Dissen. Runderneuerte Reifen haben keinen guten Ruf, obwohl sie deutlich umweltschonender sind als herkömmliche Neureifen und die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen müssen - eine Annäherung.

Rund 570.000 Tonnen, in Zahlen über 60 Millionen Altreifen sammeln sich jedes Jahr in Deutschland an. Ein riesiger schwarzer Müllberg, dessen Entsorgung immer schwieriger wird. Eine Möglichkeit ist das Wiederaufbereiten der heruntergefahrenen Reifen.

"Dabei wird die verbliebene restliche Lauffläche abgetragen und nur die Karkasse, also die Unterkonstruktion, wiederverwendet", erklärt Michael Schwämmlein vom Bundesverband Reifenhandel (BRV). Was einfach klingt, ist in der Praxis aufwendig und bedeutet nach wie vor viel Handarbeit. "Bevor ein Altreifen runderneuert werden kann, muss er zunächst auf mögliche Beschädigungen untersucht werden", sagt Obika Julius von der Firma Reifen Hinghaus aus Dissen bei Osnabrück, dem einzigen Runderneuerer für Pkw-Reifen in Deutschland. "Das geht nicht automatisiert, sondern erfolgt unter anderem durch eine Shearografie - also eine Unterdruckprüfung - und eine Sichtkontrolle."

Auch bei Runderneuerten gibt es eine Auswahl

Ist der Unterbau in Ordnung und die Reifengröße passend, kann eine neue Lauffläche in der gewünschten Gummimischung aufgebracht werden. Auch hier wird zwischen Sommer-, Winter- und Ganzjahresreifen unterschieden. "Ein Runderneuerer ist letztlich genauso ein Neureifenproduzent wie alle anderen Markenhersteller auch", sagt Schwämmlein. "Daher unterliegen runderneuerte Reifen hinsichtlich Tragfähigkeit und Geschwindigkeit auch den gleichen strengen Qualitätsansprüchen und dürfen nur mit einem entsprechenden E-Prüfsiegel verkauft werden."

Zu erkennen seien runderneuerte Reifen an dem Zusatz R oder Retreaded auf der Reifenflanke. Die sonst übliche DOT-Nummer stehe für das Datum der Runderneuerung. Zudem gelte für Pkw-Reifen, dass diese nur einmal runderneuert werden dürfen.

Große Vorteile bei Umweltfreundlichkeit und Preis

Der große Vorteil runderneuerter Reifen ist ihre Umweltbilanz: Für die Produktion eines runderneuerten Reifens werde bis zu 80 Prozent weniger Wasser, 60 Prozent weniger Rohöl und circa 70 Prozent weniger Energie benötigt, so Schwämmlein. Daneben werde das bei der Wiederaufarbeitung anfallende Gummigranulat aufgefangen und beispielsweise zu Straßenbelag oder für Sport- und Spielplätze weiterverarbeitet. Erhältlich sei auch dieser Reifentyp über den normalen Fachhändler oder in Online-Shops.

Ein weiteres Plus der Runderneuerten ist ihr Preis. "Bei einem Sommerreifen in einer geläufigen Dimension wie 205/55 R16 kann man mit einem runderneuerten Reifen bis zu 50 Prozent sparen", sagt Julius. Dafür erhalte man einen nachhaltig produzierten Reifen "Made in Germany". Wer allerdings mit nicht ganz so geläufigen Reifengrößen unterwegs ist, wird möglicherweise nicht fündig.

Weil die Absatzzahlen gering sind, konzentrieren sich die Runderneuerer auf gängige Größen. Gründe für die schwache Nachfrage runderneuerter Pkw-Reifen seien alte Vorurteile und die zunehmende Billigkonkurrenz aus Asien. "Ein runderneuerter Reifen ist in den Köpfen vieler immer noch ein Altreifen, dabei wird lediglich der Unterbau wiederverwendet, was enorm Ressourcen schont", sagt Julius.

