Braunschweig. „Die Stimme der Mutter ist das Erste, was ein Baby im Mutterleib wahrnimmt.“ Mit einem Familienhörbuch lässt sie sich bewahren.

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Intensive Gespräche, unendlich viel Liebe zum Detail: Wenn Judith Grümmer ein „Familienhörbuch“ aufnimmt, taucht sie ab in das Leben eines sterbenskranken Elternteils. Stundenlang sitzt sie mit der Mutter zusammen, die weiß, dass sie bald gehen muss. Oder mit dem todkranken Vater. „Manchmal wird es traurig, manchmal ernst, aber auch ganz oft lustig“, erzählt die gelernte Radio-Journalistin. „Am Ende überwiegt fast immer die Dankbarkeit für das Leben.“ Der erste Kuss, die Tanzstunde, die großen und kleinen Geheimnisse – alles kommt aufs Band.

„Oft fällt es den Menschen leichter, sich einer Fremden gegenüber zu öffnen“, sagt Judith Grümmer, „wie auf einer Bahnfahrt, wenn man mit seinem Sitznachbarn ins Plaudern gerät.“ Nur, dass aus diesem Gespräch ein Hördokument wird, ein persönliches, liebesvolles Hörbuch, bis zu 15 Stunden lang – eine gesprochene Erinnerung für die minderjährigen Kinder, die zurückbleiben. „Es gibt kaum etwas Einzigartigeres und Schöneres als die menschliche Stimme“, erklärt Judith Grümmer. „Die Stimme der Mutter ist das Erste, was ein Baby im Mutterleib wahrnimmt.“ Stirbt ein Elternteil, verstummt diese Stimme, Erinnerungen gehen verloren. „Ich möchte beides bewahren. Damit die Kinder auf ihrem Lebensweg immer wieder Antworten bekommen auf die Frage: „Wer warst du, Mama?“ oder „Was, Papa, war dir wichtig?“

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Familienhörbuch wird für Nachkommen zum unbezahlbaren Schatz

So wie Paola. Ihre Mutter Sandra war die Erste, mit der Judith Grümmer ein „Familienhörbuch“ aufgenommen hat. „Ihr Brustkrebs war nicht mehr zu behandeln, als wir uns kennenlernten. Sie war dabei, sich zu verabschieden.“ Ein gemeinsamer Freund bringt die beiden zusammen. „Paola war damals gerade neun Jahre alt“, erzählt Judith im Podcast „Deine Lieblingsmenschen“. Stunde um Stunde sitzen die beiden Frauen zusammen, behutsam führt Judith die Todgeweihte durch ihr Leben. Mehrere Tage lang. Es wird gelacht, geweint, gestaunt. „Am Ende hatten wir etwas geschaffen, das Sandras Leben feiert und das für ihre Tochter Paola ein unbezahlbarer Schatz ist“, berichtet Judith.

„Heute ist Paola 16 Jahre und erzählt, dass sie sich immer wieder einzelne Kapitel anhört. Dass das Hörbuch ihr Begleiter durchs Leben geworden ist.“ Denn auch wenn Paola nicht mehr mit ihrer Mama sprechen kann: Sie kann ihr dank Judiths Einsatz immer noch zuhören. Mehr als 100 Hörbücher sind so bisher entstanden. Seit 2019 ist das „Familienhörbuch“ eine gGmbH, das Angebot ist für Betroffene kostenlos, finanziert sich über Spenden. Und das Team um Judith wächst: Toningenieure, Tontechniker, Musiker – alle helfen mit, diese einmaligen Erinnerungsstücke zu erschaffen. „Leider können wir längst nicht alle Anfragen erfüllen“, bedauert Judith.

Judith Grümmer aus Köln hat im Jahr 2021 den „Netzwerkpreis der GOLDENEN BILD der FRAU“ erhalten. Für ein noch junges Projekt, bei dem man sofort einen Kloß im Hals hat: Die 63-jährige Kölnerin erstellt „Familienhörbücher“. Sie gibt sterbenden Eltern eine Stimme. Wir sagen „Chapeau!“ und bedanken uns für diesen tollen Einblick in ein wirklich wundervolles Projekt, so Marcel Krüger – Gründer des Formates deine Lieblingsmenschen.