Washington. Coronavirus: US-Fleischproduzenten schließen Fabriken, weil Mitarbeiter infiziert sind. Auf den Feldern verdirbt tonnenweise Gemüse.

Die Coronavirus-Krise gefährdet in den USA zusehends die Lebensmittelversorgungsketten und verschärft den Kontrast zwischen Überflussgesellschaft und Unterversorgung. Die Schlaglichter:

  • Große Fleischproduzenten schließen über 20 Mega-Fabriken, weil Tausende Mitarbeiter infiziert sind, rund zehn sind nach Zeitungsberichten gestorben.
  • Hunderttausende Schweine, Rinder und Hühner stehen vor der Euthanasie. Für sie ist kein Platz mehr in der Verwertungskette. Vielen Züchtern droht der wirtschaftliche Ruin.
  • In den Supermärkten steht nach Angaben des Vorsitzenden im Agrar-Ausschuss des Kongresses, Collin Peterson (Minnesota), bereits in einer Woche ein Engpass bei Schweinefleisch bevor.
  • Farmer zwischen Florida und Kalifornien lassen tonnenweise Salat, Kürbisse, Kartoffeln, andere Gemüsesorten auf den Äckern und Zitrusfrüchte auf den Plantagen verderben oder unterpflügen. Durch Ausgehsperren sind ihnen Restaurants, Hotels, Schulen und Großküchen als wichtigste Absatzmärkte weggebrochen.
  • Milchbauern schütten im großen Umfang Milch in die Kanalisation. Legehennen werden mit Kohlendioxid umgebracht.
  • Gleichzeitig stauen sich die Autos vor „Food Banks“, Freiwilligen-Organisationen, die analog zu den „Tafeln” in Deutschland gespendete Lebensmittel an Bedürftige abgeben, landesweit kilometerlang. Nach Angaben der Organisation „Feeding America”, die 200 Tafeln vertritt, hat sich der Andrang von Amerikanern, die auf Hilfe angewiesen sind, um sich und/oder ihre Familie zu ernähren, binnen Wochen um 70 Prozent erhöht.
  • Die Regierung von Präsident Donald Trump versucht mit einem 20 Milliarden Dollar schweren Hilfsprogramm für die Landwirtschaft gegenzusteuern. 16 Milliarden Dollar sollen als Direktzahlungen an notleidende Landwirte gehen. Verbraucher-Organisationen und Sozialverbände fordern den Staat auf, weitaus mehr in den Aufkauf Grundnahrungsmittel zu investieren, um damit sozial Schwache zu stützen.

Wie ernst die Lage allein auf dem Fleischmarkt ist, wo binnen fünf Wochen ein Produktionsrückgang von rund 30 Prozent zu verzeichnen ist, illustriert die Warnung von John Tyson. Der Chef des gleichnamigen Fleisch-Multis aus Arkansas erklärte zu Wochenbeginn: „Die Versorgungskette bricht.” Sein Kollege Ken Sullivan, Boss des Konkurrenten Smithfield, sekundierte: „Es ist unmöglich, unsere Supermärkte zu bestücken, wenn unsere Fabriken stillgelegt sind.”

Es um gewaltige Dimensionen. In den USA werden normalerweise täglich rund 500.000 Schweine geschlachtet. Weil Branchen-Riesen wie Tyson, TSN, JBS und Smithfield etliche Großbetriebe schließen mussten, da viele Mitarbeiter mit dem Virus infiziert wurden, bildet sich in den vorgeschalteten Zuchtbetrieben ein Rückstau von rund 100.000 Tieren – pro Tag.

Milliarden-Verluste für Fleischindustrie – Imitate auf dem Vormarsch

Industrie-Verantwortliche wie John Tyson sagen für die kommenden Wochen Massentötungen im Millionen-Maßstab voraus, wenn die Schlachthäuser nicht umgehend wieder geöffnet werden. Schweinezüchter sind stärker betroffen, weil die Tiere einem strikten inhäusigen Mast-Regime unterliegen und ab einer gewissen Größe nicht mehr in die Verarbeitungs-Schemata passen.