Wettbewerb von Billigreifen aus Fernost und echte Schwächen

Statistiken würden zudem belegen, dass runderneuerte Reifen nicht häufiger kaputt gingen als normale Neureifen. Gleichwohl sei die Erwartungshaltung groß, dass ein runderneuerter Reifen immer das preisgünstigste Produkt am Markt sei. "Der Wettbewerb durch extrem günstige Neureifen aus Asien ist sehr stark", erklärt Julius. Gleichzeitig nehme durch genau diese asiatische Reifenkonkurrenz die Zahl wiederverwertbarer Reifen ab, da die Karkassen aus Fernost oft nicht für eine Runderneuerung geeignet seien. Das wiederum erhöhe den Aufwand für Runderneuerer.

Mittlerweile müsse Reifen Hinghaus den kompletten europäischen Markt nach brauchbaren Altreifen absuchen, so Julius. Zu den Vorurteilen kommt eine echte Schwäche runderneuerter Reifen: "Die letzten 20 Prozent Performance fehlen uns noch, das muss man ganz klar sagen, denn hier sind wir gegenüber den großen Herstellern bei den Gummimischungen im Nachteil", sagt Julius. Das mache sich beispielsweise dadurch bemerkbar, dass ein runderneuerter Reifen lauter sein könne als ein Premiumreifen.

Wo Konzerne wie Continental, Bridgestone oder Michelin Millionen in Forschung und Entwicklung stecken, setzt der Mittelständler auf Kooperationen. Ein erstes Ergebnis sei eine neue Gummimischung, die mit einem erfahrenen Consultant aus der Neureifenindustrie entwickelt wurde und sich aktuell in der Erprobung befinde. Julius verweist zudem darauf, dass allein 20 Prozent der King Meiler-Reifen des Unternehmens im Motorsport landen, wo sie mit Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h gefahren werden.

Bei den dicken Brummern sind Runderneuerte verbreiteter

Deutlich akzeptierter und verbreiteter sind runderneuerte Reifen im Lkw-Bereich. Hier bietet mit Continental auch einer der großen Hersteller verschiedene Modelle an. Seit 2013 betreibt Continental ein Runderneuerungswerk in Hannover. Außerdem verfolgt man daneben das Ziel, die gesamte Reifenproduktion bis 2050 auf nachhaltig erzeugte Materialien umzustellen.

"Aktuell prüfen wir auch den Einstieg in die Runderneuerung von Pkw-Reifen", sagt Henry Schniewind von Continental. "Insbesondere untersuchen wir dabei, wie man mit einem Runderneuerungsprozess die Eigenschaften eines Pkw-Neureifens erreichen kann." Speziell bei Faktoren wie dem Rollwiderstand, der Traktion oder den Hochgeschwindigkeitseigenschaften würden hier noch "typische Zielkonflikte" auftreten. In Puncto Sicherheit werde Continental keine Kompromisse eingehen, so Schniewind.

Weil ein Großteil der Altreifen bislang als Brennstoff in den Öfen von Zementfabriken landet, spricht sich auch der Automobil Club Verkehr (ACV) dafür aus, das Thema Entsorgung von Reifen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken: "Durch die Runderneuerung kann die Lebensdauer eines Reifens verlängert werden", sagt Gerrit Reichel vom ACV. "Daraus ergeben sich positive Auswirkungen sowohl auf die Ressourceneffizienz als auch auf die Energieeinsparung und die Kreislaufwirtschaft."

Neue Ansätze für den Umweltschutz

Geht es nach dem BRV, sollten sich Reifenhersteller grundsätzlich auch an der Runderneuerung beteiligen. "Der wachsende Altreifenberg ist ein Thema, das die ganze Branche betrifft, entsprechend müssen alle Verantwortung übernehmen", fordert Schwämmlein. Erste Ansätze hierzu gibt es mit dem Netzwerk Azur, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die 30 Mitglieder aus neun Branchen suchen hier nach Lösungen für einen ökologisch und ökonomisch sinnvollen Reifenkreislauf.

Obika Julius von Reifen Hinghaus spricht sich ebenfalls dafür aus, die gesamte Branche in die Pflicht zu nehmen. "Denkbar wäre beispielsweise eine Öko-Abgabe für Neureifen, die für die Runderneuerung eingesetzt werden könnte. So könnte man die Leistungsnachteile minimieren." Daneben könnte auch die Politik das Thema befeuern, indem beispielsweise Kommunen dazu verpflichtet würden, ihre Fuhrparks auf runderneuerte Reifen umzustellen.

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