Berlin. Das Landgericht München hat Wirecard-Bilanzen für nichtig erklärt. Für Anleger kann das eine schlechte Nachricht sein – oder eine gute.

Das Wertpapier der Wirecard AG war lange Zeit die Lieblingsaktie vieler Deutscher: Ein Unternehmen, das wie an der Schnur gezogen wuchs. Das für die deutsche Aufholjagd bei der Digitalisierung stand. Und das ein Geschäftsmodell hatte, das die meisten zwar nicht so richtig verstanden, das aber äußerst gewinnträchtig schien.

Vor rund zwei Jahren fand diese Geschichte ein jähes Ende. Es kam heraus, dass der Zahlungsdienstleister wohl jahrelang seine Bilanzen frisiert hatte. Einst kostete die Aktie fast 200 Euro, nach dem Auffliegen des Skandals war sie nur noch wenige Cent wert. Anleger verloren Milliarden.

Wirecard: Aktionären droht Rückzahlung der Dividenden

Nun könnte ihnen weiteres Ungemach drohen: Am Donnerstag erklärte das Landgericht München die Wirecard-Bilanzen der Jahre 2017 und 2018 für nichtig. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, könnte Insolvenzverwalter Michael Jaffé von den Aktionären die in diesen Jahren gezahlten Dividenden zurückfordern – und auch die von Wirecard gezahlten Steuern.

Für das Geschäftsjahr 2017 hatte der Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München 18 Cent Dividende pro Aktie gezahlt, ein Jahr später wurden 20 Cent pro Aktie ausgeschüttet. Insgesamt hatte Wirecard in den beiden Jahren rund 47 Millionen Euro an Dividenden gezahlt. Immerhin dürfte sich der erste Schreck bei einigen Anlegern gelegt haben, nachdem Jaffés Kanzlei ankündigte, dass Klein- und Privatanleger nicht „maßgeblich berührt“ werden würden.

Wirecard: Schutzgemeinschaft sieht Kleinanleger vor Rückzahlungen gesichert

Dies sei rechtlich auch nicht ohne Weiteres möglich, sagte Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), unserer Redaktion. Denn man müsste nachweisen, dass die Anleger gewusst hätten, dass die Bilanzen falsch gewesen seien. Das Urteil betreffe damit in erster Linie Wirecards früheren Vorstandsvorsitzenden Markus Braun, sagte Bauer.

Der frühere Großaktionär sitzt seit fast zwei Jahren hinter Gittern in der Justizvollzugsanstalt Gablingen, ihn soll zusammen mit zwei weiteren früheren Wirecard-Managern noch in diesem Jahr der Prozess gemacht werden. Ein weiterer mutmaßlicher Drahtzieher des Skandals, der frühere Vertriebschef Jan Marsalek, soll sich in Russland befinden.

Druck auf Wirecards Wirtschaftsprüfer EY wächst

Am Ende könnte sich das Urteil für geschädigte Anleger sogar auszahlen. Denn nach Einschätzung von Aktionärsschützern sind die Chancen auf Schadenersatz gegenüber Wirecards langjährigem Wirtschaftsprüfer EY gestiegen. EY war der mutmaßliche Betrug in den entsprechenden Jahren nicht aufgefallen, die Prüfer hatten ein positives Testat erteilt.

Politisch wird die Aussicht auf Schadenersatz für Kleinaktionäre mit Wohlwollen betrachtet: „Schon im Untersuchungsausschuss hat sich deutlich gezeigt, dass EY bei der Bilanzprüfung nicht richtig hingeschaut hat“, sagte Jens Zimmermann, der für die SPD als Obmann im Wirecard-Untersuchungsausschuss agiert hatte, unserer Redaktion. Vor dem Untersuchungsausschuss mussten im vergangenen Jahr auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) aussagen.

Der damalige CDU-Obmann, Matthias Hauer, begrüßte gegenüber unserer Redaktion, dass die Erfolgschancen für Kleinanleger gegen EY nach Einschätzung der Aktionärsschützer gestiegen seien. „Gerade die Wirtschaftsprüfer von EY, die jahrelang Wirecard uneingeschränkte Testate erteilen haben, tragen neben dem Versagen der Aufsichtsbehörden unter Führung des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz, einen großen Anteil der Verantwortung für die späte Aufdeckung des Wirecard-Skandals“, sagte Hauer.

Dieser Text erschien zuerst abendblatt.de.