Düsseldorf. Eine Unterzuckerung im Arbeitsalltag kann Menschen in Gefahr bringen. Dabei gibt es gute Hilfsmittel. Worauf Diabetiker achten sollten.

Über den Dächern der Stadt zu arbeiten, bedeutet für Carsten Schmidt (Name geändert) Glück. Umso erschrockener war der Dachdecker, als er mit 29 Jahren die Diagnose Diabetes Typ 1 bekam. Bei Typ-1-Diabetikern produziert die Bauchspeicheldrüse zu wenig oder gar kein Insulin, ein Hormon, das für den Kohlenhydratstoffwechsel essenziell ist. Deswegen müssen Betroffene ihren Blutzuckerspiegel regelmäßig kontrollieren und einstellen.

Bedeutet die Diagnose, dass Schmidts Job zu gefährlich für ihn werden könnte? Sollte er ins Büro wechseln, weil er in der Höhe eine Unterzuckerung, Krampfanfälle und Lähmungen, Atem- und Kreislaufstörungen bekommen und abstürzen könnte? Wie gefährlich ist die Krankheit für Berufstätige? In Deutschland sind derzeit über zwei Millionen Menschen mit Diabetes erwerbstätig.

Diabetes im Job: Per Smartphone Zuckerspiegel messen

Seit der Diagnose überwacht Carsten Schmidt seinen Bedarf an Insulin über ein sogenanntes CMS-System (Continuous Glucose Monitoring): Ein Sensor, so groß wie ein 2-Euro-Stück, misst den Blutzucker im Gewebe kontinuierlich. Über eine App auf dem Smartphone kontrolliert Schmidt den Verlauf der Werte. Die Systeme können vor Unter- und Überzuckerung warnen und mit einer Insulinpumpe verknüpft werden.

Arbeitsmediziner Kurt Rinnert, leitender Arzt beim Betriebsärztlichen Dienst der Stadt Köln, sagt dazu: „In kritischen Arbeitsfeldern wie bei Carsten Schmidt sollten Kollegen als ,Follower‘ der App dabei helfen, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Wenn sie Bescheid wissen und auf Symptome einer möglichen Unterzuckerung wie plötzliche Schwäche achten, lassen sich Risiken weiter minimieren.“ Schon deshalb lohne es sich, die Erkrankung im Betrieb offen anzusprechen.

Arbeitsunfähigkeit: Diabetes nur selten die Ursache

Diabetologin Jolanda Schottenfeld-Naor erklärt: Wenn der Diabetes stabil eingestellt sei, die Patientinnen und Patienten gut geschult seien und sich an die Sicherheitsvorkehrungen hielten, könnten sie auch Berufe wie Dachdecker weiter ausüben. Wie Rinnert kämpft Schottenfeld-Naor dafür, dass Diabetes-Patienten in Betrieben ohne Skepsis betrachtet werden.

„Diabetes ist nur selten die Ursache für Arbeitsunfähigkeit, wir haben auch keine Daten für eine erhöhte Unfallgefahr“, sagt Rinnert. Diabetiker sollten grundsätzlich alle Berufe ausüben können, sofern sie sich dafür als geeignet ansehen. „Hinderungsgründe müssten zukünftig im Einzelfall begründet werden“, meint Rinnert. Und ergänzt: „Die Erkrankung muss beispielsweise bei Bewerbungen nur erwähnt werden, wenn sie einen relevanten Einfluss auf den Job haben könnte.“

Der Hintergrund: Wer blutzuckersenkende Medikamente oder Insulin nimmt, könnte bei einer schweren Unterzuckerung zur Gefahr für sich selbst oder andere werden. Das gilt etwa für Menschen, die in ihrem Beruf Waffen tragen müssen, oder für Piloten.

