Berlin. FDP-Urgestein Gerhart Baum teilt bei Markus Lanz gegen FDP und Christian Lindner aus. Thomas Kemmerich dagegen sieht er als Opfer.

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Das muss sich die Redaktion von Markus Lanz gedacht haben, als sie die Thüringer Regierungskrise zum dritten Mal in Folge auf die Sendungsagenda setzte. Ist nicht mittlerweile in der Summe der deutschen Talkshows alles zu dem Thema gesagt worden?

Lanz hat am Donnerstagabend aber einen besonderen Trumpf in der Tasche: Gerhart Baum ist zu Gast. Der ehemalige Bundesinnenminister und linksliberale FDP-Politiker hatte seine Partei schon direkt nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten öffentlich gerügt. Doch mit Austeilen ist Baum noch längst nicht fertig – sehr zum Amüsement der Studiogäste.

Über das Handeln von Parteispitze und Thüringens Landtagsfraktion kann er nur den Kopf schütteln: „Wie kann man sich nur in so eine Lage bringen lassen?“, wundert sich Baum, der zugibt, dass er immer noch Schnappatmung bekomme, wenn er die Ereignisse der vergangenen Woche Revue passieren lasse. Er halte die aktuelle Situation für „gespenstisch“.

Gerhart Baum bei Markus Lanz: Kandidatur von Thomas Kemmerich absurd

Geht es nach dem ehemaligen Spitzenpolitiker hätte Thomas Kemmerich erst gar nicht kandidieren dürfen: „Bisschen absurd mit nur fünf Prozent, oder?“ Die FDP in Thüringen habe vor allem Probleme beim Kalkulieren gehabt, meint Baum. Zum einen sei es ja eine einfache Rechenaufgabe gewesen, mit der man fix hätte herausfinden können, dass die Thüringer FDP entweder mit den Linken oder der AfD koalieren müsste, um eine Mehrheit zu haben.

Zum anderen habe man sich völlig verkalkuliert, welche Wirkung und Tragweite die Aktion der Thüringer Landtagsabgeordneten haben würde: „Die haben sich gedacht, wir machen das jetzt und dann sehen wir eben, was wird.“ Diese Achtlosigkeit hat nicht nur der FDP selbst geschadet, sondern auch dem Vertrauen in Parteien und Parlamentarismus im Allgemeinen.

FDP-Politiker fordert mehr Zusammenhalt unter Demokraten

„Das war ein Riesen-Misserfolg für die Demokratie“, stellt Baum fest. Dass führende FDP-Politiker wie Wolfgang Kubicki Kemmerich noch überschwänglich zur Wahl gratulierten, halte er für „völlig unüberlegt“. Die Kemmerich-Wahl verursachte bei der FDP einen Totalschaden.

Das liberale Urgestein fordert seine eigene Partei auf, zu erkennen, dass der Feind der Demokratie aktuell rechts stehe und nicht links.

Und dagegen müsse man sich verbrüdern: „Die Demokraten müssen sich auf das Gemeinsame besinnen, zusammenhalten und untereinander toleranter werden. Und man muss wirklich sagen: Mit der AfD geht nichts“, so Gerhart Baum

Ob die Wahl Kemmerichs zum thüringischen Ministerpräsidenten und die Annahme dieser ein abgesprochener Coup oder ein spontanes Versehen war, von der die Parteispitze nichts wusste – dazu widersprechen sich politische Vertreter seit Tagen.

Gerhart Baum kann sich kaum vorstellen, dass dahinter kein Kalkül steckte: „Sowas fällt nicht einfach vom Himmel. Das lag doch in der Luft.“

Markus Lanz regt sich über FDP auf

Zumal mittlerweile bekannt sei, dass zumindest Parteichef Christian Lindner über die Lage informiert gewesen sei, wie Moderator Markus Lanz einwirft. Lanz selbst regt sich auch über die Statements von FDP-Politikern in den vergangenen Tagen auf, die mit einer „gespielten Naivität“ aufgetreten seien, die kaum glaubwürdig erschien.

Ob nun kalkuliert oder nicht, Claudia Kade, Politikchefin der „Welt“, schätzt die Situation so oder so als besonders beschädigend für Lindner ein: „Wenn man als Parteichef offenbar nicht die Weitsicht hat, um zu überblicken, was die AfD da eigentlich vorhat, ist das einfach verheerend.“ Im Verhalten der FDP spiegle sich nun die ganze Hilflosigkeit der demokratischen Parteien gegenüber der AfD wider. Doch warum entglitt Lindner die Lage?

Das sieht Baum ganz ähnlich: Um ehemalige FDP-Wähler von der AfD zurückzuholen, habe man in letzter Zeit häufiger mal nach rechts geschaut. Dies führte jedoch eher zum Misserfolg.

Gerhart Baum: Thomas Kemmerich Opfer der Bundesspitze

Daran trägt Kemmerich selbst wahrscheinlich nicht einmal die meiste Schuld. „Es geht nicht, ihn jetzt zum alleinigen Sündenbock zu machen“, meint Gerhart Baum. Er sieht den noch geschäftsführenden Ministerpräsident Thüringens eher als ein Opfer der Bundesspitze: „Die hätten ihm sagen müssen: ‚Junge, halt dich vollkommen fern, du fällst sonst in ein tiefes Loch. Lass das!’“

Die Thüringer Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow war am Mittwochabend bei Markus Lanz mit Thomas Kemmerich härter ins Gericht gegangen. Sie warf Kemmerich „Machtgeilheit“ vor.

Der 87-jährige Baum ist derzeit aktiv beim Wahlkampf der FDP in Hamburg dabei, wo am Sonntag eine neue Bürgerschaft gewählt wird. Die Anfeindungen, die die dortigen FDP-Politiker nun aushalten müssten, erzürnen ihn. Nach der Thüringen-Wahl wurden FDP-Politiker beschimpft und bedroht.

Er ärgert sich aber auch darüber, dass einige in der Partei ihn für einen Nestbeschmutzer halten, weil er zum Debakel in Thüringen so klare Worte findet. „Die FDP muss Kritik vertragen können und auch Herrn Lindner fällt doch kein Zacken aus der Krone, weil man ihn kritisiert.“ Letzterer hat sich am Donnerstag für das Verhalten der FDP offiziell im Bundestag entschuldigt. Spät, aber immerhin.

Die aktuelle Folge „Markus Lanz“ gibt es in der ZDF-Mediathek.