Berlin. Für einen ARD-Film über Kanzlerin Angela Merkel kommen vor allem Frauen zu Wort. Und die beste aller Merkel-Versteherinnen: sie selbst.

Angela Merkel hat viele Frauen inspiriert und fasziniert, auch Ivanka Trump. Bei einem Abendessen fragte sie die Kanzlerin, wie sie am Wochenende entspanne. „Ich sitze in meinem kleinen Garten und höre Musik mit meinem Mann.“ So einfach ist das Glück. Die Tochter des US-Präsidenten war baff.

Merkel – die "Late-Night-Lady"

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, erzählt die Anekdote in der ARD-Dokumentation „Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“. Torsten Körner lässt Merkel über sich und andere über sie reden, fast nur Frauen; und nimmt sich als Autor zurück. Vielleicht war das der Grund, warum Merkel ihm zwei Tage vor ihrem Auszug aus dem Kanzleramt Rede und Antwort stand.

Einmal bemerkt die Virologin Melanie Brinkmann in dem Film, sie hätte sich beim Corona-Management gewünscht, dass Merkel „einfach mal auf den Tisch haut“. Aber eine Merkel weiß, dass dies der Faust schlechter bekäme als dem Tisch.

Ihr Politikverständnis: Mehrheiten organisieren

Die Aufgabe einer Bundeskanzlerin bestehe darin, „Mehrheiten zu organisieren“. Das Machbare ist ihr Ding, nicht die Vision. Einmal sagt Merkel über die Klimapolitik, in der Politik sei seine Dringlichkeit „noch nicht so, wie sie sein müsste“. Nüscht zu machen.

Da ahnt man, was die junge Klimaaktivistin Luisa Neubauer meint, als sie nach einem Treffen mit Merkel erzählt, dass es ein „sehr ernüchterndes Gespräch“ gewesen sei. Das Maximum herausholen, nicht unbedingt das Optimum – vielleicht liegt hier der Wesensunterschied zu einem anderen großen Außenseiter der Politik, zum früheren US-Präsidenten Barack Obama, der ebenfalls in dem Film zu Wort kommt. Obama ist es übrigens, der von Außenseitern spricht, weil sie jeweils Erste in ihren Ämtern waren, er als Schwarzer, sie als Frau.

Merkels Aufstieg, eine narzisstische Kränkung der Männer

Er hat an die große Kraft der Rede geglaubt, sie eher nicht. Nicht, dass sie es nicht wenigstens probiert hätte, einmal in der Pandemie hielt sie im Bundestag sogar eine sehr persönliche Rede. Und? „Das, was immer gesagt wird, ach, wäre sie doch ein bisschen emotionaler, würden ihr alle folgen, ist überhaupt nicht richtig“, stellt Merkel fest.

Ihre 16-jährige Amtszeit war eine Abfolge von Krisen: Banken-, Euro-, Flüchtlings- und Coronakrise, die am Zuschauer vorbeiziehen. In Drucksituationen zeigte sich, dass in der Ruhe die Kraft liegt, ohnehin Merkels Lieblingsmotto.

Merkel privat: Ganz anders, viel lustiger

In der Finanzkrise ging es oft darum, spätestens um Mitternacht eine Lösung zu präsentieren, pünktlich zur Eröffnung der asiatischen Märkte. Merkel empfand es als „fast demütigend, dass die Politik sich so den Marktmächten unterwerfen muss“. Einerseits.

Andererseits war der Druck, der Zeitdruck, oft genug der Hebel, um eine Lösung zu erzielen. Christine Lagarde denkt kurz nach, dann sagt sie: „Yes, Angela Merkel is a Late-Night-Lady“.

Wobei der Dokumentarfilm sie nicht auf die Krisenmanagerin reduziert. Man folgt Merkel tatsächlich im „Lauf der Zeit“, angefangen mit ihrem Aufstieg, damals: eine nazisstische Kränkung für die Männer der CDU.

Im Kanzleramt holen sie die Versäumnisse ihrer Vorgänger ein: Da ist eine europäische Währung, die nicht krisensicher ist, wie sich in Griechenland zeigt. Da ist ein Asyl- und Grenzregime, das in der Flüchtlingskrise nicht die Bewährungsprobe besteht,

Flüchtlingspolitik war keine Gefühlsduselei

Dass viele ihre liberale Flüchtlingspolitik laienpsychologisch auf ihr Elternhaus zurückführten – Pfarrerstochter –, findet sie „sehr seltsam". Das sei keine Gefühlsduselei gewesen, sondern „aus einer tiefen Erfahrung geboren“. Angewandte Verfassungstreue. Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Und schließlich: Merkel privat. Da gebe es schon eine Diskrepanz zur öffentlichen Person, verrät der Schauspieler Ulrich Matthes. Die private Merkel sei „so viel impulsiver“ und lustiger als die öffentliche Person. Auf ihre lakonische Art erzählt Merkel im Film, was es mit der legendären Raute auf sich hat, die Haltung ihrer Hände. Das gebe Stabilität, ganz hilfreich, wenn man nicht weiß, „wohin man mit seinen Händen soll.“

Ab 22. Februar ist der 90-minütige Film bei ARTE zu sehen, am 27. Februar im Ersten zu sehen - und schon eine Woche früher auf den jeweiligen Mediatheken.