Berlin. Es wird auf Jahre alles teurer werden. Die europäischen Politikerinnen und Politiker müssen diese Wahrheit endlich einmal aussprechen.

Jeder von uns bekommt es in nahezu allen Bereichen des Lebens mit: Im ausklingenden zweiten Jahr der Corona-Pandemie wird fast alles teurer. Lebensmittel, Tanken, Strom, der Friseurbesuch und, und, und… Darauf angesprochen, ist von Politikerinnen und Politikern oft nur eine mantraartige Antwort zu hören.

Tenor: Die derzeit besonders hohe Teuerungsrate liege vor allem am Wegfall von Sondereffekten wie der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung im vergangenen Jahr. 2022 werde sich wieder alles normalisieren. Bloß keine Panik in dieser aufreibenden Zeit, heißt es.

Inflationsrate kann auf bis zu drei Prozent steigen

Ja, an dieser Argumentation ist etwas dran. Die sechsmonatige Senkung der Mehrwertsteuer und die im vergangenen Jahr besonders niedrigen Ölpreise haben in der zweiten Hälfte von 2020 dafür gesorgt, dass die Preise im Durchschnitt sogar gesunken sind. Im November und Dezember um jeweils 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Aber, und das wird in der Diskussion gerne ausgeblendet: Nicht nur in Deutschland ist die Teuerungsrate mit zuletzt 5,2 Prozent im November besonders hoch. Auch die Schicksalsgemeinschaft der 19 Staaten der Eurozone kam im vergangenen Monat auf eine Inflationsrate von durchschnittlich satten 4,9 Prozent – ohne dass es flächendeckende temporäre Steuersenkungen gab.

Zu Recht warnt Bankenverbandspräsident Christian Sewing also davor, dass bei der Inflation ein „Etagenwechsel“ stattfindet. Seit Einführung des Euros vor 20 Jahren haben wir uns an eine vergleichsweise langsame Steigerung der Preise gewöhnt. Die Gemeinschaftswährung hat sich mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von jährlich rund 1,5 Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Stabilitätsanker erwiesen – der „Teuro“-Spott war unberechtigt.

Doch damit ist es vorbei. Sewings Schätzung von 2,5 bis drei Prozent pro Jahr als neue Normalität klingt realistisch.

Die erhoffte Zinswende wird es auf absehbare Zeit nicht geben

Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent
Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Genau diese Wahrheit muss dringend von der Politik und auch von den Währungshütern bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgesprochen werden. Mit ihrer ultralockeren Geldpolitik wollte die EZB eine Teuerungsrate von etwa zwei Prozent erreichen. Jetzt liegt die Inflation deutlich über der angestrebten Marke.

Der seit einem Jahrzehnt gefahrene Kurs der Null- und Negativzins-Politik zur Rettung des Euros und Ankurbelung der Wirtschaft hat in eine Sackgasse geführt. Die EZB kann 2022 nicht einfach die lange erhoffte Zinswende – also die Erhöhung der Leitzinsen – einleiten, wie das etwa in den USA geschehen wird. Gehen die Europäer diesen Schritt, droht gleich wieder die nächste Krise bei der Finanzierung wackeliger Euro-Staaten.

Und auch Deutschland bekäme ein dickes Problem. Die Negativzinsen auf deutsche Staatsanleihen spülen allein in diesem Jahr rund sechs Milliarden Euro in die Kasse von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Die Lohn-Preis-Spirale könnte ins Drehen kommen

Anlass zur Sorge gibt auch der Ausblick auf das Jahr 2022. Die Landwirte schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, weil die Düngerpreise in astronomische Höhen steigen. Gleiches gilt für etliche Vorprodukte der Industrie. Auch der Ölpreis klettert nach einer kurzen Phase der Erholung wegen Sorgen um die Omikron-Variante des Coronavirus wieder nach oben. Baumaterial bleibt knapp und teuer.

All das wird die Preise für alle möglichen Produkte weiter verteuern. Gewerkschaften werden das in ihre anstehenden Tarifrunden einfließen lassen. Bislang hieß es, das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale sei gering. Doch inzwischen sollte jedem klar sein, dass sich hier der perfekte Sturm für ein weiteres Aufschaukeln zusammenbraut. Darüber muss endlich ehrlich diskutiert werden.

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