Sonntag in Weimar aus seinem Werk.
Worte, erdrückend wie schwere Wellen: „Ich bin so froh, dass ihr nicht wisst, wie es sich anfühlt, einen Ertrinkenden aus dem Wasser zu ziehen.“ Sie stammen von dem deutsch-iranischen Comiczeichner Adrian Pourviseh, Jahrgang 1995. Er tauschte vor zwei Jahren seinen Zeichentisch mit der südlichen Außengrenze der EU: Zwei Wochen arbeitete er im Mittelmeer auf dem Schiff Sea-Watch 3, dessen Crew in Seenot geratene Flüchtlinge rettet.
Seine Erlebnisse hat Pourviseh nicht nur aufgeschrieben, sondern vor allem: gezeichnet. „Das Schimmern der See“ (bei Amazon*, bei JPC*, bei Thalia*) ist eine Graphic Novel im Stil einer Reportage zum Thema Flucht, die den Fokus auf das Erlebte der Helfer legt, ohne die Schicksale der Hilfesuchenden zu vernachlässigen. Das Buch folgt keinem Diktat journalistischer Objektivität, sondern ist ein offenkundiges Plädoyer für eine andere Politik – und mehr Nächstenliebe.
Fast greifbar gemachte Emotionen
Es geht um die Panik der schiffbrüchigen Flüchtlinge, um ihre Verzweiflung, Erschöpfung, um die akribische Vorbereitung der Retter, den psychischen Druck, die Wut über die europäische Politik.
Pourviseh, dessen Großmutter aus Ostpeußen geflohen war und sein Vater als politischer Flüchtling aus dem Iran, bietet zu den mit Pinsel und Stift fast greifbar gemachten Emotionen dies- und jenseits des Rettungsrings Hintergrundinformationen, etwa zum Seerecht, das eigentlich verbietet, Menschen in Seenot nicht zu retten.
Graphic Novels zum Thema Flucht
Es sind nur ein paar Tage, dafür nervenaufreibende, die der Autor auf dem Meer verbringt, das viele Europäer nur als Sehnsuchtsort ihres Jahresurlaubs kennen. Nicht so die Helfer, die oft die letzte Hoffnung sind: „Grenzen fanden wir keine auf dem Mittelmeer, außer den Grenzen zwischen Leben und Tod.“
Flucht aus der Perspektive der Flüchtenden
Auch der Schweizer Patrick Oberholzer beschäftigt sich mit dem Thema Flucht. Für seine erste Graphic Novel „Games“ (bei Amazon*, bei JPC*, bei Thalia*) wählt er eine andere Perspektive: die der Flüchtlinge. Eine Frau und vier Männer aus Afghanistan hat Oberholzer für sein großformatiges Buch interviewt und ihre entbehrungsreichen Etappen – die sogenannten Games, eines für jedes Kapitel – eindringlich mit dem Stift nachempfunden.
Oberholzer ergänzt in dem umfangreich recherchierten Buch die Schicksale der Menschen immer wieder mit Info-Grafiken und kurzen Erklärtexten, die über Fluchtvorbereitungen, Fluchtrouten oder das Schleusersystem aufklären.
Was kostet eine Flucht? Wie organisiert man diese? Der Autor schafft es, Fragen wie diese auf einer Doppelseite und in wenigen Minuten erfassbar zu erklären, nein, zu erzählen. Mit Zeichnungen, die sich vor Marvel- oder DC-Comicstandards nicht verstecken müssen. Selten wurden Fluchtgeschichten so bewegend und informativ zugleich aufbereitet.
Adrian Pourviseh: Das Schimmern der See – Als Seenotretter auf dem Mittelmeer, Avant Verlag, 224 Seiten, 26 Euro; Patrick Oberholzer: Games – Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan, Splitter, 96 Seiten, 22 Euro;Adrian Pourviseh liest aus seinem Werk am Sonntag, 3. Dezember, 14.30 Uhr zum Kulturbrunch im Gaswerk Weimar.
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