Berlin. In Großbritannien verbreitet sich eine Mutation des Coronavirus. Die neue Form soll viel ansteckender sein – aber auch gefährlicher?

Eine neue Variante des Coronavirus verbreitet sich in Großbritannien. Sie könnte nach Meinung von Experten die dominierende Variante von Sars-CoV-2 werden und soll wesentlich ansteckender sein, als die bekannte Form. Aber ist sie auch gefährlicher? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Coronavirus-Mutation: Was ist bislang bekannt?

Die britische Regierung geht derzeit davon aus, dass sich die mutierte Virusvariante VUI2020/12/01 wesentlich leichter verbreitet. Um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form sei die Variante, sagte der britische Premierminister Boris Johnson.

„Sie breitet sich rasch aus und ist dabei, die dominierende Variante zu werden“, sagte auch Patrick Vallance, der oberste wissenschaftliche Regierungsberater. Im Dezember hätten 60 Prozent der Neuinfektionen in London die neue Variante betroffen, so Vallance.

In einer ersten Analyse schreiben Wissenschaftler mehrerer britischer Universitäten, die mutierte Variante weise eine ungewöhnlich große Anzahl von genetischen Veränderungen auf, insbesondere im Spike-Protein. Mit Hilfe des Spike-Proteins dringt das Virus in die Körperzellen ein.

Ob das Virus dadurch tatsächlich so viel ansteckender geworden ist, wie es der britische Premierminister erklärte, stellt der Leiter des Projekts Mutationsdynamik von Sars-CoV-2 in Österreich, Andreas Bergthaler, jedoch in Frage: „Man weiß nicht genau, was diese Mutationen machen. Auch nicht in Kombination. Das ist alles andere als klar.“

Auch Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, schreibt im Kurznachrichtendienst Twitter, die Verbreitung könne Zufall sein und müsse nicht zwingend auf einen Selektionsvorteil zurückgehen. In Deutschland sei die neue Variante bislang nicht gesehen worden.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Selektionsvorteil bedeutet eine Veränderung des Virus, die ihm einen Vorteil bringen könnte – etwa infektiöser zu sein.

VUI2020/12/01: Ist die neue Virus-Variante gefährlich?

Einige der Mutationen könnten eher eine abschwächende Wirkung haben, andere eine verstärkende, sagt Andreas Bergthaler. „Eine andere Mutation, die sogenannte 69-70del, weist darauf hin, dass das Virus der menschlichen Immunantwort leichter entkommen könnte“, erklärt der Immunologe vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Hinweise darauf, dass die Mutation zu schwereren Covid-19-Fällen führt, gibt es laut Bergthaler nicht. Auch Boris Johnson sagte am Samstag: „Es gibt immer noch viel, das wir nicht wissen. Aber es gibt keine Beweise, dass die neue Variante mehr oder schwerere Krankheitsverläufe auslöst.“ Auch eine höhere Sterblichkeit sei bislang nicht festgestellt worden.

Die Untersuchungen zu der Mutation laufen jedoch noch. Die britischen Behörden stehen dazu auch in engem Kontakt mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie die Organisation am späten Samstagabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb.

Könnte die Mutation die Impfung unwirksam machen?

Wie auch schon bei anderen Mutationen zuvor sehen Experten hier derzeit keinen Grund zur Sorge. „Ich erwarte nicht, dass eine Impfung unwirksam wird“, sagt Andreas Bergthaler.

Viele der Corona-Impfungen seien so aufgebaut, dass der Körper einen bestimmten Teil des Virus erhält oder nachbaut, auf die das Immunsystem dann mit der Bildung von Antikörpern reagiert. „Infiziert sich dann jemand mit einer mutierten Virusvariante, bedeutet das nicht, dass die nach der Impfung gebildeten Antikörper wirkungslos sind“, so Bergthaler. Denn es gebe mehrere Angriffsziele, an denen Antikörper eine Vermehrung des Virus verhindern könnten. Lesen Sie hier:Corona – Bundesregierung kauft Millionen Impfdosen nach

Ist diese Mutation des Coronavirus ungewöhnlich?

Nein, das Coronavirus ist seit Beginn der Pandemie bereits unzählige Male mutiert. Bekannt wurde etwa eine neue Virus-Variante, die von Nerzen auf den Menschen übergangen ist.

Diese sogenannte Cluster-5-Variante, die vor allem in Dänemark und in den Niederlanden aufgetreten war, wies eine Veränderung am Spike-Protein auf, das das Virus braucht, um in Körperzellen einzudringen. Die Sorge jedoch, dass die Mutation die Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen beeinträchtigen könnte, ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern auch in diesem Fall wahrscheinlich unbegründet.

Eine der am besten untersuchten und inzwischen am weitesten verbreitete Mutationen trägt den Namen D614G. Sie hat in Zellkulturen und in Experimenten mit Tieren die Infektiosität des Coronavirus erhöht, nicht jedoch zu schwereren Krankheitsverläufen geführt, wie Wissenschaftler im Fachblatt „Science“ schreiben.

Lesen Sie hier: Virologe Drosten – Coronavirus-Mutation wohl schon in Deutschland

Warum mutieren Viren?

Mutationen sind ein Zufallsprodukt der Natur und passieren ständig. Das Erbgut des Virus besteht aus 30.000 Buchstaben. Bei der Vermehrung des Virus – wenn also diese Buchstaben kopiert werden – entstehen immer wieder Fehler. Diese Fehler können zwei Effekte haben:

Sie können die Infektiosität verändern oder den Krankheitsverlauf. „Grundsätzlich kann man erwarten, dass ein Virus sich auf die Lange Sicht abschwächt und dafür infektiöser wird“, sagt Bergthaler. So könne es sich maximal verbreiten. „Aber so einfach ist es nicht immer“, so der Immunologe. Es hänge auch von der Umgebung – sprich vom Menschen und seinem Immunsystem – ab, ob eine Mutation Vor- oder Nachteil ist. (lary/dpa)