Weimar. Am DNT in Weimar erregt eine Parodie auf Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ die Gemüter.

Sie gehen nicht, sie tändeln. Sie sitzen am Esstisch, schmatzen, husten und rauchen Zigarren. Und treiben es schamlos auf der Treppe. „Die verfluchte Libido“, knurrt Sanatoriumsleiter Dr. Behrens (Philipp Otto), der wie aus der Rocky-Horror-Show im blutigen OP-Kittel und mit der Knochensäge in der Hand in den Speisesaal herabsteigt. „What the Fuck“, entfährt es Hans Castorp. In der Krankheit liege der Fortschritt, verkündet der Extremist Naphta (Nahuel Häfliger), und der liberale Settembrini (Krunoslav Sebrek) widerspricht: Nein, in ihr liege der Tod. Einmal heißt es, dass es Krieg geben werde. „Jawoll!“, salutiert Castorps Vetter Ziemßen (Martin Esser), und Madame Chauchat (Nadja Robiné) lässt die Tür knallen. Dem gibt es intellektuell kaum etwas hinzuzufügen. Vielleicht noch, dass Frau Stöhr (Dascha Trautwein) stolz von sich behauptet, 28 verschiedene Fischsoßen zubereiten zu können.

Die Typen hängen in einer Art Zeitschleife fest

Wer will, kann das gefühlt 28 Mal am selben Abend erleben, jeweils in leicht abgewandelter Form. Denn am DNT Weimar haben sie Thomas Manns berühmtes Romanepos „Der Zauberberg“ aus dem Jahr 1924 zur Bühnenklamotte heruntergebrochen, dass es nur so knirscht und kracht. Von 1000 Seiten wurden 13 zu einer einzigen Slapstick-Szene verknüpft, die sich laufend wiederholt (Textfassung: Beate Seidel und Christian Weise). Die Typen hängen – ja, das Buch handelt auch von der Zeit – in einer Art Zeitschleife fest, Spieldauer: dreieinhalb Stunden.

Szenenfoto aus der „Zauberberg“-Inszenierung am DNT in Weimar.
Szenenfoto aus der „Zauberberg“-Inszenierung am DNT in Weimar. © DNT Weimar | Candy Welz

Gong: Der junge Ingenieur Castorp, der in die Schweizer Berge reist, um seinen Vetter in der Lungenheilanstalt zu besuchen, bald aber von der Gesellschaft der Schein- und Todkranken so eingenommen ist, dass er sieben Jahre bleibt, ist in der Theaterfassung schon da. Vergeblich versucht sein Onkel (Sebastian Kowski), ihn zurückzuholen. Warum er nicht mehr wegwill, erfährt der Zuschauer nicht. Auch nicht, dass ihn die Liebe zu Madame Chauchat an seine geheime Beziehung zu einem Mitschüler erinnert. Fabian Hagen stellt Castorps Schwul-Sein offen zur Schau. Im dekadenten Anzug und Schlangenlederschuhen hat er im Gegensatz zum Buchhelden nichts Rebellisches, reiht sich als Partylöwe in die Rabaukentruppe ein.

Gong: Die stramme Oberschwester (Alexander Günther im Rock und mit Flügelhaube) serviert die Suppe und der lebensmüde Albin (Oscar Olivo) droht zum Entsetzen seiner Tischnachbarin Frau Iltis (Laurie Gibson), sich zu erschießen. Gong: Decken fassen für die Liegekur. Settembrini und Naphta duellieren sich am Schachtisch, die Russin Clawdia Chauchat (eigentlich Kaukasierin) neckt ihren Schnapphans. Wieder und immer wieder. Die Wanduhr tickt, der Zeiger rast. Man ist genervt, doch irgendwie auch fasziniert. Denn wie hier parodiert und dem dekadenten Bürgertum nicht nur der Spiegel, sondern ein ganzes Spiegelkabinett vorgehalten wird, ist so unpolitisch nicht. Hier reagieren sie auf die Zeitenwende (Erster Weltkrieg), indem sie nicht reagieren.

Mit jeder Schleife noch ein bisschen irrer und bizarrer

Der Reiz: Man weiß, was kommt, nicht aber, wie es kommt. Mit jeder Schleife noch ein bisschen irrer und bizarrer. So erhält das verheiratete Russenpaar (Rosa Falkenhagen und Calvin-Noel Auer) Gelegenheit, seine Libido auszureizen, und zur Krimimusik kippt alles ins Makabre. Man sieht hinter der hohen Fensterwand, wie der musikalische Leiter Jens Dohle vorm Berggipfel das Schlagwerk spielt. Die Musiker der Weimarer Staatskapelle sieht man erst am Schluss, wenn die Bühne bei laufendem Betrieb abgeräumt wird.

Geht das weiter? fragt in der Pause ein Herr in der sechsten Reihe. Ja, als Folklore mit Lied- und Tanzeinlagen. Jetzt knallen sie total durch, singen die Thomas-Mann-Sätze schenkelschlagend in schwarzem Latexlook mit Sombrero. Slapstick-Königin ist Dascha Trautwein, bester Interpret der Bariton Alexander Günther. Bei aller Verballhornung, der Einfallsreichtum von Regisseur Christian Weise ist umwerfend. Und die Schauspieler brillieren mit nicht nachlassendem Vergnügen. Parodieren lässt sich bekanntlich nur, was Substanz hat. Aber kennt das Publikum die Substanz? Wer liest heute noch Thomas Mann? Dass auf der Bühne wichtige Figuren sowie Verbindungsstücke fehlen – geschenkt. Die Walpurgisnachtszene – gestrichen. Hier ist ja immerzu Karneval. Dafür hat Lane Schäfer schrill-bunte Kostüme schneidern lassen. Höhepunkt ist ein heftiger Schneesturm, der durch den Salon mit ausladender Treppe, Telefonzelle, Kamin und Bärenfell (Nina Peller) pfeift. Gong.

Nächste Vorstellungen: 26. April, 10., 25. und 31. Mai