Berlin. Kanzlerin Merkel schließt nicht aus, dass der Lockdown noch verschärft wird. Sie warnt zudem vor einer „akuten Notlage“ in Kliniken.

Der entscheidende Tag ist der übernächste Montag: Am 16. November, zwei Wochen nach Beginn des November-Lockdowns, will die Kanzlerin mit den Länderchefs bewerten, ob die Einschränkungen ausreichen, um die exponentielle Infektionskurve zu bremsen. Oder ob der Lockdown noch verschärft werden muss. Auch die Zielmarke liegt schon fest: weniger als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Nur dann können Kontakte wieder nachverfolgt werden. Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland bei weit über 120.

„Jeder und jede hat es in der Hand, diesen November zu einem Erfolg zu machen“, sagte Merkel am Montag in Berlin. Wenn es in den nächsten vier Wochen gelingen würde, die Zahlen zu drücken, „dann schaffen wir uns einen erträglichen Dezember“. Ihr Appell: Von vier Kontakten, die die Bundesbürger in normalen Zeiten hätten, sollten sie auf drei verzichten.

Und wenn nicht? Auch dafür hat Merkel bereits einen Plan: „Wir haben immer noch nicht so strenge Kontaktbeschränkungen wie im Frühjahr“, erinnerte Merkel. „Man könnte über so was nachdenken.“ Heißt: Es kann noch härter kommen. Ihre persönliche Grenze: „Ich möchte keine Ausgangssperre haben.“

Bereits die jetzigen Beschränkungen seien schwer zu ertragen, räumte Merkel ein: „Sie sind hart, das weiß ich.“ Aber es sei jetzt nicht die Zeit, hier und da ein bisschen strenger zu sein. „Das wäre halbherzig. Das Virus bestraft Halbherzigkeit.“ Ihre Hoffnung: Dass es ausreicht. „Es kann ein Wellenbrecher sein.“ Sie sagt: Es kann. Nicht: Es wird.

Reicht der Lockdown, um Weihnachten zu retten?

Weihnachten wird anders – das steht jetzt schon fest, denn die Angst vor dem Virus wird bei vielen weiterhin mit am Tisch sitzen. Ob Ende Dezember bereits ein erster Impfstoff verteilt wird, ob die strengen Kontaktbeschränkungen auf zwei Haushalte noch gelten – unklar.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht „Monate der Einschränkungen und des Verzichts“ vor dem Land. Selbst wenn das öffentliche Leben in einigen Wochen wieder hochfahre, könnten danach erneut strenge Beschränkungen drohen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, rät Familien bereits dazu, in diesem Jahr Weihnachten „im Schichtsystem“ zu feiern. So könnten unterschiedliche Haushalte an unterschiedlichen Tagen miteinander feiern. Das Fest müsse man möglichst entzerren.

Merkel sieht es nüchtern: Weihnachten hänge davon ab, was das Land im November hinkriege. „Dass es die großen, rauschenden Silvesterpartys gibt, das glaube ich nicht.“

Reicht die Disziplin der Deutschen?

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte die Bürger am Montag dringend auf, die Schutzmaßnahmen mit Verständnis mitzutragen.

Die Polizei beobachte mit Sorge eine schwindende Akzeptanz für die Einschränkungen: „Zu anfänglichen Verbalattacken gegen Einsatzkräfte kommen mittlerweile vermehrt körperliche Attacken hinzu“, warnte GdP-Vize Dietmar Schilff. Wichtig seien mehr Konsens und weniger Konfrontation: „Dabei appelliere ich auch an die Politik und Verwaltung: Man erleichtert uns die Arbeit, indem man widerspruchsfreie sowie gerichtsfeste Maßnahmen und Anordnungen trifft“, so Schilff. Den Verwaltungsgerichten liegen Dutzende Eilanträge gegen die neuen Corona-Beschränkungen vor.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach war am Montag zuversichtlich, dass der neue Lockdown wirkt: Er sei fest davon überzeugt, „dass wir noch einmal die Kurve runterdrücken können“, sagte der Epidemiologe unserer Redaktion. In etwa zwei bis drei Wochen würde man die positiven Effekte der nun eingeführten Einschränkungen sehen können.

Lauterbach geht davon aus, dass die meisten Deutschen sich an die strengen Vorgaben im November halten werden – aus Angst vor negativen Folgen mit einer Überlastung der Gesundheitssysteme, wie sie in anderen Ländern bald zu befürchten seien. „Wir werden dramatische Bilder sehen, wahrscheinlich noch weitaus dramatischer als die Bilder aus Bergamo im Frühjahr. Die Leute bei uns werden dann noch vorsichtiger werden.“

Reichen die Intensivkapazitäten?

Das wird sich erst in einigen Wochen zeigen – denn: Die Lage auf den Intensivstationen spiegelt nicht das aktuelle Infektionsgeschehen wider, sondern ist die Folge von Infektionen, die oft mehrere Wochen zurückliegen. Es dauert also, bis einschneidende Maßnahmen auch in den Kliniken für Entlastung sorgen können.

Aktuell ist die Entwicklung alarmierend: Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle hat sich in den vergangenen zwei Wochen nahezu verdreifacht – auf inzwischen mehr als 2100 Fälle. Hinzu kommt: Es fehlt an Intensivpflegern.