Hamburg/Kiel. Beim HSV herrschte noch vor einer Woche Totenstille. Jetzt kommt Euphorie auf. Mit Interimstrainer Hrubesch ist das Siegerlachen zurückgekehrt. Es geht aber nur noch um die kleine Lösung.

Horst Hrubesch schwitzte wie nach einem 5000-Meter-Lauf. Rotes Gesicht, müde Augen, mit den Kräften am Ende.

Der Interimscoach des Hamburger SV hatte beim 5:2 (3:1) gegen den 1. FC Nürnberg ähnlich geackert wie seine Profis. "Ein bisschen arbeiten muss man schon dabei, bei der ganzen Geschichte", sagt der 70-Jährige bei Sky. "Auf der Bank musst du auch ein bisschen was tun."

Besser hätte der Trainereinstand des einstigen HSV-Torjägers nicht laufen können. Fünfmal in Serie hatte die Mannschaft unter dem Kommando von Ex-Trainer Daniel Thioune nicht gewonnen und damit den direkten Aufstieg in die Fußball-Bundesliga verspielt. Dann kommt Hrubesch, redet mit seinen verunsicherten Spielern, haut ihnen auf die Schultern, macht Späßchen - und der Laden läuft.

Mit dem ersten Punktedreier nach sieben Wochen ist in den Volkspark Zuversicht zurückgekehrt. Das ganz große Rad wird der HSV nicht mehr drehen können, das hat auch Hrubesch eingesehen. Aber die Relegation sieht der Kurzzeittrainer als machbar an - und das, obwohl der Tabellendritte Greuther Fürth drei Punkte Vorsprung auf den HSV hat. Nur wenn die Franken von ihren letzten und schweren Spielen gegen Paderborn und Düsseldorf patzen, kann der HSV noch auf Rang drei springen. Hrubesch: "Wenn der liebe Gott mit uns ist, dann gehen wir vielleicht in die Relegation."

Allein mit Handauflegen war die Sache gegen Nürnberg nicht getan. Zu Beginn profitierten die Hamburger vom Glück, was ihnen in den Partien zuvor versagt geblieben war. Bei einem durchaus möglichen 1:1 wäre das Spiel vermutlich anders gelaufen. Denn die Startphase ließ keineswegs ein hanseatisches "Mia san mia" vermuten. "Man hat am Anfang gesehen, dass wir nicht so genau wussten, wo wir stehen", räumte Hrubesch ein. Doch mit den beiden Führungstoren wurden die Hamburger kecker, selbstbewusster.

Ein brillanter Schachzug gelang Hrubesch mit dem ersten Startelf-Einsatz des 21-jährigen Robin Meißner. Quicklebendig mit einem starken Zug zum Tor und guter Schusstechnik ergänzte er sich mit Torjäger Simon Terodde als Doppelspitze. "Der Junge hat einen Superjob gemacht", lobte Hrubesch, der den Burschen aus der U21 kennt. Bei Thioune war Meißner nur zu wenigen Kurzeinsätzen gekommen. "Du hast einfach Qualität, die musst du nutzen", betonte Hrubesch.

Warum das mentale Gebilde in der Mannschaft aber so fragil ist, stellt den Interimstrainer vor Rätsel. "Warum das jetzt so ist, kann ich mir auch nicht genau erklären", gestand Hrubesch und fasste die Vergangenheit so zusammen: "Sie hatten das Vertrauen in sich selber nicht gehabt." Bei aller Euphorie um "Hotte" rückt Kapitän Tim Leibold das Bild gerade. "Wir müssen nicht alles über den grünen Klee loben. Wir haben nur drei der letzten 13 Spiele gewonnen", monierte der Linksverteidiger.

Dass er nicht mehr die Nummer eins im Norden ist, nimmt der HSV maulend zur Kenntnis. Holstein Kiel als kleinerer Verein mit bescheideneren Mitteln zeigt dem einstigen Platzhirschen an der Alster, wie es gemacht wird. Der direkte Aufstieg ist greifbar nahe. Doch die vergangene Doppel-Quarantäne mit der Nachholhatz alle drei Tage schlaucht die Mannschaft. "Wir sind auf einem guten Weg. Aber heute hat man gesehen, dass wir langsam auf der letzten Rille laufen", räumte Kiels Siegtorschütze Fin Bartels nach dem mühsamen 1:0 über Hannover 96 ein. Viel Benzin ist nicht mehr im Tank. Kapitän Hauke Wahl aber versprach: "Wir werden Vollgas geben."

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