Galtür. Ein Bergsturz kann immer und überall passieren. Experten erklären, warum Gipfel einstürzen und was das Phänomen für Wanderer bedeutet.

Es beginnt mit einem Grollen, dann setzt sich der Berg in Bewegung. Was einmal der Gipfel war, rollt in einer gewaltigen Lawine bergab. Riesige Felsblöcke brechen herunter, werden verschluckt von einer Wolke aus Staub. Nur ein paar Sekunden dauert es, da schwappt eine meterhohe Welle aus Granit und brackigem Schmelzwasser über grüne Hänge ins Tal. Die malerische Silhouette des Fluchthorns – für immer verändert.

Das spektakuläre Handyvideo, das das Ereignis nahe der Tiroler Gemeinde Galtür festhält, stammt vom Bergretter Patrick Schöpf. Seiner Schätzung zufolge hat der südliche Gipfel des Fluchthorns, einst stolze 3400 Meter hoch, an die 100 Meter eingebüßt. Das wären rund eine Million Kubikmeter Stein. Die Mure – so nennen Experten Schlamm- und Schuttlawinen – erstreckt sich über zwei Kilometer.

Verletzte soll es laut Polizei nicht gegeben haben. Dennoch bleiben einige Wanderrouten um den Berg vorsorglich gesperrt. Aber wie kann es sein, dass 100 Meter Fels einfach ohne erkenntlichen Grund zu bröckeln beginnen? Müssen Wanderer und Bergsportler, die ihrem Sommerurlaub in den Bergen entgegenblicken, Sorge haben? „Bergstürze sind etwas völlig normales“, betont Martin Meschede, Professor für Regionale und Strukturgeologie an der Uni Greifswald und Präsident der Deutschen Geologischen Gesellschaft. „Das ist ein natürlicher Prozess, der mit der Erosion des Gebirges einhergeht.“

Klimawandel beschleunigt Permafrost-Schmelze

Durch den Klimawandel werde der Prozess jedoch beschleunigt. Etwa wenn, wie am Fluchthorn in Tirol, der Permafrost schmilzt. Experten vergleichen ihn gerne mit einem Klebstoff, der die Gebirge zusammenhält. „Die Erderwärmung führt dazu, dass sich die Grenze des Permafrostbodens weiter nach oben verschiebt“, so Meschede. „Wenn er schließlich abtaut, nimmt auch die Festigkeit des Gesteins ab und die Gefahr für Bergstürze wächst.“

Der Südgipfel des Fluchthorn-Massivs bei Galtür hat bei dem gewaltigen Felssturz geschätzt 100 Meter eingebüßt.
Der Südgipfel des Fluchthorn-Massivs bei Galtür hat bei dem gewaltigen Felssturz geschätzt 100 Meter eingebüßt. © dpa | ---

Auch dort wo gar kein Permafrost vorhanden ist, kann es zu Bergstürzen kommen: „Wasser wirkt auf Gesteinsschichten wie Schmiermittel – wenn durch Starkregen oder Schneeschmelze der Wassergehalt steigt, wird der Stein brüchig.“ Dann könne es passieren, dass Steilhänge abrutschen – übrigens nicht nur in den Alpen. Im Allgäu etwa, am Gipfel des Hochvogels, hat sich über Jahrzehnte eine gewaltige Felsspalte gebildet. Berechnungen zufolge könnten dort bis zu 260.000 Kubikmeter Fels abstürzen. Die örtlichen Behörden gehen jedoch davon aus, dass die Gesteinsmassen unbewohntes Gebiet treffen würden.

Auch die Gemeinde Galtür blieb vom Bergsturz am nahe gelegenen Fluchthorn verschont. Vorzeichen gab es keine, sagt Christian Eder von der Tiroler Bergrettung. Eder ist Ausbildungsleiter Alpin der Bergrettung Tirol und leitet das Ausbildungszentrum im Jarntal, wo der Bergsturz niederging. „Wir kennen das Gebiet recht gut, sind fast das ganze Jahr über hier“, so Eder. „Es gibt immer wieder Steinschläge in den Bergen, ein gewisses Risiko besteht es immer, aber das hier war schon außergewöhnlich.“ Ein „Jahrhundertereignis“, das man kaum vorhersehen könne.

Alpenverein gibt Tipps für sicheres Wandern

Diese Einschätzung teilt auch Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein: „Steinschläge und Felsstürze gehören zu den typischen alpinen Gefahren, die jeder Bergsportler vor allem im Hochgebirge in der Tourenplanung berücksichtigen muss.“ Zwar seien derart große Felsstürze wie am Fluchthorn noch selten. Mittlerweile sei aber wissenschaftlich belegt, dass Felsstürze und Steinschläge in den Alpen durch den Klimawandel immer häufiger vorkämen.

Experten bezeichnen den Bergsturz am Fluchthorn als außergewöhnlich: Die sogenannte Mure – eine Stein- und Schuttlawine – erstreckt sich über zwei Kilometer ins Tal.
Experten bezeichnen den Bergsturz am Fluchthorn als außergewöhnlich: Die sogenannte Mure – eine Stein- und Schuttlawine – erstreckt sich über zwei Kilometer ins Tal. © dpa | Zeitungsfoto.AtRiccardo Mizio

„Wenn man weiß, dass sich ein Hangbereich bewegt, kann dieser überwacht werden, um im Idealfall rechtzeitig eine Vorwarnung geben zu können“, erklärt der Experte. Festgestellt wird das – wie am Hochvogel im Allgäu – etwa durch Sensoren an der Felswand. „An einer Spalte zwischen festem und instabilem Bereich kann die Bewegung millimetergenau gemessen werden.“ Die Daten gehen per Funk zum Beispiel an das Landesamt und lassen eine Einschätzung der Lage zu. Eine exakte Vorhersage, wann es zu einem Bergsturz kommt, könne das System aber auch nicht liefern.

Der Experte empfiehlt Bergsteigern, wachsam zu sein und einige grundsätzlichen Regeln zu beachten: „Ist zum Beispiel ein Weg behördlich gesperrt, hat das immer einen Grund, man sollte die Sperrung also unbedingt befolgen.“ Steinschläge seien oft Vorboten oder Warnzeichen für größere Felsstürze. „Wer aktiven Steinschlag beobachtet, sollte an einem sicheren Ort abwarten, ob weiterer Steinschlag folgt, dann einschätzen ob die Tour fortgesetzt werden kann und das Gefahrengebiet zügig durchqueren“, so Tobias Hipp. Und auch das Wetter spiele eine zentrale Rolle: „Während Hitzewellen und einer sehr hoch gelegenen Nullgradgrenze steigt die Gefahr für Steinschläge – auch dann gilt es, die Tour anzupassen oder abzubrechen.“