Berlin. Die sinkenden Corona-Zahlen werden vor allem durch Tests garantiert, erklärt Karl Lauterbach bei Lanz. Hätten sie früher kommen müssen?

  • Karl Lauterbach gilt als ständiger Mahner in der Corona-Krise
  • Bei "Markus Lanz" übt sich der SPD-Politiker und Mediziner in Optimismus
  • Seine Aussagen klingen zuversichtlich. Und Lauterbach sorgt für eine Überraschung

„Das wird ein super Sommer“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erstmals im Januar 2021 in einem Interview. Aktuell sieht es so aus, als könnte er damit Recht behalten – die Sieben-Tage-Inzidenz ist niedrig, die Corona-Neuinfektionen sind extrem schnell zurückgegangen. Gleichzeitig geht es bei der Impfkampagne mit großen Schritten voran. Über 50 Millionen Erstimpfungen gegen Covid-19 wurden bereits verabreicht.

Der Weg zu diesem „super Sommer“ wirft allerdings Fragen auf. Insbesondere, da dieser Tage immer offensichtlicher wird, dass der Bund zwar möglichst unbürokratisch Schnelltests für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglichen wollte – es aber mit den Kontrollstrukturen nicht ganz so ernst nahm. Hätten auch andere Regeln besser konzipiert und umgesetzt werden können? Das diskutierte Markus Lanz unter anderem am Dienstag mit seinen Gästen.

Karl Lauterbach bei Lanz: Schnelltests sind Gold wert

Zuletzt war Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter und studierter Epidemiologe, nicht ganz so häufig bei Lanz zu Gast gewesen wie noch im ersten Jahr der Corona-Pandemie. Bei seinem aktuellen Besuch in der Talkshow holte der Gesundheitspolitiker aber gleich den großen Hammer raus: Es sei keine Überraschung, dass die derzeitigen Lockerungen dank der Schnelltests so unproblematisch abliefen, erklärte Lauterbach in der ZDF- Sendung.

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    „Wir testen ja wie wahnsinnig“, warf Moderator Markus Lanz halb skeptisch ein. Lauterbach entgegnet, dass die Bedeutung umfassender Tests bisher stets unterschätzt worden sei. „Das Gold der Schnelltests liegt darin, dass die Superspreader, die enorm viel Virus freisetzen und die einzigen sind, die die Pandemie wirklich treiben, damit auf jeden Fall gefunden werden“, so der SPD-Politiker.

    „Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

    • Matthias Sander, Journalist
    • Karl Lauterbach, Politiker
    • Anke Richter-Scheer, Ärztin
    • Christina Schmidt, Journalistin

    Mit Schnelltests wären Lockerungen vielleicht schon Monate früher möglich gewesen

    Das systematische „Herausfiltern“ dieser Infizierten – beispielsweise in Schulen und Betrieben – sei ein „massiv unterschätzter Grund für den aktuellen Rückgang der Corona-Fallzahlen in Deutschland, glaubt Lauterbach. Man wäre gut beraten gewesen, wenn man diesen Weg sehr viel früher eingeschlagen hätte, stellt der Epidemiologe fest.

    Der Politiker, selbst Mitglied einer Regierungspartei und laut eigenen Angaben in stetigem Austausch mit dem Gesundheitsministerium, erläuterte, dass es zuerst geheißen habe, dass zu wenig Tests verfügbar gewesen seien. Man hätte aber gar nicht früh genug als Staat eine große Nachfrage produziert. Deutschland hat wohl schlichtweg zu spät große Mengen bestellt – Markus Lanz nennt das scherzhaft das „Trio der Scheinheiligkeit“ aus Masken, Impfstoff und Tests.

    Planungsfehler hin oder her, die Bilanz, die Lauterbach zum Juni-Anfang, nach 15 Monaten Corona-Pandemie in Deutschland nun zieht ist ernüchternd. „Wenn man Antigen-Tests in größerem Umfang früher zur Verfügung gestellt hätte, hätte man bestimmt ein paar Monate vorher schon lockern können.“

    Er gab sich in der Sendung Mühe, niemanden für diese scheinbar gewaltige Verzögerung der Lockerungen der Corona-Maßnahmen anzuprangern. Dass gerade im März vielleicht aber Menschenleben und Gesundheitszustände durch frühere Massentestungen verschont geblieben wären, ist wohl die weit schwerer wiegende Schuldfrage.

    Karl Lauterbach: „Dem Virus gehen die Superspreader aus“

    Dass die Zahl der Neuinfektionen nun aktuell Woche um Woche signifikant zurückgehe, liege zum einen am „Herausfiltern“ der Superspreader durch Testungen und am sommerlichen Draußensein, erklärte Lauterbach. Dazu komme aber ein weiterer wichtiger Faktor – ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland ist mittlerweile halbwegs Corona-immun.

    „In der Summe derjenigen, die schon einmal geimpft sind und der Gruppe, die genesen ist, kommen wir schon in den Bereich, dass 50 Prozent der Bevölkerung keine Superspreader mehr sein können“, so Lauterbach. Dem Virus gehe so hierzulande nach und nach die Grundlage aus.

    Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD.
    Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD. © dpa

    Diskussion bei Lanz: Waren die Schnelltests von Beginn an zu hoch vergütet?

    Das liegt wohl auch an dem flächendeckenden Hervorsprießen von Corona-Testzentren. Ob beim Friseur, in der Shisha-Bar oder beim Hausarzt – überall kann getestet werden. Anke Richter-Scheer, Hausärztin aus Westfalen, leitet derzeit zwar vor allem das Impfzentrum im Kreis Minden-Lübbecke – in ihrer Praxis führt sie aber auch Tests durch. Die Nachfrage sei enorm, erzählte sie in der Talkshow.