Rinder hingegen könnten zur Verlangsamung des Wachstums länger auf die Weide geschickt werden. Nach Angaben des Dachverbands belaufen sich die Einbußen für Schweinezüchter in diesem Jahr auf rund fünf Milliarden Dollar.

Zu den Profiteuren gehört der kalifornische „Beyond Meat”-Konzern, der große Imbissketten unter anderem mit fleischlosen Hamburgern beliefert. Der Aktienwert des Unternehmens stieg im April um 40 Prozent.

Coronavirus: Betriebe hielten sich nicht an Verhaltensregeln – Mitarbeiter klagen

Schuld an der Misere haben nach Medien-Recherchen unter anderem die Betriebe selbst. Smithfield etwa räumte ein, seine Belegschaften, die produktionsbedingt Schulter an Schulter arbeiten und den geforderten Sicherheitsabstand (1,5 Meter) nicht einhalten können, erst seit 15. April zum Tragen von Schutzmasken angehalten zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein erheblicher Teil der Mitarbeiter mit dem Virus infiziert, hat die Washington Post herausgefunden.

Auf Einhaltung von Verhaltensregeln zur Minderung von Ansteckungsgefahren habe niemand gepocht, sagen Funktionäre der Gewerkschaft „United Food and Commercial Workers International Union”, die 350.000 Angestellte in der fleischverarbeitenden Industrie vertritt. Angestellte einer Fleisch-Fabrik in Missouri haben ihren Arbeitgeber deswegen verklagt.

Als strukturell hinderlich erweist sich in den USA das unflexible Produktions- und Verpackungssystem für Lebensmittel. Vereinfacht gesagt: Restaurants und Großküchen haben andere Anforderungen an Größen und Verpackungen als Supermärkte und Einzelhandel.

Dies führt exemplarisch dazu, dass nach Angaben der Dachorganisation der Kartoffelbauern derzeit Erdäpfel im Wert von 1,5 Milliarden Dollar in der Pipeline stecken aber nicht ausgeliefert werden können. Während gleichzeitig der Bedarf nach eingefrorenen “French Fries” (Pommes) im Handel binnen vier Wochen um 80 Prozent gestiegen ist und die Kühlregale in den Supermärkten vieler Ballungsräume weitgehend leer sind.

Politik zu langsam – Landwirte und Konzerne handeln auf eigene Faust

Dazu sagt der frühere Landwirtschaftsminister Tom Vilsack (Demokraten): „Es gibt keinen Mangel an Nahrungsmitteln. Die Sache ist, dass die Ware an einem Ort und die Nachfrage an einem anderen ist. Und bisher konnte niemand die Verbindung herstellen.”

Während sich Trumps Landwirtschaftsminister Sonny Perdue dem Vorwurf ausgesetzt sieht, die logistischen Vorbereitungen für eine sinnvolle Nutzung des immensen Aufkommens von Grundnahrungsmitteln unter Corona-Bedingungen verschlafen zu haben, gibt es Beispiele für Eigenverantwortung.

Trump- China könnte wegen Corona zur Rechenschaft gezogen werden

weitere Videos

    So hat der in Florida beheimatete Supermarkt-Konzern Publix angekündigt, pro Woche 70 Tonnen Gemüse und Frischwaren sowie 200.000 Liter Milch bei örtlichen Landwirten einzukaufen und an “Food Banks” abzugeben. Publix-Chef Todd Jones: „In diesen unsicheren Zeiten sind wir dankbar, Farmern und Familien in unseren Gemeinden helfen zu können.”

    Noch unkonventioneller hat Ryan Cranney in Oakley/Idaho aus der Not eine Tugend gemacht. Im US-Mekka der Kartoffel-Bauern ließ Cranney, dessen Familie seit 113 Jahren im Geschäft ist, Erdäpfel-Halden vor seiner Farm auftürmen und lud die Öffentlichkeit zum kostenlosen Abholen ein. „Es war genug da für 60.000 Menschen, die jeweils einen 4-Kilo-Beutel mitnehmen. Einige kamen nach acht Stunden Fahrt aus Las Vegas.”

    Mehr zum Coronavirus: