London. Der neue Premier Boris Johnson gibt sich wild entschlossen zum Brexit. Seine Vorgängerin Theresa May hinterlässt eine verschlüsselte Warnung.

So viel Tradition muss sein. P remierminister von Großbritannien wird man nicht durch eine Wahl. Sondern erst, wenn die Queen einen dazu ernennt. Der neue Chef der Konservativen Partei Boris Johnson fuhr am Mittwochnachmittag zum Buckingham Palast, um Elizabeth II. artig einen Handkuss zu erteilen. Danach bekommt er den Auftrag, eine Regierung zusammenzustellen.

Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte sich zuvor in einer Privataudienz von der Monarchin verabschiedet, die sie über die letzten drei Jahre und elf Tage jede Woche über die Amtsgeschäfte unterrichtet hatte. Auf ihrem Rückweg musste May schon – so brutal sind die Regeln – auf ihre Dienstlimousine verzichten. Denn die steht jetzt ihrem Nachfolger Boris Johnson zu.

Danach ließ sich der 55-Jährige vom Palast zu seinem neuen Amtssitz in der Downing Street Nummer 10 kutschieren. Von dort richtete er sich in einer Ansprache an die Nation. „Die Zweifler, die Schwarzmaler, die Pessimisten liegen falsch“, begann er, „die Leute, die gegen dieses Land wetten wollen, werden ihr Hemd verlieren.“

London geht mit Brexit-Hardliner Johnson Mission EU-Ausstieg an

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    Boris Johnson schwärmt von der Stärke der britischen Wirtschaft

    Da war er wieder, der alte Boris Johnson – kämpferisch, mal mit geballter Faust, mal mit hochgeworfenen Armen. Natürlich werde Großbritannien einen Erfolg aus dem Brexit machen, versprach er. Es sei Zeit, „nicht auf die Risiken, sondern auf die Chancen zu schauen“.

    Optimismus ist die wichtigste Ware im Sortiment des Menschenfängers. Man müsse sich zwar auf die „entfernte Möglichkeit“ eines harten Brexits vorbereiten. Aber das würde nur dann passieren, wenn die EU dies erzwingen – also keine neues Austrittsabkommen verhandeln würde.

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    Er schwärmte von der Stärke der britischen Wirtschaft und Wissenschaft, die ihres Glückes Schmied sei. Doch falls alle Stricke rissen, komme der Brexit am 31. Oktober, „ohne Wenn und Aber“.

    Sprach‘s, drehte sich um und ging zum ersten Mal als Premierminister durch die berühmte schwarze Tür von Downing Street 10. Seine allererste Pflicht war es, eine Reihe von Briefen an die Kommandeure der britischen Atom-U-Boote zu schreiben. Er wies sie an, was sie im Kriegsfall zu tun hätten.

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    Lässt Boris Johnson „Remainer“ im Kabinett?

    Danach ging es um weniger martialische Dinge wie die Bildung des neuen Kabinetts. Johnsons Botschaft vorab war, dass es ein „Kabinett für ein modernes Großbritannien“ werden solle. Die Botschaft: Er will mehr Frauen und mehr Politiker mit Migrationshintergrund um sich scharen.

    Aber vor allem wird das Revirement eine frühe Weichenstellung dafür, wie der Brexit ausfallen soll. Wenn – wie erwartet – Hardliner wie Dominic Raab, Priti Patel oder Iain Duncan Smith Schlüssel-Ressorts übernehmen, darf man davon ausgehen, dass es Johnson bitterernst meint mit dem „Do-or-Die-Brexit“.

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      Dem unbedingten Austritt aus der EU, selbst wenn es ein No-Deal wird. Behält er sogenannte „Remainer“, die im Referendum für den EU-Verbleib gestimmt haben, im Amt wie den Außenminister Jeremy Hunt oder die Arbeitsministerin Amber Rudd, könnte das ein erstes Kompromisssignal sein.

      Theresa May hält neben ihrem Mann Philip vor der 10 Downing Street eine Abschiedsrede, bevor sie sich auf den Weg zum Buckingham-Palast machen.
      Theresa May hält neben ihrem Mann Philip vor der 10 Downing Street eine Abschiedsrede, bevor sie sich auf den Weg zum Buckingham-Palast machen. © dpa | Dominic Lipinski

      Von sämtlichen Minister-Kandidaten hat er schon verlangt, dass sie notfalls einen ungeregelten Austritt aus der EU unterstützen müssen. Die vollständige Kabinettsumstellung dürfte erst im Laufe des Donnerstags abgeschlossen sein.

      Bevor Johnson seine Ansprache hielt, hatte Theresa May Gelegenheit für eine Abschiedsadresse vor dem Regierungssitz in der Downing Street.

      Großbritannien ist gespaltener denn je

      Gerade als sie ihrem Ehemann Philip für dessen Unterstützung dankte, erschallte ein Megafon-Ruf von der Straße: „Stop Brexit“. Verdutzt hielt sie inne, fing sich aber und sagte: „Ich glaube, die Antwort darauf ist: Nein.“

      Eine Botschaft für Johnson in Sachen Brexit hatte sie dennoch. Die sofortige Priorität müsse sein, einen EU-Austritt zu liefern, „der für das gesamte Königreich funktioniert“. Das war eine verschlüsselte Warnung an ihren Nachfolger, keinen

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      Denn Austritt ohne Vertrag, davor hatte May auch schon am Dienstag bei ihrer letzten Kabinettssitzung gewarnt, könnte zu einem Auseinanderbrechen des Königreichs führen. Dann bestünde die Gefahr, dass die Landesteile Schottland und Nordirland sich abspalten. May hatte angekündigt, als Hinterbänklerin im Unterhaus zu verbleiben. Gut möglich, dass sie von dort aus einem No-Deal-Boris in die Arme fallen will.

      May war die Frustration anzumerken, bei der größten Aufgabe ihrer Amtszeit versagt zu haben: Sie konnte den Brexit nicht liefern. Sie verspielte die von ihrem Vorgänger David Cameron geerbte parlamentarische Mehrheit in vorgezogenen Neuwahlen.

      Sie hinterlässt nun ein Parlament, das völlig blockiert ist und sich zu keiner Brexit-Lösung durchringen kann. Sie hat die Gräben im Land zwischen Brexit-Befürwortern und Europa-Freunden vertieft statt überbrückt. Großbritannien ist heute zerrissener und politisch gespaltener denn je.

      Johnson riskiert sein Scheitern – und das der Partei

      Obwohl Boris Johnson in seiner Ansprache erste Grundzüge eines politischen Programms skizzierte, weiß er doch, dass nicht die Innenpolitik über sein Schicksal entscheiden wird. Die alles überragende Aufgabe ist die Lieferung des Brexit.

      Wenn er sein Versprechen bricht und Großbritannien nicht am 31. Oktober austritt, dann riskiert Johnson sein politisches Ende und das der Konservativen Partei. Er hat noch genau genau 99 Tage Zeit. Bis dahin muss er das anscheinend Unmögliche vollbringen. Auf das Vereinigte Königreich kommen turbulente Zeiten zu.

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