Berlin. . Forscher haben menschliche Zellen mit denen von Affen vermengt. Sie betreten einen ethischen Graubereich im Dienste der Menschheit.

Spenderorgane sind rar, die Nachfrage groß. Allein in Deutschland stehen 9200 Menschen auf der Warteliste für eine Transplantation, denen im Jahr 2020 gerade einmal 913 Organspenderinnen und Organspender helfen konnten oder wollten.

Forschende wollen diesem Mangel in Zukunft mit gezüchteten Organen Abhilfe schaffen. Dazu vermengen sie auch menschliche Zellen mit tierischen und erschaffen Mischwesen – ein Ansatz, der bei Manchen ein Unwohlsein hervorrufen dürfte und zahlreiche ethische Fragen aufwirft.

In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Cell" berichtet ein internationales Forscherteam davon, Embryonen gezüchtet zu haben, die aus menschlichen Zellen und Zellen von Affen bestehen. Die Gruppe um Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (US-Bundesstaat Kalifornien) injizierte dazu jeweils 25 menschliche Stammzellen in sechs Tage alte Makaken-Embryonen im Frühstadium, so genannten Blastozysten.

Ausgereifte Lebewesen gingen aus den Experimenten nicht hervor, die Wissenschaftler untersuchten die Entwicklung der Embryonen für rund 20 Tage im Labor.

"Spannende Grundlagenforschung"

"Da wir bestimmte Arten von Experimenten nicht am Menschen durchführen können, ist es wichtig, dass wir bessere Modelle haben, um die menschliche Biologie und Krankheit genauer zu untersuchen und zu verstehen", erläutert Studienleiter Izpisua Belmonte die zugrundeliegende Motivation. Die chimärischen Verfahren könnten sich als sehr nützlich erweisen, nicht nur für die biomedizinische Erforschung der frühesten Lebensphase, sondern auch für die spätere Lebensphasen.

Der Stammzellforscher Hans Schöler sieht die Studie als "spannende Grundlagenforschung". Die tatsächliche Züchtung von Organen in solchen Chimären sei jedoch noch "ganz ganz fern", sagt der Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, der nicht an der Studie beteiligt war.

Auch den Autoren der Studie zufolge sollen die Mensch-Makaken-Chimären nicht als Organ-Lieferanten dienen, sondern vielmehr grundlegende Fragestellungen klären helfen. Die Wissenschaftler verweisen auf eigene frühere Untersuchungen, bei denen menschliche Zellen mit denen von Schweinen vermengt worden waren - mit äußerst geringem Erfolg. Nur wenige menschliche Zellen waren in das Gewebe der Schweine integriert, wie sie ebenfalls im Fachmagazin "Cell" berichtet hatten.

Wie eng verwandte Sprachen

Mit den Makaken wählten sie nun einen engeren Verwandten des Menschen. "Die Schaffung einer Chimäre zwischen einem Menschen und einem nicht-menschlichen Primaten, einer Spezies, die mit dem Menschen auf der evolutionären Zeitachse näher verwandt ist als alle bisher verwendeten Spezies, wird es uns ermöglichen, einen besseren Einblick zu gewinnen, ob es evolutionär bedingte Barrieren für die Erzeugung von Chimären gibt und ob es Mittel gibt, mit denen wir diese überwinden können", erläutert Izpisua Belmonte.

Er vergleicht den Versuch, verschiedene Arten miteinander zu verschmelzen, mit der Kommunikation in Fremdsprachen: Zellen von Schwein und Mensch zu vermengen sei etwa so, wie zu versuchen, die gemeinsame Ebene von Chinesisch und Französisch zu finden. Bei Mensch-Affen-Chimären operierten die Zellen eher wie eng verwandte Sprachen, etwa Französisch und Spanisch.

Tatsächlich entwickelten sich die Makaken-Blastozysten anfangs nur wenig langsamer als Makaken-Embryonen ohne menschlichen Zellen. Zunächst wuchsen alle 132 Embryonen, nach zehn Tagen waren es noch 103. Danach sank die Zahl der lebensfähigen Embryonen schneller. Am Ende der Studie – am Tag 19 nach der Befruchtung – lebten noch drei. Viel wichtiger aber: In vielen der Embryonen hatten sich die menschlichen Zellen erfolgreich vermehrt. Die Nähe der Arten könnte also tatsächlich zu besseren Ergebnissen geführt haben.

