Berlin. Bei „Hart aber fair“ waren sich fast alle einig: Die Politik muss die unwürdigen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie beheben.

Es waren denkwürdige Worte, die der Fleischkönig Clemens Tönnies nach dem Corona-Ausbruch in seiner Gütersloher Fabrik an die Öffentlichkeit richtete. Er versprach, einen grundlegenden Wandel in der Fleischbranche durchzusetzen. Doch bei „Hart aber fair“ zeigte sich am Montagabend, dass es längst nicht mehr um das Fehlverhalten eines Einzelnen und seinen absurden Rettungsversuch geht.

Zu der Massenerkrankung in der Fleischfabrik wollte Moderator Frank Plasberg eigentlich von seinen Gästen wissen, ob sie eine Gefahr fürs ganze Land ist. Doch die bundesweite Gefahr vor dem Coronavirus, der sich bei Tönnies rasant verbreitet, war nur die eine Seite der Debatte. Vor allem zeigte ein Pfarrer auf, dass ein ganzes System seit Langem krankt – und damit endlich radikal gebrochen werden müsse.

„Hart aber fair“ – das waren die Gäste am Montagabend:

  • Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheits- und Arbeitsminister NRW
  • Christian von Boetticher, Sprecher Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie
  • Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Fraktionsvorsitzende im Bundestag
  • Karl Lauterbach (SPD), Epidemiologe und Bundestagsabgeordneter
  • Michael Bröcker, Journalist
  • Peter Kossen, Pfarrer in Lengede

„Hart aber fair“: Pfarrer vergleicht Fleischindustrie mit Mafia

Der Pfarrer Peter Kossen setzt sich seit Jahren für die Rechte von Werkvertragsarbeitern in der Schlachtindustrie ein. Für ihn sind die Umstände in vielen Schlachtbetrieben eine Form moderner Sklaverei. „Eine Arbeit wie bei Tönnies war auch schon vor Corona lebensgefährlich“, sagte Peter Kossen. Hintergrund: Infektionsrisiko – Kann das Coronavirus durch Fleisch übertragen werden?

Für Tönnies‘ trotzige Worte, er werde für Veränderung sorgen, hatte der Pfarrer einen Vergleich übrig, der wohl kaum unmissverständlicher hätte sein können: „Man kann mit der Mafia nicht die Mafia bekämpfen“, sagte Kossen – und meinte damit nicht allein die Fleischkönige.

Hinter dem Zaun leben Menschen, die unter Quarantäne stehen: Sie kommen großteils aus Rumänien und arbeiten in der Nahe gelegenen Tönnies-Fabrik. Bei über 1300 Beschäftigten wurde eine Corona-Infektion bereits nachgewiesen.
Hinter dem Zaun leben Menschen, die unter Quarantäne stehen: Sie kommen großteils aus Rumänien und arbeiten in der Nahe gelegenen Tönnies-Fabrik. Bei über 1300 Beschäftigten wurde eine Corona-Infektion bereits nachgewiesen. © Getty Images | Sean Gallup

Denn es sei ein ganzes System an Profiteuren der Ausbeutung, das sich über die vielen Subunternehmer und die Vermieter der überteuerten Unterkünfte für die tausenden ausländischen Arbeiter spinnt. Tönnies: In welchen Produkten steckt Fleisch der Firma drin?

Corona-Ausbruch bei Tönnies: „Fukushima-Moment der Fleischindustrie“

Für diese harschen Worte gab es viel Zustimmung in der Talk-Runde. Und leise Hoffnung, dass sich nun endlich etwas ändern werde. Der Journalist Michael Bröcker glaubte gar, dass die Massenerkrankung bei Tönnies der „Fukushima-Moment der Fleischindustrie“ sei. Diese Hoffnung auf einen Moment, der die Politik zum Handeln zwingt, hatte sogar CDU-Mann Karl-Josef Laumann.

Denn Laumann ist nicht nur nordrhein-westfälischer Gesundheitsminister, sondern auch für Arbeit und Soziales im Land verantwortlich und einer der vehementesten Gegner von Werkverträgen in der Union. Nur bislang stand er damit parteiintern auf verlorenem Posten. Das könnte sich nun ändern. Bei „Hart aber fair“ wurde deutlich, dass den Industrievertretern ohne verpflichtende Gesetze jegliches Gespür für soziale Verantwortung fehlt.

„Hart aber fair“: Fleischlobbyist reagiert mit Phrasen und Ausrastern

Denn der Auftritt von Christian von Boetticher, der der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie vorsteht, war ein einziges Trauerspiel. Mehr als platte Phrasen und kleinere Ausraster hatte er zur Verteidigung seines Standes nicht zu bieten.

Dabei gab ihm Frank Plasberg eine Chance nach der anderen, künftige politische Leitplanken zumindest in die Diskussion miteinzubringen oder die radikaleren Forderungen argumentativ abzumildern. Doch da kam einfach nichts. Vehement stellte er sich hinter die Werkverträge. Dass sie eine Wurzel des Problems sind, wie der Rest der Runde befand, wollte er partout nicht anerkennen. Gesetzgebung: Tönnies und Co.: Das ist das Problem mit den Werkverträgen

Den einzigen Konsens hatte von Boetticher mit den anderen Gästen gefunden, als es um die Rolle der Lebensmittelhändler ging. Aldi und Co. setzen die Nahrungshersteller bedenklich unter Druck.

Das Fazit

Letzteres zeigte nur umso mehr, dass es nicht ein paar problematische Akteure sind, sondern ein ganzes System krankt. Dass das in der Sendung deutlich wurde, dafür sorgte auch Moderator Frank Plasberg, für den die Arbeitsbedingungen ein Herzensthema zu sein scheinen: So angriffslustig und mit deutlich eigener Position im Rücken wirkt er sonst nur selten.

Sehen Sie hier die gesamte „Hart aber fair“-Folge in der Mediathek.

So wurde die Corona-Krise bisher bei „hart aber fair“ diskutiert: