Berlin. Batic und Leitmayr gingen in der Münchener Folge „Unklare Lage“ auf die Jagd nach einem Amokläufer – ein Fall mit eindeutigem Vorbild.

Verwackelte Bilder, schnelle Schnitte, Panik in den ersten und in den letzten Minuten: Regisseurin Pia Strietmann und Drehbuchautor Holger Joos erzählen im „Tatort: Unklare Lage“ eine Geschichte von mitreißender Intensität. In einem Linienbus wird ein Fahrkartenkontrolleur ermordet, der Täter wird kurz darauf vom Sondereinsatzkommando (SEK) gestellt und erschossen.

Weil niemand weiß, ob es noch einen weiteren Täter gibt, fährt der Polizeiapparat hoch. In den Medien und den sozialen Netzwerken kursieren wilde Gerüchte und Spekulationen. Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) müssen versuchen, sich nicht von der Panik anstecken zu lassen.

1. Auf welchen realen Fall nimmt der „Tatort“ Bezug?

Im „Tatort“ selbst wird das historische Vorbild mehrfach angesprochen: „Du weißt, was hier los ist, wenn wir nicht schnell Fakten liefern. Ich will hier kein zweites OEZ“, sagt Einsatzleiter Walter Ohnsorg (Axel Pape) zu einem Mitarbeiter. „OEZ“, eine fast jedem Münchener bekannte Abkürzung, bezieht sich auf „Olympia-Einkaufszentrum“. Gemeint ist der rechtsradikale Anschlag, den ein 18-jähriger Schüler am späten Nachmittag des 22. Juli 2016 am OEZ im Stadtbezirk Moosach verübte.

Dabei erschoss er neun Menschen, allesamt mit Migrationshintergrund, und verletzte fünf weitere schwer. Der Täter war mehr als zweieinhalb Stunden unterwegs, bis er sich gegen 20.30 Uhr mit einem Kopfschuss selbst tötete. In dieser Zeit kursierten in den sozialen Netzwerken zahlreiche Gerüchte, die auch andernorts in der bayerischen Landeshauptstadt Panik auslösten.

2. Wie realistisch ist der Fall dargestellt?

Im Film spielen zahlreiche Journalisten mit, die das Geschehen rund um das OEZ am 22. Juli 2016 persönlich miterlebt haben. Nach einem Bericht des „Bayerischen Rundfunks“ (BR) empfanden sie die Darstellung des Geschehens im „Tatort“ als sehr wahrheitsnah.

Die BR-Reporterin Vera Cornette etwa berichtet, bei ihr seien die Gefühle von damals wieder hochgekommen, vor allem „die Angst, die Unsicherheit, die sich in der Stadt ausbreitete“. Eine Kollegin von ihr berichtet vom „Gefühl der Unsicherheit, ob vielleicht noch ein weiterer Attentäter unterwegs ist“, das sie beim Ansehen des „Tatorts“ wieder empfunden habe.

3. Wie ungewöhnlich ist dieser „Tatort“?

Dieser „Tatort“ bricht aus der Sonntagabendroutine in mancher Hinsicht aus. Er verweigert sich nicht nur dem gut erprobten Ratespiel, wer die Tat denn nun begangen haben könnte. Er verzichtet auch zunächst vollständig darauf, nach Tatmotiven zu forschen und psychologisch plausible Szenarien zu entwerfen. Batic und Leitmayr müssen sich permanent mit Un- und Halbwahrheiten, mit widersprüchlichen Aussagen sowie immer neuen Hypothesen herumschlagen.

Die unvereinbaren Zeugenaussagen erinnern an den Münchener Fall „Die Wahrheit“ (2016), in der ein Mann auf offener Straße erstochen und die Suche nach dem Mörder nach Monaten ergebnislos abgebrochen wurde. Erst der Nachfolgefilm „Der Tod ist unser ganzes Leben“, ausgestrahlt 2017, enthüllte seine Identität.

Der insgesamt 83. Fall des Ermittlerduos gehört zu den besseren Folgen aus München. Ungeschlagen vorn dürfte nach wie vor die Episode „Der tiefe Schlaf“ liegen, die 2012 ausgestrahlt wurde (Buch und Regie: Alexander Adolph). Schon bei ihr fiel eine mutige Entscheidung des Drehbuchs auf: Der Mörder eines 15-jährigen Mädchens wurde zwar gefunden. Er war aber in der Handlung zuvor gar nicht in Erscheinung getreten.