Berlin. Immer mehr Menschen interessieren sich für grüne Geldanlagen. Darüber, welche Energieformen nachhaltig sind, streitet jetzt die EU.

Ist Atomstrom grün, ist er nachhaltig? Und kann man sogar Gas als nachhaltig bezeichnen, wenn man es als notwendige Brückentechnologie auf den Weg zur Elektrifizierung der Wirtschaft nutzt? Es sind Fragen, die innerhalb der Europäischen Union derzeit für ordentlich Zoff sorgen. Und die manche Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihr Geld in vermeintlich grüne Geldanlagen gesteckt haben, mitunter ratlos zurücklässt.

Grüne Geldanlagen haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Flossen im Jahr 2005 nach Daten des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG) noch fünf Milliarden Euro in nachhaltige Investmentfonds und Mandate, waren es 2020 schon 248,3 Milliarden Euro. Zählt man noch nachhaltig verwaltete Kunden- und Eigenanlagen hinzu, waren es sogar 335,3 Milliarden Euro. Der Marktanteil liegt dennoch bei nur 6,4 Prozent – das Potenzial ist riesig.

Geldanlage: Jedem Zweiten ist Nachhaltigkeit wichtig

Vor allem für Privatanleger rechtfertigt Rendite längst nicht jede Geldanlage. Wie aus einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag der DekaBank, dem Wertpapierhaus der Sparkassen-Finanzgruppe, hervorgeht, ist bereits heute knapp jedem Zweiten Nachhaltigkeit bei der Geldanlage wichtig.

Das private Kapital, das hierzulande in nachhaltige Geldanlagen fließt, hat sich binnen 2019 und 2020 laut FNG von 18,3 auf 39,8 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Und die Entwicklung dürfte sich im Sommer rasant beschleunigen: Ab August sind Anlageberater verpflichtet, die Kundinnen und Kunden nach Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen.

Mitten in diese Entwicklung prescht nun die EU-Kommission mit ihrer sogenannten Taxonomie. Eigentlich sollte das Projekt Verbraucherinnen und Verbraucher stärken. Denn eine nachhaltige Geldanlage bietet mitunter Fallstricke. Die Bürgerbewegung Finanzwende kam im Dezember zu dem Schluss, dass viele Produkte von Greenwashing geprägt sind: Sie werden als nachhaltig verkauft, investieren aber in Unternehmen, die die ökologischen oder sozialen Faktoren kaum rechtfertigen.

Politischer Machtkampf um EU Nachhaltigkeits-Label

Die EU wollte Abhilfe schaffen. Mit einem klaren Label sollte erkennbar sein, welche Geldanlage grün und nachhaltig ist. Nationale Gütersiegel könnten harmonisiert und der Ausbau der erneuerbaren Energien durch privates Kapital vorangetrieben werden, so die Idee in Brüssel. Davon ist nicht viel übriggeblieben.

Stattdessen ist ein politischer Machtkampf entbrannt. In Deutschland ist die Aufregung vor allem bei den Grünen angesichts der Kommissionsentscheidung groß. In einer Stellungnahme, die die Bundesregierung in Brüssel einreichte, heißt es: „Aus Sicht der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig.“ Schwere Unfälle könnten nicht ausgeschlossen werden. Und: „Atomenergie ist teuer und die Endlagerfrage ist nicht gelöst.“

In Frankreich sieht man das ganz anders. Mehr als 70 Prozent des Stroms dort kommt aus Atomkraftwerken. Der börsengelistete Staatskonzern Électricité de France (EDF) betreibt 56 Reaktoren – und steckt tief in den roten Zahlen. Die Nettoschulden belaufen sich auf 42 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass viele Meiler Sanierungsfälle sind: Sieben Reaktoren sind seit mehr als 40 Jahren in Betrieb.

Frankreich braucht Geld für Atommeiler

„Wer wird EDF entschulden? Sicher kein privater Investor“, sagt Matthias Kopp, Leiter im Bereich nachhaltige Finanzen beim WWF und Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat, der die Vorgänger-Bundesregierung bei der Erarbeitung einer Strategie für die nachhaltige Geldanlage beraten hat.

Viele angeblich nachhaltige Anlage-Produkte sind von Greenwashing geprägt.
Viele angeblich nachhaltige Anlage-Produkte sind von Greenwashing geprägt. © Imago Images

Auch eine Finanzierung aus Steuergeld birgt laut Kopp Risiken – das habe die Gelbwestenbewegung gezeigt. „Einfacher wäre es für Frankreich, das Geld am Kapitalmarkt über eine Staatsanleihe aufzunehmen“, sagt er. „Und noch einfacher wäre es, wenn das nicht gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen würde.“

Die EU diskutiert derzeit darüber, ob grüne Investitionen aus den Schuldenregeln herausgerechnet werden könnten. Auch scheint Frankreich zu hoffen, gegebenenfalls sogar Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds nutzen zu können, um seine Atommeiler zu sanieren, mahnt Kopp.

Frankreich hat ein Interesse daran, Atomstrom zu fördern

Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef bei Deka Investment, geht davon aus, dass sich Frankreich mit seinem Drängen durchsetzen wird. „Frankreich hat ein ureigenes Interesse daran, Atomstrom zu fördern“, sagt Speich unserer Redaktion. Nuklearenergie gehöre zu Frankreichs Staatsräson. Frankreich würde den Brennstoff sowohl für den eigenen Energiebedarf, als auch in der Folge für die eigene Rüstung als Nuklearmacht benötigen.