Ein empfindliches Gleichgewicht

"Die Publikation zeigt, wie außerordentlich schwierig solche Versuche sind", kommentiert Schöler die Studie. "Die menschlichen und tierischen Zellen beeinflussen sich gegenseitig und stehen mitunter auch miteinander im Wettbewerb." Insofern könnten nur wenige Signale ausreichen, um das Gleichgewicht zwischen Zellverbänden zu stören. Dies hänge auch nicht nur von der evolutionären Distanz zweier Arten ab. "Auch einzelne Gene können einen Unterschied machen", sagt Schöler.

Die Erkenntnisse aus der Studie sollen den Forschern zufolge dazu beitragen, künftig auch Chimären von weniger eng verwandten Arten erzeugen zu können – etwa von Mensch und Schwein. Die Nutzung von Schweinen sei aus mehreren Gründen – wirtschaftlichen und ethischen – angemessener, wenn es darum gehe, Organe zu züchten, Krankheiten wie etwa Krebs zu erforschen und spezielle Therapien, etwa neue Arzneimittel, zu entwickeln.

Darf man das?

Der ethischen Tragweite ihrer Experimente sind sich die Forscher um Izpisua Belmonte bewusst. Sie betonen, diese seien mit größter Sorgfalt und in Abstimmung mit den regulatorischen Behörden geplant worden. "Bei der Schaffung und Untersuchung embryonaler Mensch-Tier-Chimären sind ethische Fragestellungen wichtig, insbesondere wenn nicht-menschliche Primaten betroffen sind", schreiben sie. Auch deshalb habe man sich bei der Studie auf die Frühphase der Embryonalentwicklung beschränkt.

Gerade die Erzeugung chimärer Blastozysten mit menschlichen Zellen werfe besondere ethische Fragen auf, schreiben Henry Greely von der Stanford University und Nita Farahany von der Duke University in einem in "Cell" veröffentlichtem Kommentar zu der Studie. Schließlich könnten sich die menschlichen Zellen im sich entwickelnden Embryo ausbreiten und sich zu unterschiedlichen Zelltypen entwickeln. Entscheidend sei, dass die Embryonen in diesem Fall nicht etwa in eine Gebärmutter über- und dort ausgetragen wurden, letztlich also keine lebensfähigen Tiere entstanden.

Dennoch seien auch für diese Experimente Aspekte etwa zum Tierschutz oder dem Umgang mit menschlichen Spenderzellen kritisch zu prüfen. Zudem wiesen die Experimente darauf hin, dass auch weitergehende Versuche bis hin zur Geburt von Mischwesen wenigstens möglich erscheinen. "Wir müssen beginnen, über diese Möglichkeit nachzudenken", schreiben die Forscher.

Grundsätzlich sinnvoll

Versuche wie die aktuell vorgestellten wären nach Ansicht deutscher Experten grundsätzlich auch hierzulande möglich. "Die aktuellen Experimente zu Tier-Mensch-Mischwesen werden mit tierischen Embryonen und menschlichen induzierten pluripotenten (Alleskönner-) Stammzellen durchgeführt", erläutert Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) in Göttingen. "Induzierte pluripotente Stammzellen werden zum Beispiel aus Hautzellen hergestellt und fallen weder unter das Embryonenschutzgesetz noch unter das Stammzellgesetz, das den Umgang mit aus menschlichen Embryonen gewonnenen Alleskönner-Stammzellen regelt."

Der Forscher hält den Ansatz, Organe aus menschlichen Zellen in Chimären herzustellen, grundsätzlich für sinnvoll. "Allein in Deutschland sterben statistisch jeden Tag drei Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, aber keines bekommen, da keine Organe verfügbar sind. Insofern ist es ein hochrangiges Ziel, Alternativen zur klassischen Organspende zu erforschen und zu testen, ob sie praxistauglich sind."

Mischwesen aus Mensch und Affe hält er dabei aus ethischen Gründen für problematisch, Maus-Mensch oder Schwein-Mensch-Chimären müssten aber anders bewertet werden. "In Schwein-Mensch-Mischwesen sehe ich gute Chancen, bei gleichzeitig sehr geringen Risiken, Organe für Transplantationen herzustellen. Ob diese Art der Herstellung von Ersatzorganen aus menschlichen Zellen und damit die vielleicht einmal möglich werdende Rettung von todkranken Menschen eine ausreichende Rechtfertigung für die Herstellung von Schwein-Mensch-Mischwesen ist, muss jeder einzelne für sich, die Gesellschaft als Ganzes und dann schließlich rechtlich verbindlich der Gesetzgeber für den Geltungsbereich seiner Gesetze entscheiden." (pcl/dpa)