Oldenburg. Immer mehr Menschen entdecken Lastenfahrräder als Alternative zum Auto. Die Zahl der Leihstationen wächst. Manche Städte unterstützen die Anschaffung auch finanziell. Die Nachfrage nach Zuschüssen ist etwa in Oldenburg riesig.

Die ersten Meter fahren sich noch etwas wackelig, doch schon nach kurzer Zeit gleitet das schwer bepackte Rad in Oldenburg gut ausbalanciert über die Straße. Mehrere Einkaufstaschen und eine Getränkekiste befinden sich in der Transportbox zwischen Vorderrad und Lenkstange.

"Man braucht nicht viel Eingewöhnungszeit" sagt Ernst Schäfer. Er gehört in Oldenburg zu den Initiatoren des Lastenradverleihs "Rädchen für Alles" - und als klimafreundliche und günstige Alternative zum Auto erfreuen sich Lastenräder vor allem in den Großstädten in Niedersachsen seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit.

Von der Küste bis ins Göttinger Land

"Die Nutzung hat in den letzten Jahren stark zugenommen", berichtet Schäfer. Seit 2013 in Köln die erste Station eröffnete, sei die Zahl der Verleihe in Deutschland auf rund 120 gestiegen. Das 2014 gegründete "Rädchen für Alles" in Oldenburg war von Beginn an dabei und zählt zu den ältesten Initiativen in Deutschland.

Gegen eine Spende können die Räder online reserviert und an verschiedenen Standorten abgeholt werden. Je nach Modell bieten sie Platz für oft mehr als 100 Kilogramm Zuladung - genug, um den Wocheneinkauf zu erledigen oder den Nachwuchs durch die Stadt zu kutschieren.

In Niedersachsen erstrecken sich die Verleihstationen von der Küste bis ins Göttinger Land. In Braunschweig etwa erfreut sich "Heinrich der Lastenlöwe" wachsender Beliebtheit, während in Buchholz seit Ende des vergangenen Jahres eine Rikscha mit Elektroantrieb die Flotte der "Heidschnucke" unterstützt. Hildesheim bietet mit "Mathilde" und "Irmhilde" unter anderem zwei Lastenräder zum Verleih, die dank Sitzbank und Babyschale speziell für die Mitnahme von Kindern ausgestattet sind. Eine der größten Initiativen befindet sich in der Landeshauptstadt: Weit über die Stadtgrenzen hinaus ist bei Hannovers "Hannah" die Ausleihe von Lastenrädern an 32 verschiedenen Standorten möglich.

Aufstockung der Fördermittel im Gespräch

Oft führe das Ausleihen von Lastenrädern dazu, dass sich die Nutzer schließlich selbst eines anschafften, sagt Ernst Schäfer von der Initiative "Rädchen für Alles" . In Oldenburg schaffte die Stadt zu Beginn des Jahres dafür einen zusätzlichen Anreiz: Im Rahmen einer Förderung stehen in diesem Jahr rund 100.000 Euro zur Verfügung, um den Kauf von Lastenrädern zu unterstützen. Zu Programmstart im Februar wurde die Stadtverwaltung regelrecht von Anfragen überrannt. "Die Förderprämie war schon nach einem Monat ausgeschöpft", sagt der Stadtsprecher Stephan Onnen.

Fast 150 Anträge gingen ein, die meisten von Familien mit Kindern, doch auch einige Gewerbetreibende nutzten die Chance auf finanzielle Unterstützung beim Lastenradkauf. Eine Aufstockung der Fördermittel ist nun im Gespräch.

Die hohe Nachfrage in Oldenburg ist kein Einzelfall. Immer mehr Städte bieten ähnliche Förderungen an. Wie in Oldenburg waren Programme in Hessen und Thüringen im vergangenen Jahr nach wenigen Wochen ausgeschöpft. Besonders extrem war der Andrang auch in Hamburg: Zum Programmstart am 1. September verzeichnete die Hansestadt binnen 20 Minuten mehr als 800 Anträge, die Fördersumme von 700.000 Euro war direkt aufgebraucht.

Bundesweiter Boom - nicht nur im städtischen Raum

Bei Anschaffungskosten von rund 2000 Euro für Lastenräder ohne und oft mehr als 5000 Euro für Modelle mit elektrischem Antrieb stellen die Förderungen für viele Radbegeisterte einen lohnenden Anreiz dar. "Sie kommen beim Kaufpreis schnell in den Bereich eines gebrauchten Kleinwagens", sagt der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Niedersachsen, Rüdiger Henze. Genau diese Kleinwagen würden Lastenräder mittlerweile immer häufiger ersetzen.

Der bundesweite Boom beschränkt sich nach Angaben von Henze nicht nur auf Städte. Auch im ländlichen Raum tauschten viele Menschen zunehmend ihren Zweit- oder Drittwagen gegen ein Lastenrad. Als Grund dafür sieht der Radexperte neben gesundheitlichen Aspekten vor allem ein gesteigertes Bewusstsein für Klimaschutz. Außerdem ließe sich mit Lastenrädern zu Stoßzeiten das Verkehrschaos vor Kita und Schule verringern, weil Eltern ihre Schützlinge mit dem Auto oft bis vor das Schultor fahren. "Da ist zu Schulbeginn mehr Stau als am Hauptbahnhof", sagt Henze.

Ein großes Problem für die zunehmende Lastenradnutzung stellt nach Ansicht des ADFC-Landesvorsitzenden die in vielen Regionen mangelnde Infrastruktur dar. Vor allem sichere Park- und Abstellmöglichkeiten für Lastenräder sind in vielen Städten Mangelware. Auch zu kleine oder schlecht ausgebaute Radwege werden für die großen Fahrräder schnell zum Problem. "Da sind die Politik und Kommunen gefordert."

Pandemie und Online-Shopping als Indikator

Und Händler oder Handwerker - können sie solche Räder sinnvoll nutzen? Eine bessere Infrastruktur für Lastenräder könne auch Gewerbetreibende stärker dazu motivieren, kürzere Fahrten oder Lieferungen und Arbeitseinsätze mit dem Lastenrad zu erledigen. Bisher sei es schwer feststellbar, wie stark Lastenräder im Handwerk bereits genutzt werden, sagt der Sprecher der Handwerkskammer Oldenburg, Thorsten Heidemann. Häufiger nutzten aber Paket- und Briefzustellern oder der Einzelhandel die Räder.

Eine Initiative, die sich auf die Lieferung von Lebensmitteln mit Lastenrädern spezialisiert hat, ist das in Berlin gestartete "Netzwerk Grüne Stadtlogistik" . Vor allem durch vermehrtes Online-Shopping während der Corona-Pandmie hätten die Anfragen seit dem vergangenen Jahr extrem zugenommen, sagt einer der Initiatoren, Jan Erdweg.

Die Vorteile eines nachhaltigen Transports per Lastenrad will sich auch die Bundesregierung für die Erreichung ihrer Klimaschutzziele zunutze machen. Eine seit dem 1. März gültige Förderung soll die Anschaffung von E-Lastenrädern und Anhängern in Industrie, Handel, Gewerbe, Dienstleistungen und Kommunen finanziell unterstützen. Neben einem Beitrag zum Klimaschutz sollen dadurch auch Belastungen durch Feinstaub und Lärm in den Städten reduziert werden.

© dpa-infocom, dpa:210408-99-124019/4