EDF befindet sich zu knapp 84 Prozent in Staatshand, rund 16 Prozent der Aktien werden frei gehandelt. Wer als Anleger zum Jahresbeginn mit Blick auf die Taxonomie nun auf eine Renaissance der Atomstrom-Aktie gehofft und zugegriffen hat, hat sich blutige Finger geholt. Seit Jahresbeginn hat die EDF-Aktie mehr als 20 Prozent an Wert eingebüßt.

Der Grund: Im Präsidentschaftswahlkampf versucht Frankreichs Emmanuel Macron die Franzosen von den hohen Stromkosten zu entlasten – und deckelte den Strompreis. Dieser darf in diesem Jahr maximal um vier Prozent erhöht werden, den Atomstrom darf EDF für maximal 46,20 Euro pro Megawattstunde an die Konkurrenz abgeben.

Deutschland: Gas als Brückentechnologie

Kohärent sei die Strategie, seinen Konzern einerseits stärken zu wollen, andererseits die Einnahmen EDFs drastisch zu knappen und damit Anleger zu verschrecken nicht, findet WWF-Finanzexperte Kopp. Nutznießer könnten am Ende auch Firmen sein, die gar nicht in Europa beheimatet sind, wie der kanadische Uranschürfer Cameco oder US-amerikanische Kernkraftwerkbetreiber wie Dominion Energy oder Duke Energy sein. Wie viele andere Rohstoffe auch, war mit dem Anspringen der weltweiten Konjunktur zuletzt auch Uran gefragt.

Der Indexfonds Uran und Nuklear-Energie aus dem Fondshaus VanEck, der 25 Atomenergie-Betreiber und Uranförderer beinhaltet, legte binnen eines Jahres um 13 Prozent zu. Zum Vergleich: Der breit gestreute MSCI World, der rund 1600 Aktien aus 23 Industrieländern abbildet, kam nach jüngsten Kursrücksetzern im selben Zeitraum auf knapp acht Prozent.

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Was aber heißt die Taxonomie für deutsche Unternehmen? In Deutschland setzt man auf Gas als Brückentechnologie. Zwar erzeugt das Verbrennen von Erdgas hohe CO2-Emissionen – trotzdem wollte die Bundesregierung Gas als Übergangstechnologie in der Taxonomie sehen. Kein Wunder, schließlich könnten deutsche Unternehmen wie etwa der Gasturbinenbauer Siemens Energy von neuen Gasanlagen profitieren.

Deutsche Energieversorger gegen EU-Pläne beim Gas

Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef bei Deka Investment, sieht allerdings eher die negativen Effekte: „Unternehmen wie Siemens Energy haben bereits einen Kapitalmarktzugang. Die jetzigen Taxonomie-Pläne fördern vor allem einen Wettbewerb beim Zugriff auf das Kapital: Atom und Gas gegen erneuerbare Energien“, sagt er.

Die deutschen Energieversorger hatten sich bis letzt gegen die strengen Pläne der EU-Kommission beim Gas zu Wehr gesetzt. Diskutiert wurden Grenzwerte von 100 bis maximal 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Gaskraftwerke könnten die Vorgabe nur durch eine hohe Beimischung von Wasserstoff oder durch eine komplette Umstellung erreichen – mit Erdgas sind 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde unmöglich zu erreichen. Mit gewissem Erfolg: In diesem Jahrzehnt sind noch bis zu 270 Gramm erlaubt.

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Hintergrund ist die Sorge der Energieversorger, dass ihnen der Zugang zum Kapitalmarkt mit der Taxonomie erschwert werden könnte. „Ich halte das für Angstmacherei“, sagt Umweltschützer und Finanzexperte Matthias Kopp. Institutionellen Investoren wie großen Fonds gehe es bisweilen nicht darum, Unternehmen zu berücksichtigen, die jetzt schon bei einer Netto-Null-Emission sind, sondern die einen klaren Wandel zu mehr Nachhaltigkeit erkennen lassen würden. Kopp bezweifelt, dass ein Energieversorger, der in den nächsten Jahren ein neues Gaskraftwerk bauen will, durch die Taxonomie keine Finanzierung bekommen wird.

Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen wird wohl weiter steigen

In Richtung Politik sagt er: „Es geht nicht darum, Energietechnologien zu verbieten oder zu erlauben. Sowohl Deutschland als auch Frankreich führen den Gedanken der Taxonomie als Grundlage zur Bewertung für Nachhaltigkeitsqualität ad absurdum.“ Ein ertragreiches Geschäft entstehe aktuell durch die Taxonomie für Anlageberater, vermutet Kopp. „Aktiv gemanagte Anlageprodukte haben eine Renaissance vor sich. In einer Welt der Veränderung, Unsicherheit und Unklarheit werden sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher nach Expertise und Beratung sehnen.“

Eine Einschätzung, die bei Deka-Manager Speich gut ankommen dürfte. Er geht davon aus, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen spätestens ab Sommer, wenn die Nachhaltigkeitspräferenz in der Anlageberatung erfragt werden muss, deutlich ansteigen wird. „Es wird eine neue Welt für Berater“, sagt er. „Wir halten Atomstrom nicht für nachhaltig“, sagt Speich und versichert, dass Betreiber nicht in nachhaltige Portfolien der Deka wandern werden.