Berlin. Der Überraschungsangriff der radikal-islamischen Hamas ist beispiellos, die Gefahr eines Flächenbrands groß, meint unsere Autorin.

Die Raketen und Terrorkommandos aus dem Gazastreifen kamen in den frühen Morgenstunden und trafen Israel völlig unvorbereitet. Für das Land, das sich in seiner Geschichte schon so oft bedroht sah, wird ein Alptraum wahr. „Bürger Israels, wir sind im Krieg“, sagte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft.

Der Überraschungsangriff im Morgengrauen ist beispiellos, seit die militanten Islamisten im Gazastreifen die Macht an sich gerissen haben. Es starteten nicht nur Tausende Raketen bis an die Stadtgrenze Jerusalems. Nach Angaben der israelischen Armee schickte die Hamas Kämpfer „mit Flugdrachen, über See und auf dem Landweg“ nach Israel. Die Terrorkommandos stießen in den Süden vor und verwandelten die Grenzorte in ein Kriegsgebiet.

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Israel wird auf den Angriff reagieren – und zwar heftig

Israels Reaktion wird heftig ausfallen. Nichts deutet an diesem Wochenende darauf hin, dass dieser Krieg rasch beendet werden kann. Im Gegenteil: Er hat eine neue Dimension erreicht.

Das hatte es in den langen Jahren des blutigen Gaza-Konflikts noch nicht gegeben: Die Angreifer überschritten eine neue Grenze der Eskalation und nahmen Geiseln, die sie nach Gaza verschleppten. Hamas behauptet, ihre Kämpfer hätten fünf Soldaten gekidnappt, in israelischen Medien ist von mehr als 30 Entführten die Rede – unter ihnen sollen auch Zivilisten sein. Sie sollen in Gaza durch die Straßen getrieben werden. Auch wenn es nur ein einziger Israeli sein sollte: Israel gibt seinen Bürgern und Soldaten das Versprechen, keinen in den Händen der Feinde zurückzulassen. Auch keine Toten.

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In Israel wird nach den Hamas-Angriffen und Entführungen ein Trauma wach

In Israel wurde am Samstag ein altes Trauma wach: Fünf Jahre lang war der junge Soldat Gilad Schalit in der Gewalt der Hamas. Nach endlosen Verhandlungen zahlte die Regierung für seine Freilassung einen hohen Preis. Damit er nach Hause zurückkehren konnte, musste sie 1100 palästinensische Häftlinge aus israelischer Haft entlassen.

Gudrun Büscher
Gudrun Büscher © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Danach dauerte es nur wenige Jahre, bis im Sommer 2014 der bisher verlustreichste und längste Gaza-Krieg ausbrach. Er endete nach fünf Wochen mit mehr als 2200 Toten, etwa die Hälfte von ihnen waren Zivilisten. Damals wurden aus Gaza an die 5000 Raketen abgefeuert. Nun behauptet die Hamas, dass es allein am Samstagmorgen so viele waren.

Wie verhält sich die Hisbollah-Miliz?

Die Hamas in Gaza und ihre Verbündeten zeigen mit aller Brutalität, wie groß der Hass ist. Die Sorge wächst, dass dieser Krieg nicht auf den Gazastreifen und den Süden Israels begrenzt bleibt, sondern sich zu zu einem regionalen Konflikt ausweitet.

Die Hamas rief die Palästinenser im Westjordanland auf, zu den Waffen zu greifen. Der Hamas-Militärchef Deif sprach „vom Tag der größten Schlacht“. Niemand weiß, wie sich die mit Iran verbündete libanesische Hisbollah-Milz verhält. An der israelischen Nordgrenze hatten zuletzt die Spannungen zugenommen.

Dieser Krieg könnte eine Zäsur bedeuten

In Israel weckt der Angriff Erinnerungen an den Jom-Kippur-Krieg. Der Ausbruch jährt sich gerade zum 50. Mal. Am höchsten jüdischen Feiertag hatte Ägypten 1973 das unvorbereitete Israel attackiert. Dieses Mal ging gerade das Laubhüttenfest zu Ende. Es sind Schulferien, viele Israelis sind verreist, viele Ausländer zu Besuch. Israel war im Streit um die neue Justizreform tief gespalten. Jeden Samstag gingen Zehntausende auf die Straßen, um zu protestieren. Jetzt rückt das Land zusammen: Auch die Reservisten, die gegen die die Pläne der Regierung Netanjahu demonstriert und mit Verweigerung gedroht hatten, melden sich zum Dienst. Denn dieser Krieg könnte lang und blutig werden und für den Nahen Osten eine Zäsur bedeuten.