Berlin. Fast wäre „Hart aber fair“ im triefenden Populismus versunken. Doch dann retteten ein kompetenter Gast und drei ulkige Typen den Talk.

  • „Hart aber fair“ zur Bürokratie geriet am Montagabend mal wieder gut populistisch
  • Zwischen Edmund Stoiber und Frank Thelen war der Talk ein Bullshit-Bingo
  • Selbst einem Gast fällt auf, dass das alles in einer „kollektiven Bürokratie-Echauffierung“ endete
  • Plasberg-Vertretung Susan Link sah das dann doch etwas anders
  • Lesen Sie, was an dieser Diskussion noch alles zum Fremdschämen war

Bei „Hart aber fair“ ging es am Montagabend mal wieder gegen den bösen Staat. „Hier Bonpflicht, da Krötenschutz: Alles geregelt, aber nichts geht mehr?“, lautete das Thema. Bürokratie-Bashing, eigentlich ein uralter Schuh. Funktionierte die Runde trotzdem?

Immerhin scheitern zentrale Vorhaben wie der Wohnungsbau und die Errichtung von Windkraftanlagen und Stromtrassen dieser Tage nicht selten am „Paragrafen-Dschungel“ – und an Menschen, die ihn geschickt einzusetzen wissen. Diskutiert wurde das Thema von

  • Edmund Stoiber (CSU)
  • Unternehmer Frank Thelen
  • Journalistin Alicia Anker
  • Psychologe Stephan Grünewald
  • Politikwissenschaftler Werner Jann

„Hart aber fair“ über Bürokratie: Ein Gast rettet Irsinns-Debatte

Es wurde, das muss man sagen, leider eine ganz typische Ausgabe von „Hart aber fair“. Mit ordentlich Populismus wurde auf „die Bürokratie“ eingedroschen. Bonpflicht, Artenschutz, lange Planungsverfahren: Eifrig hatte die Redaktion Beispiele ausgegraben, die vermeintlich für den Regel-Irrsinn in Deutschland stehen. Allerdings war oft gar nicht klar, ob der im Unterton und den Fragen von Vertretungsmoderatorin Susan Link unterstellte Irrsinn wirklich so irrsinnig ist.

„Es geht um Steuerhinterziehung“, rückte der Verwaltungsexperte Werner Jann beispielsweise die polemische Debatte um die Bonpflicht grade. Immerhin entgingen dem Fiskus jedes Jahr zehn Milliarden Euro, weil Umsätze nicht richtig eingebucht werden. Österreich praktiziere die Bonpflicht bereits – und habe so 670 Millionen Euro eingenommen.

So musste Jann immer wieder als Stimme der Vernunft eingreifen. Man schimpfe gerne auf die Bürokratie, wolle am Ende aber natürlich, dass man bei Anträgen fair und anfechtbar behandelt werde. „Wenn ich anbauen will, will ich eine schnelle unbürokratische Genehmigung. Wenn der Nachbar anbaut, soll bitte alles sehr genau geprüft werden“, fasste der Verwaltungsexperte die Schizophrenie zusammen.

Susan Link wollte mit Suggestivfragen zum Ziel

Susan Link zeigte sich von diesen Interventionen unbeeindruckt. Gerne stellte die Gastgeberin Suggestivfragen, um die Debatte in die „richtige“ Richtung zu drücken. Eine Kröte muss umgesiedelt werden und benötigt laut Behörde 400 Quadratmeter Lebensraum. „Viele Menschen haben weniger, leuchtet Ihnen das ein?“, wollte Link von Anker wissen. Toller Vergleich!

Später erfreute sich Link am kürzlich beschlossenen „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ (was für ein Name, hihi!). Schon lustig, aber doch auch ironisch: Das Gesetz baut Bürokratie ab! Warum nicht mal loben, liebe „Hart aber fair“-Redaktion?

Edmund Stoiber kam ins Schwadronieren

Der „Drive“ der Sendung nervte gewaltig. Und doch blieb man gerne dran, weil die Debatte unfreiwillig komisch war. Da war etwa Edmund Stoiber, der von Link gar nicht zu bremsen war. Ellenlang schwadronierte der frühere bayerische Ministerpräsident gegen „die Bürokratie“.

Und wehe, Link versuchte, ihn zu unterbrechen. „Sie kommen mit Einzelfällen nicht in dieses Thema rein!“, schmiss er ihr einmal an den Kopf. „Bleiben Sie mal an der Sache, das ist wirklich interessant!“, wehrte er später erneut eine Unterbrechung ab. Ganz schön frech!

Frank Thelen: „Mach mal ‘ne Blockchain!“

Sehr ulkig waren auch der Psychologe Grünewald und der Unternehmer Thelen. Ersterer hatte manche streitbare Theorie parat. Die Beste: Deutschland fehle es im Unterschied zu Frankreich an einer Identität. „Die Franzosen machen lange Pause und haben eine hohe Genusskultur“, stereotypisierte Grünewald. Die Kinder dort würden viele Käsesorten kennen. In Deutschland habe man das nicht, und wolle die so entstehende Unsicherheit einfach durchregeln. Aha!

Thelen gerierte sich dagegen ganz als Start-up-Unternehmer, der die lahme deutsche Bürokratie verdammt – und auch schön Bullshit-Bingo spielt. „Wir haben verpasst, mal ‘ne Blockchain zu machen“, platzte es beim Thema Bonpflicht aus ihm heraus. Später empfahl er sinngemäß, Bürgerrechte einzuschränken, um schneller durchregieren zu können: Die Politik müsse bei der Umsetzung von Großprojekten auch mal „durchgreifen“ können.

„Hart aber fair“: Das Fazit

„Hart aber fair“ ist in der Vergangenheit häufig kritisiert worden. An dieser Ausgabe zeigte sich exemplarisch, dass am Ansatz des Talks tatsächlich etwas nicht stimmt. Die Absicht, als „Sprecher des Volkes“ gegen die Obrigkeit aufbegehren zu wollen, ist grundsätzlich ein gutes Ansinnen. Aber doch nicht so! Es war zum Fremdschämen.

Das fiel übrigens auch den Gästen auf. „Wir sind jetzt hier in einer kollektiven Bürokratie-Echauffierung“, analysierte zwischendurch der Psychologe Stephan Grünewald. „Nee, nee, den Eindruck habe ich gar nicht“, erwiderte die Gastgeberin. Oh doch, da lag er goldrichtig.

Zur Ausgabe von „Hart aber fair“ in der ARD-Mediathek.

„Hart aber fair“ ohne Frank Plasberg – Mehr zum Thema:

Vorerst ersetzt Susan Link Frank Plasberg bei „Hart aber fair“. Warum der „Hart aber fair“-Moderator Frank Plasberg wochenlang ausfällt, lesen Sie hier. Wie die erste Folge von „Hart aber fair“ – der Zins-Talk – mit Susan Link lief, können Sie hier nachlesen.