In Deutschland und vielen anderen Ländern Europas dürfen Typ-1-Diabetiker, die Insulin nehmen, keinen Pilotenschein machen. Doch Kurt Rinnert merkt an: „Speziell für Piloten zeigen britische Studien seit vielen Jahren, dass es keine Hinweise für riskante Situationen gibt und damit auch keinen triftigen Grund mehr, Menschen mit einem insulinpflichtigen Diabetes von der Pilotentätigkeit auszuschließen.“

Arbeiten mit Diabetes: Tipps für den Alltag im Job

Jolanda Schottenfeld-Naor gibt Tipps für normale Situationen im beruflichen Alltag: „Wenn ein Meeting länger als geplant dauert, sollte man ein süßes Getränk oder Traubenzucker parat haben, falls der Blutzuckerspiegel angehoben werden muss.“

Steht eine schwere Anstrengung bevor, empfiehlt die Diabetologin, vorher den Zuckerwert zu bestimmen, die Insulindosis zu reduzieren und Kohlenhydrate, also etwa einen Müsliriegel, zu sich zu nehmen. Für diejenigen, die bei ihrer Arbeit Sicherheitsschuhe tragen müssen, gibt es extra weich gefütterte Modelle, die die empfindlichen Diabetikerfüße vor Druckstellen bewahren können.

Diabetes im Arbeitsalltag kontrollieren: Über ein sogenanntes CMS-System (Continuous Glucose Monitoring) messen Betroffene den Blutzucker im Gewebe per Smartphone fortlaufend.
Diabetes im Arbeitsalltag kontrollieren: Über ein sogenanntes CMS-System (Continuous Glucose Monitoring) messen Betroffene den Blutzucker im Gewebe per Smartphone fortlaufend. © iStock | istock

Medikamente statt Insulin: Das sind die Vorteile

Die Diabetologin sieht in ihrer Praxis nicht nur Menschen mit körperlich fordernden Berufen wie Carsten Schmidt, den Typ-1-Diabetiker, sondern auch diejenigen, die etwa am Steuer von Taxi oder Bus Verantwortung für Mitfahrende übernehmen müssen. „Wenn sie von Typ-2-Diabetes betroffen sind, verschreibe ich als Alternative zum Insulin häufig Medikamente, etwa SGLT2-Hemmer. Dann fällt in der Regel das Spritzen weg, weil die Glucose verstärkt über den Urin ausgeschieden wird, und sie können zudem das Körpergewicht senken.“

Bewegen sich die Blutzuckerwerte im grünen Bereich, sind Menschen mit Diabetes nach Erfahrung von Kurt Rinnert und Jolanda Schottenfeld-Naor hoch motiviert, ihre Aufgaben im Beruf zu erfüllen. „Die wenigsten entscheiden sich, den Job zu wechseln – etwa weil er ihnen zu stressig ist oder viel Schichtarbeit ansteht“, sagt Schottenfeld-Naor.

Bei solchen Belastungen gibt es aber auch Unterstützung im Unternehmen durch Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsärzte: „Sie können mithilfe einer Checkliste dabei unterstützen, die Diabetes-Therapie an die Bedingungen des Arbeitsplatzes anzupassen, damit der Diabetiker gut weiterarbeiten kann“, sagt Kurt Rinnert.

Mit Diabetes sicher Arbeiten: Gute Anlaufstellen für Betroffene

  • Die Initiative Diabetes@work will den Umgang mit Diabetes in der Arbeitswelt verbessern. Auf ihrer Webseite kann auch eine Checkliste für die arbeitstaugliche Diabetes-Therapie heruntergeladen werden.
  • Mit der Frage, was bei Diabetes in Ausbildung und Beruf beachtet werden muss, befasst sich das Diabetesinformationsportal des Helmholtz Zentrums München, des Deutschen Diabetes-Zentrums und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung
  • In der Rehadat-Wissensreihe ist ein Leitfaden zum Thema Diabetes am Arbeitsplatz erschienen. Darin geht es auch um die Frage, ab welchem Grad der Behinderung ein Diabetiker einen Schwerbehindertenausweis erhalten kann. Rehadat ist ein unabhängiges Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen.