Berlin. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will am Samstag CDU-Chef werden – ein Interview über seine Chancen, Kanzlerfähigkeit und Corona.

Er ist locker, wirkt überraschend entspannt, als er zum Interview im Kaminzimmer der NRW-Landesvertretung in Berlin empfängt: Für Armin Laschet (59) steht am Wochenende auf dem ersten digitalen Parteitag der CDU viel auf dem Spiel: Es geht um den CDU-Vorsitz, die mögliche Kanzlerkandidatur und damit auch um seine politische Zukunft in Nordrhein-Westfalen, das er seit Juni 2017 in einer schwarz-gelben Regierung führt.

Herr Laschet, noch drei Tage bis zu Ihrem größten politischen Triumph – oder Ihrer größten Niederlage. Haben Sie genug Delegierte für die Wahl zum CDU-Chef hinter sich?

Armin Laschet: Ich bin sehr zuversichtlich, dass es so ist. Die zahlreichen Rückmeldungen der vergangenen Wochen zeigen mir, dass meine Ideen für die CDU und für unser Land von immer mehr Mitgliedern und Delegierten geteilt werden.

Armin Laschet ist einer der Kandidaten zum CDU-Vorsitz.
Armin Laschet ist einer der Kandidaten zum CDU-Vorsitz. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Warum sollten die Delegierten Sie und nicht Ihre Konkurrenten wählen?

Laschet: Im Herbst werden unsere politischen Mitbewerber alles daransetzen, dass die CDU nicht den nächsten Kanzler stellt. Umso wichtiger sind die Geschlossenheit unserer Partei und eine Führung, die Kompetenz, Regierungserfahrung und Ideen für die Zukunft mitbringt. Für diese Mischung stehe ich im Team mit Jens Spahn. Ich glaube, dass ich damit die Delegierten überzeugen kann.

Muss ein Kanzler zwingend Regierungserfahrung mitbringen?

Laschet: Ja, unbedingt. Regieren ist noch einmal etwas ganz anderes, als in schönen Worten die Weltlage zu beschreiben. Es heißt Gegensätze zu überwinden, Kompromisse zu finden, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen – und diese dann auch durchzusetzen.

In den Umfragen stehen Sie nicht so gut da wie Ihre Mitbewerber. Wie erklären Sie sich das?

Laschet: Umfragen schwanken. Als ich gegen Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen antrat, war sie die beliebteste deutsche Politikerin. Die CDU lag in den Umfragen zunächst weit hinten. Ich bin bei meinen Positionen und meinem Stil geblieben. Am Ende haben wir gewonnen und stellen seitdem die einzige schwarz-gelbe Landesregierung in Deutschland.

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Ihr Teampartner, Gesundheitsminister Jens Spahn, lässt keinen Zweifel daran, dass er sich für einen geeigneten Kanzlerkandidaten hält. Halten Sie ihn auch für kanzlertauglich?

Laschet: Ich halte Jens Spahn für einen sehr guten Politiker, der als Gesundheitsminister hervorragende Arbeit macht. Wir treten nicht ohne Grund im Team an. Wir können uns in der CDU glücklich schätzen, dass wir so viele Persönlichkeiten haben, die das Potenzial haben, höhere Ämter auszufüllen.

Laschet und Spahn demonstrieren vor CDU-Parteitag Einigkeit

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    Sie stehen für Kontinuität mit der Politik von Angela Merkel. Was wollen Sie anders machen als sie?

    Laschet: Angela Merkel hat für Deutschland als Kanzlerin Großes geleistet. Aber sie musste sich auch oft auf die Bewältigung großer Krisen konzentrieren. Deswegen gibt es natürlich auch Dinge, bei denen wir nicht ganz so vorangekommen sind, wie es wünschenswert gewesen wäre. Bei den Themen Europa und Digitalisierung werden in den kommenden zehn Jahren weitere Anstrengungen nötig sein. Letztlich haben wir in vielen Grundpositionen natürlich eine Übereinstimmung.

    Wo am meisten?

    Laschet: Zum Beispiel in der Bewertung ihrer Kanzlerschaft: Das waren insgesamt 16 gute Jahre für Deutschland. Wir haben mehrere schwere Krisen erlebt, in denen Angela Merkel das Land gut durchgebracht hat. Ihr Politikstil ist pragmatisch und nicht polarisierend. Gerade in diesen angespannten Zeiten braucht unser Land eine Politik, die sachlich und ruhig Probleme löst und die europäisch denkt.

    Wie würden Sie den Teil der Bevölkerung zurückgewinnen wollen, der sich unerreichbar für die Politik abgespalten hat?

    Laschet: Die Gefahr, dass die Mitte auseinanderbricht, ist so groß wie nie. Das ist gerade in der Corona-Krise noch einmal sehr deutlich geworden. Abgesehen von den sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die sie mit sich bringt, spüren wir das in der Art und Weise, wie über die Eindämmungsmaßnahmen diskutiert wird. Die einen bestreiten die Existenz des Virus, die anderen argumentieren nur mit Horrorszenarien. Die Politik darf diese Spaltung nicht auch noch vertiefen. Wir müssen daher sachlich bleiben, erklären und immer gut abwägen. Wer Politik und Wahlkampf durch Polarisierung betreibt, wird hinterher viel Zeit brauchen, um eine Gesellschaft wieder zu beruhigen. Die USA sind dafür ein abschreckendes Beispiel.

    Sie betonen, dass der Kanzlerkandidat der Union gemeinsam mit der CSU bestimmt wird. Würden Sie als CDU-Chef ein Veto aus Bayern akzeptieren?

    Laschet: Die Gespräche führt man offen, sonst muss man sie nicht führen. Das Grundprinzip ist, dass sich CDU und CSU auf Augenhöhe begegnen und gemeinsam eine Entscheidung treffen. Dabei wird am Ende ein gutes Ergebnis stehen.

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    Wenn Sie die Wahl zum CDU-Chef gewinnen sollten: Welches Angebot würden Sie Ihren Konkurrenten machen?

    Laschet: Ich möchte alle in unser Team für die anstehenden Bundestagswahlen einbinden, um die gesamte Breite der Volkspartei CDU abzubilden. Klar ist aber auch: Die CDU besteht ja nicht nur aus katholischen Männern aus Nordrhein-Westfalen. Bei der Aufstellung für die Bundestagswahl müssen wir auch mehr im Blick haben: Ost und West, Männer und Frauen, Erfahrene und Junge.

    Friedrich Merz steht für einen anderen Kurs als Sie. Wie loyal könnten Sie ihm als Parteichef dienen?

    Laschet: Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Friedrich Merz, habe ihn in Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Funktionen eingebunden. Es war immer meine feste Überzeugung, dass derjenige, der gewinnt, auch die Unterstützung der anderen haben muss.

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    Was wäre Ihr Angebot als Parteichef an die Frauen in der CDU?

    Laschet: Nicht nur weil ich der erste Frauenminister Deutschlands war, habe ich mich schon sehr früh konkret mit dem Thema Gleichstellung beschäftigt. Ich unterstütze die Vorschläge der Programmkommission für die schrittweise Einführung einer Quotierung. Zudem werde ich als CDU-Chef versuchen, das Thema nicht nur über die Quotierung von Listen, sondern auch über Gespräche und Überzeugungsarbeit in der Basis zu verankern. Es muss uns gelingen, den Frauenanteil unter unseren Parlamentariern und in Entscheidungspositionen unserer Partei zu erhöhen. Auch in den kommunalen Ämtern, bei den Oberbürgermeistern und den Landräten, brauchen wir mehr Frauen. In Nordrhein-Westfalen werden von den 54 Landkreisen und kreisfreien Städten immer noch nur eine Handvoll von Frauen geführt. Da sind wir nicht zuletzt dank des CDU-Siegs bei der Kommunalwahl im September zwar vorangekommen, aber es bleibt zu wenig.

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    Die größte Sorge der Deutschen ist momentan nicht die Frage des CDU-Vorsitzes, sondern die nach dem Kampf gegen die Pandemie. In NRW müssen impfwillige über 80-Jährige bis zu zehn Wochen warten. Was läuft da schief?

    Laschet: Es geht so schnell, wie der Impfstoff verfügbar ist. Wir haben bei unserer Impfkampagne in Nordrhein-Westfalen den Menschen in Alten- und Pflegeheimen zudem absoluten Vorrang eingeräumt, weil sie ganz besonders gefährdet sind. Grundsätzlich sollten wir froh darüber sein, dass überhaupt schon Impfstoffe da sind. Für andere Krankheiten gibt es bis heute keinen.

    Welche Fehler hat die Politik in der Pandemie gemacht?

    Laschet: Dass im Frühjahr alte Menschen alleine sterben mussten, weil der Zugang zu den Altenheimen abgeriegelt war. Das ist irreparabel, das kann man nicht wiedergutmachen. Der zweite Fehler war sicher, die Schulen und Kitas im März noch vor den Clubs und den Restaurants zu schließen. Das Signal muss weiter lauten: Bildung hat Vorrang.

    Sind bei der Impfstoffbeschaffung Fehler gemacht worden?

    Laschet: Keiner wusste im Sommer, welche der Firmen als Erstes den Impfstoff haben würde. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte Biontech noch nie zuvor Impfstoffe produziert. Trotzdem waren sie am Ende schneller als alle anderen. Das zeigt die Unwägbarkeiten, unter denen damals gehandelt werden musste.

    Viele Bürger verstehen die Corona-Auflagen nicht mehr. Da darf man tagsüber mit Dutzenden von Kollegen in einem Raum zusammenarbeiten, aber im Feierabend darf man nur noch eine Person treffen.

    Laschet: Das Ziel ist, Kontakte wirksam zu beschränken und gleichzeitig das Arbeitsleben aufrechtzuerhalten. Aber auch im Beruf müssen die Kontakte reduziert werden. Deswegen sind die Arbeitgeber aufgefordert, überall dort, wo es möglich ist, Homeoffice-Lösungen zu schaffen. Da hat sich die Wirtschaft bisher sehr flexibel gezeigt und das in vorbildlicher Weise umgesetzt.

    Anderes Beispiel: Wo ist der Unterschied zwischen einem Bewegungsradius von 15 Kilometern, wie er jetzt vielerorts vorgeschrieben ist, und 30 Kilometern?

    Laschet: Irgendwo müssen sie eine Grenze ziehen. Das entspricht einem Urteil des sächsischen Oberverwaltungsgerichts. Es geht um Kontaktbeschränkung und darum, den Tagestourismus einzudämmen.

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    Wäre ein noch härterer Lockdown wie in Italien und Frankreich sinnvoll?

    Laschet: Dort sind die Infektionszahlen unverändert hoch, obwohl die Menschen wochenlang in der Wohnung eingesperrt waren. In Ostdeutschland waren die Zahlen in der ersten Welle sehr niedrig, und jetzt sind sie in Sachsen und Thüringen am höchsten. Das Virus und seine Verbreitungswege sind oft unberechenbar. Die Wahrheit ist: Es gibt kein Patentrezept im Kampf gegen die Pandemie. Und jeder, der so tut, als ob es das gäbe, streut den Menschen Sand in die Augen.

    Wie wollen Sie nach der Pandemie die Wirtschaft wieder in Gang bekommen?

    Laschet: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zeit nach der Pandemie genauso schwierig wird wie die jetzige. Die wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Herausforderungen werden immens sein. Umso wichtiger ist, jetzt bereits die Weichen für eine dynamische Entwicklung unserer Wirtschaft zu stellen. Neben den Überbrückungshilfen und Konjunkturprogrammen brauchen wir ein bundesweites „Entfesselungspaket“. Konkret heißt das: schnellere Plan- und Genehmigungsverfahren, Bürokratieabbau und weitere Erleichterungen für Unternehmen. Drei Beispiele: Durch eine Zusammenlegung verschiedener rechtlicher Ansprüche in ein Gerichtsverfahren könnten diese beschleunigt werden. Beim Datenschutz könnte es bürokratische Vereinfachungen für kleine und mittlere Unternehmen insbesondere bei den Nachweis- und Dokumentationspflichten geben. Außerdem könnte eine Beschleunigungskommission von Bund und Ländern für insgesamt mehr Tempo bei besonders wichtigen Planungen und Genehmigungen sorgen.

    Brauchen wir Steuererhöhungen, zum Beispiel einen „Corona-Soli“?

    Laschet: Steuererhöhungen sind der falsche Weg. Sie belasten vor allem mittelständische Betriebe und lähmen die Wirtschaft. Der Mittelstandsbauch muss weiter abgeflacht werden. Am Beginn eines Modernisierungsjahrzehnts brauchen wir zudem ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft. Die vergangenen zehn Jahre zeigen ja: Wer Betriebe unterstützt und Arbeitsplätze schafft, anstatt Steuern zu erhöhen, hat am Ende trotzdem Rekordsteuereinnahmen. Wenn mehr Menschen einzahlen, gibt es am Ende auch mehr Geld für den Staat.

    Wann wird unser Leben wieder normal sein?

    Laschet: Ich hoffe, dass es in diesem Jahr gelingt, wieder zu einem halbwegs normalen Alltag zurückzukehren. Ich wünsche mir, dass wir Weihnachten 2021 wieder feiern können wie in den Jahren vor Corona.