Berlin. Der frühere Bundestrainer rechnet in einem internen Protokoll mit den Berlinern ab. Die erwägen jetzt rechtliche Schritte.

Eine Art Tagebuch über das Kurzzeit-Engagement von Jürgen Klinsmann rechnet in beispielloser Weise mit Hertha BSC ab.

Inwiefern der 55 Jahre alte ehemalige Fußball-Bundestrainer das Protokoll, das die "Sport-Bild" in gekürzter Form abdruckte, in Auftrag gegeben oder autorisiert hat, blieb zunächst unklar. Es soll sich um ein internes Papier für den Ex-Coach und dessen Partner handeln, das geleakt worden sein soll. Die Klinsmann-Seite wollte sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochmorgen nicht weiter dazu äußern.

Geheimprotokoll enthält schwere Vorwürfe gegen Hertha BSC

In der internen Bestandsaufnahme und Analyse des 77-Tage-Auftritts von Klinsmann in der Hauptstadt werden massive Vorwürfe gegen den Club erhoben. Praktisch Tag für Tag wird darin geschildert, welche angeblichen Fehlleistungen sich die Hertha-Verantwortlichen in der kurzen Klinsmann-Ära leisteten.

Es wird von einer "Lügenkultur" geschrieben, einer Mannschaft, die bei der Übernahme durch Klinsmann in einem "katastrophalen Zustand" gewesen sei, von Klinsmanns Versuch, Ralf Rangnick für den Verein zu gewinnen, und erste Gedanken des Schwaben schon Ende Dezember, das Engagement wieder zu beenden.

Hertha erwägt rechtliche Schritte gegen Klinsmann

"Abgesehen davon, dass nahezu sämtliche darin enthaltenen Vorwürfe und Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen, ist uns auch im Interesse von Jürgen Klinsmann daran gelegen, diese Personalie zu einem würdigen Ende zu bringen", sagte ein Hertha-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in einer ersten Reaktion des Fußball-Bundesligisten auf den Beitrag der "Sport Bild".

Hertha-Sportdirektor Michael Preetz behält sich nach Klinsmanns Rundumschlag rechtliche Schritte gegen den 55-Jährigen vor. Dies sagte Preetz auf der Spieltags-Pressekonferenz am Mittwoch vor dem Duell bei Fortuna Düsseldorf am Freitag (20.30 Uhr/DAZN).

Das Klinsmann-Intermezzo hallt aber nicht nur nach, mit diesem Protokoll sorgt es für ein weiteres Beben bei dem sportlich schwer kriselnden Club. Erst am vergangenen Sonnabend hatte die Mannschaft, die derzeit von Klinsmanns Assistenten Alexander Nouri verantwortlich trainiert wird, eine desaströse Leistung gezeigt und zu Hause mit 0:5 verloren. Fans des 1. FC Köln hatten gegen Ende höhnisch "Jürgen Klinsmann" skandiert.

Klinsmanns Abgang stürzte Hertha ins Chaos

Klinsmann hatte den Posten am 27. November von Ante Covic übernommen. In dem Schreiben für Klinsmann heißt es: "Der Klub wäre ohne den Trainerwechsel Ende November direkt in die 2. Liga abgestiegen, weil er auf diese Situation gar nicht vorbereitet ist." Klinsmann, der als Cheftrainer des FC Bayern München 2008/09 schon vor Ablauf der Saison gescheitert war, pries den Big City Club der Zukunft. Die Spieler lobten wiederum den ehemaligen Bundestrainer Klinsmann für dessen motivierende und aufbauende Art.

Klinsmann kassierte in der Liga mit der Mannschaft drei Niederlagen, schaffte drei Unentschieden und feierte drei Siege. Im DFB-Pokal schied er im Achtelfinale mit den Berlinern gegen den FC Schalke 04 aus. Am 11. Februar erklärte Klinsmann sein Engagement völlig überraschend wieder für beendet und stürzte den Verein nach ohnehin schon turbulenten Wochen und Monaten ins Chaos.

Hertha reagierte und sah auch keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit Klinsmann im Aufsichtsrat. Dort hatte Investor Lars Windhorst Klinsmann zunächst installiert, ehe die Trennung von Covic den Weg auf die Trainerbank frei gemacht hatte.

Spieler sollen kein Vertrauen zu Hertha-Manager Preetz haben

Seinen Rücktritt hatte Klinsmann bei Facebook erklärt und seinen Entschluss mit fehlendem Vertrauen begründet. Die Vorwürfe in dem Protokoll gehen darüber weit hinaus und machen auch vor verbalen Angriffen auf handelnde Personen nicht halt. Geschäftsführer Preetz werden zum Beispiel "katastrophale Versäumnisse" in allen Bereichen, die mit Leistungssport zu tun haben, unterstellt. Eine "Lügenkultur" soll auch das Vertrauensverhältnis der Spieler zu Preetz zerstört haben.

Fehler, die Klinsmann in seiner kurzen Zeit gemacht haben könnte, werden in dem Schreiben nicht thematisiert. Dagegen steht unter der Überschrift: "Was muss passieren, um diesen Klub wirklich nach oben zu bringen? Die Geschäftsleistung müsse sofort (fettgedruckt und unterstrichen) komplett ausgetauscht werden."

Preetz: Vorwürfe "widerlich und unverschämt"

Preetz vor den Mund, nannte die Anschuldigungen gegen die Medien- und medizinische Abteilung der Alten Dame „widerlich und unverschämt“, das sei „perfide“ und werde „auf das Schärfste zurückgewiesen. Das sind alles Menschen, die 24 Stunden pro Tag für diesen Verein im Einsatz sind“.

Er selbst gab sich kämpferisch. „Ich halte das aus. Ich bin stabil. Das hat auch mit meiner Verantwortung für den Verein zu tun“, sagte er. Preetz warf Klinsmann auch eine unehrliche Art vor. Die Vorwürfe gegen Herthas Mitarbeiter seien vom dem früheren Bundestrainer in der zehnwöchigen Amtszeit „zu keiner Zeit persönlich geäußert worden“.

Klinsmann rief Nouri vor Spielen an

Interimstrainer Nouri wusste von der Kritik Klinsmanns zuvor nichts. „Das kam für mich auch überraschend“, sagte Nouri, der von seinem Vorgänger in den Club geholt worden war. Klinsmann habe ihn auch nach seinem Rücktritt vor Spielen angerufen, um der Mannschaft viel Glück zu wünschen.

Auf die Frage, ob Klinsmann auch schon vor der Partie am Freitag gegen Düsseldorf angerufen habe, rutschte Nouri am Mittwoch heraus: „Hat er jetzt leider … hat er noch nicht.“ Klinsmann habe es mit seinen Anrufen gut gemeint und viel Glück wünschen wollen, „mehr nicht“, ergänzte Nouri. Preetz schaute den Coach zwar überrascht an und rang sich ein Schmunzeln ab, kommentierte den Versprecher aber nicht.