Wolfsburg. Volkswagen-Chef Herbert Diess erwägt laut eines Berichts den Abbau von bis zu 30.000 Jobs. Damit wäre jede vierte Stelle betroffen.

VW-Konzernchef Herbert Diess bleibt seiner Linie treu und setzt auf Schocktherapie. In einer VW-Aufsichtsratssitzung Ende September warnte er nach Informationen unserer Zeitung vor den Folgen, sollte die Marke VW nicht deutlich produktiver und profitabler werden. Unklar ist jedoch, ob er dabei – wie vom „Handelsblatt“ berichtet – die Zahl von 30.000 Arbeitsplätzen nannte, die in Deutschland auf dem Spiel stünden. Klar ist dagegen: Die Sorge vor dem Konkurrenten Tesla, der in Wolfsburgs Nachbarschaft ein neues Werk baut, wächst rasant, der Standort Wolfsburg gerät damit noch mehr unter Druck – in Wolfsburg brodelt es gewaltig.

Dass Diess gerne aneckt, wachrütteln will, auf Beschleunigung des Wandels hin zu Digitalisierung und Elektro-Mobilität drängt, ist nicht neu. Dennoch hat er den Aufsichtsrat überrumpelt oder zumindest überrascht, wie unsere Zeitung erfuhr, als er unter dem unverdächtigen Tagesordnungspunkt „Bericht des Vorstands“ zu Wort kam. Die Gelegenheit soll er genutzt haben, um Probleme der Konzern-Kernmarke anzusprechen.

Tesla sitzt VW zunehmend im Nacken

Dabei sei es vor allem um Kosten und Produktivität gegangen – Themen, die in Wolfsburg ohnehin Dauerbrenner sind. Nicht nur Konkurrenten wie Toyota und Stellantis sitzen VW im Nacken, sondern zunehmend Tesla. Im September wurden in Deutschland nur noch 58 VW-Gölfe mehr neu zugelassen als Model 3 von Tesla, wie aus Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes hervorgeht. Zwar ist die Statistik verzerrt, weil der Chip-Mangel Produktionsunterbrechungen vor allem bei VW erzwingt, sie zeigt aber doch, wie dicht Tesla aufrückt.

Dabei startet die Tesla-Produktion in Deutschland erst Ende des Jahres. Dann wird der Druck auf VW noch zunehmen. In Wolfsburg heißt es, dass der US-Autobauer seine Fahrzeuge mindestens doppelt so schnell baut wie VW. Das gelte auch für die E-Modelle von VW. Dieser Vergleich zeigt, wie groß der Handlungsdruck in Wolfsburg ist.

VW will 2026 mit Blick auf Fahrzeug- und Produktionstechnik zu Tesla aufschließen. Der Hoffnungsträger heißt Trinity, der ab 2026 in Wolfsburg gebaut werden soll. Er soll das Spitzenmodell der VW-E-Flotte werden, ausgestattet mit einer dann eigenen VW-Software und vorbereitet für das autonome Fahren. „Der Trinity muss zünden, sonst haben wir ein Problem“, heißt es in Wolfsburg. Schon war aber aus Richtung von VW-Chef Diess zu hören, die ersten Entwürfe für das Auto seien nicht „radikal“ genug. Übersetzt bedeutet dies: Zu lange Produktionszeiten, zu viele Varianten. All das kostet Geld, und all das hat Tesla besser im Griff. Lesen Sie hier: Zuliefererstreit: Der bizarre Machtkampf von VW und Prevent

Chipmangel: VW-Produktion muss immer wieder ausgesetzt werden

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die Kostensituation in Wolfsburg aktuell drastisch verschlechtert, weil erstens Modelle wie der Golf zunehmend unter Druck stehen und zweitens die Produktion wegen des Chip-Mangels immer wieder ausgesetzt wird. Deshalb werden in diesem Jahr in Wolfsburg wohl weniger als 500.000 Autos gebaut. Zum Vergleich: Der Schnitt der vergangenen zehn Jahre liegt bei 780.000 Fahrzeugen. Die einfache Rechnung: Jedes Auto, das nicht gebaut wird, erhöht die Kosten. Daher fordert der VW-Betriebsrat ein zusätzliches Modell für das Stammwerk. Das soll kein Verbrenner mehr sein, sondern ein Stromer. Eine Antwort des Vorstands dazu steht noch aus. Auch interessant: E-Auto: Batterien werden zum Problem – Hersteller suchen Lösungen

Unabhängig von Diess’ Auftritt ist absehbar, dass VW weiter Personal abbaut. Das geschah bisher geräuschlos vor allem über Altersteilzeit. Gut vorstellbar also, dass dieses Instrument weiter genutzt wird. Vom Unternehmen heißt es mit Blick in die Zukunft: „Die Debatte ist jetzt angestoßen, und es gibt bereits viele gute Ideen. Konkrete Szenarien gibt es nicht.“ Von Betriebsrat und IG Metall ist zu hören: „Ein Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen – das wäre in der Volkswagen AG jeder vierte – ist absurd und entbehrt jeder Grundlage.“

Und so ganz schlecht steht es um den Autobauer derzeit nicht: Der Auftragsbestand beträgt knapp 500.000 Fahrzeuge, im ersten Halbjahr verdiente die Marke VW knapp 1,8 Milliarden Euro. Lesen Sie auch: E-Auto oder Verbrenner - was ist günstiger? Ein Vergleich