    Dass nun immer mehr Fälle vor allem privater Anbieter bekannt werden, die beim Abrechnen der Tests betrogen haben, empört sie. Vor allem, weil es auch aus ihrer Sicht zu einfach ist, mit einer „gewissen kriminellen Energie“ die aktuellen Strukturen auszunutzen. Karl Lauterbach spricht von „Goldgräber-Stimmung“.

    Wie konnte es überhaupt zu diesen Schlupflöchern bei Regelwerk und Kontrolle kommen? „Es musste wohl alles sehr, sehr schnell gehen“, sagt Lauterbach. Das System sei extrem betrugsanfällig, so der SPD-Politiker – vor allem weil die Zuständigkeit für die Kontrolle vom Bundesgesundheitsministerium nicht abschließend geklärt worden wäre.

    Zudem wären die Preise von vornherein viel zu hoch angesetzt worden. Pro Test können Testzentren ungefähr 18 Euro beim Bund abrechnen. Dies sei – gemessen an Material- und Personalkosten – weit über dem tatsächlichen Wert, erklärten sowohl Lauterbach als auch Richter-Scheer im Gespräch mit Lanz. Trotzdem sei es, so Lauterbach, kein Fehler gewesen, die Bürgertests überhaupt zu finanzieren, da sie derzeit ein so wirksames Mittel zu Eindämmung der Pandemie seien.

    Corona-Pandemie: Ohne Impfungen bringt auch Abschottung nichts

    Testen und nachverfolgen – ohne Impfungen ist das aber nicht mehr die Zauberformel, wie ein Blick in andere Länder beweist: „Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Strategie von Taiwan nicht mehr aufgehen konnte“, erläuterte Matthias Sander, Asien-Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ zu der aktuellen Entwicklung in dem Land. Der Journalist berichtete bei Lanz direkt aus dem ostasiatischen Land, wo es bisher kaum Corona-Fälle gab. Jetzt ist es aber zu einem großen Ausbruch gekommen.

    Wahrscheinlich waren Reisende die Corona-Superspreader. Zuletzt wurden die scharfen Quarantänemaßnahmen etwas gelockert. Ähnliche Beobachtungen lassen sich derzeit in Vietnam machen.

    Ende der Pandemie: Impftempo wird laut Lauterbach entscheidend sein

    Die lokalen Ausbrüche treffen die asiatischen Vorbild-Länder trotz strenger Corona-Regeln und Kontaktverfolgung auch deshalb so hart, weil die Impfkampagnen hier nur langsam anlaufen. In vielen südostasiatischen Ländern gibt es zu wenig Impfstoff.

    Für Karl Lauterbach als Epidemiologen beweisen diese Beispiele vor allem zwei Dinge: Zum einen werde die Pandemie erst vorbei sein, wenn sie überall vorbei ist, erklärte er dem Moderator. Ohne komplette Abschottung und weitreichende Immunisierungen bleibe selbst ein Land mit strengen Kontrollen, wie Taiwan, nicht sicher vor dem Virus.

    Zum anderen zeige die derzeitige Lage, wie wichtig Impfungen gegen das Coronavirus seien: „Die Entwicklung in Asien zeigt, dass nur Impfungen ein Ende der Pandemie bewirken können.“ In Ländern wie Taiwan fehle aktuell wirklich nur der „Stoff“. Die Vakzine seien, so Lauterbach, dass „rettende Ufer“.

    „Markus Lanz“: Unglückliche Formulierung zur Kinder-Impfung

    Bis dieses Ufer für viele Kinder in Deutschland erreichbar sein wird, wird es aber wohl noch dauern. Zwar steht im Beschluss der Bundesregierung, dass nun auch Kinder von zwölf bis 15 Jahren geimpft werden sollen. Dass es zusätzlichen Impfstoff aber nicht geben wird, ist mittlerweile klar.

    Ohne Kürzungen für Erwachsene sei die Immunisierung von Schülern nicht stemmbar, sagte der SPD-Politiker. Und Anke Richter-Scheer ergänzte: „Ich weiß erst dann, wie viel Impfstoff ich habe, wenn er da ist.“ Genaue Impf-Planung, sei es vor oder in den Sommerferien, wird dadurch natürlich erschwert. Lesen Sie auch: Stiko-Chef Mertens - Das sagt er zu Impfungen bei Kindern

    Dass die Imfpfpriorisierung zum 7. Juni generell aufgehoben wird, macht die Lage nicht gerade einfacher, erklärte die Ärztin: „Dann ist ja die Erwartungshaltung von allen da, dass sie einen Termin bekommen.“ Das mache die Arbeit an der Basis noch schwerer. Die Aufhebung der Priorisierung hält sie für verfrüht.

    Karl Lauterbach ist der Meinung, dass man zum aktuellen Zeitpunkt neu abwägen müsse: Impfpriorisierung hin oder her – würden jetzt nicht genug Kinder geimpft werden, käme es im Herbst wahrscheinlich erneut zu massiven Schulausfällen, so der Epidemiologe. Wenn Kinder nicht immunisiert seien und der Herbst samt neuer Corona-Varianten käme, gehe das „ab wie Schmitz’ Katze“, konstatierte der Rheinländer. Langfristig würde es sich deshalb wahrscheinlich lohnen, nun Schüler, die täglich eine Vielzahl von Kontakten haben, bei den Impfungen vorzuziehen.

    Markus Lanz: So liefen die letzten Sendungen