Kairo/Berlin. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko lässt immer mehr Migranten aus dem Nahen Osten einfliegen. Ihr Ziel: Deutschland.

Die Zahl der Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze hat schlagartig zugenommen. Nach Angaben der polnischen Regierung haben sich 3000 bis 4000 Migranten vor dem von Warschau errichteten Grenzzaun versammelt. Immer wieder rufen einzelne Gruppen „Germany, Germany“. Die meisten wollen über Polen nach Deutschland.

Grund für die steigende Zahl ist der von Belarus massiv betriebene Schlepper- und Schleuserpolitik per Flugzeug. Machthaber Alexander Lukaschenko lässt seit Wochen immer mehr Flüchtlinge aus den Krisenregionen des Nahen Ostens direkt nach Minsk fliegen. Danach werden die Migranten an die Grenze – oft zu Polen oder Litauen – gekarrt.

Lukaschenko will sich für EU-Sanktionen rächen

Damit will Lukaschenko die EU unter Druck setzen und sich für eine Reihe von Seit dem Sommer aufgelegten Sanktionen der Gemeinschaft rächen. Brüssel hatte nach der gefälschten Präsidentschaftswahl im August 2020 und dem brutalen Vorgehen gegen die Opposition Strafmaßnahmen gegen Belarus verhängt.

Die Flüchtlinge starten von Ländern wie Syrien (Damaskus), in der Türkei (Istanbul) und in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Dubai). Sie stammen oft aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder afrikanischen Ländern. So fliegt Turkish Airlines, derzeit ein- bis zweimal am Tag von Istanbul nach Minsk. Die staatliche belarussische Linie Belavia fliegt die Strecke bis zu zweimal täglich, in einem Codeshare-Abkommen mit Turkish Airlines. Die Flüge sind derzeit meist ausgebucht.

Flüchtlinge zahlen bis zu 10.000 Dollar für Flug, Hotel und Transport an die Grenze

Seit vergangenem Sommer hat Lukaschenko ein Dekret über Visaerleichterungen für Einreisende aus dem Nahen Osten verabschiedet. Nach polnischen Presseberichten gibt es Komplettangebote für Migranten aus Nahost. So hätten Flüchtlinge gesagt, dass sie zwischen 3000 und 10.000 Dollar für einen Flug aus dem Nahen Osten nach Minsk bezahlt hätten.

Endstation Stacheldraht: Flüchtlinge versammeln sich vor dem von Polen errichteten Zaun an der belarussisch-polnischen Grenze. Viele der Migranten, die aus dem Nahen Osten stammen, wollen nach Polen und dann nach Deutschland.
Endstation Stacheldraht: Flüchtlinge versammeln sich vor dem von Polen errichteten Zaun an der belarussisch-polnischen Grenze. Viele der Migranten, die aus dem Nahen Osten stammen, wollen nach Polen und dann nach Deutschland. © dpa | LEONID SHCHEGLOV

In dem Preis inbegriffen sind demnach Visagebühren, Hotelübernachtungen und ein Transport an die Grenze. Vertreter der belarussischen Regierung arbeiteten mit örtlichen Reisebüros in Nahost zusammen, heißt es. Von dem hohen Gesamtpreis profitieren die Reisebüros, die Fluglinien und der belarussische Staat – etwa für die Unterbringung in staatlichen Hotels.

Zahl der Flugverbindungen von Nahost nach Minsk verdoppelt sich

Lukaschenko will den staatlich gelenkten Migranten-Tourismus weiter ausbauen. Nach den neuesten Landeplänen des Minsker Flughafens sind bis März 2022 wöchentlich rund 40 bis 50 Flüge aus Istanbul, Damaskus und Dubai geplant. Diese drei Airports werden derzeit am häufigsten von Flüchtlingen für Direktflüge nach Belarus genutzt, um von dort Richtung EU weiterzureisen.

Damit hat sich die Zahl der Flugverbindungen aus der Region nach Minsk im Vergleich zum Winter 2019/2020 mehr als verdoppelt. Demnächst könnten fünf weitere belarussische Flughäfen aus dem Nahen Osten angeflogen werden, verlautet in Minsk.

Lange Schlangen mit jungen Männern am Flughafen von Damaskus

Die Lockrufe aus Belarus scheinen zu wirken. Wer in den sozialen Medien unter dem arabischen Hashtag „#Belaruss“ sucht, der findet ein Video auf der Facebookseite des syrischen Fernsehens vom Flughafen in Damaskus. Zu sehen ist eine lange Schlange mit jungen Männern. Sie zieht sich bis vor das Flughafengebäude in der syrischen Hauptstadt. Die jungen Männer sprechen kurdisch untereinander. Sie stammen meist aus dem benachbarten Irak.

Seit Monaten hatte sich die Nachricht verbreitet, dass es einfach sei, mit einem Touristenvisum nach Minsk zu kommen, um dort zu versuchen, sich nach Polen und damit in die EU durchzuschlagen. Vor allem jene, die es in die EU geschafft hatten, berichteten darüber.

Ein kleiner Ort im Nordirak ist Schmuggelzentrum für Belarus

Einer der Ausgangspunkte war der kleine Ort Schiladze in den kurdischen Gebieten im Nordirak in der Nähe der Stadt Dohuk, unweit der türkischen Grenze gelegen. Der kleine Ort mit seinen 40.000 Einwohnern ist eines der Schmuggelzentren in Richtung Belarus.

Einer der lokalen Schmuggler berichtet der Nachrichtenagentur Reuters, dass er bereits 200 Menschen von dort nach Minsk gebracht habe. Die Tour war immer ähnlich. Zunächst ging es mit einem Touristenvisum nach Minsk, dann wurden die Menschen von dort nach Polen geschleust. Belarus war eines der wenigen Länder, für das Iraker leicht ein Touristenvisum bekommen.

„Die Menschen haben ihre Häuser und Autos verkauft, um sich das leisten zu können“

Er wisse nicht, wie viele seiner Kunden es tatsächlich nach Europa geschafft hätten, sagt ein Schmuggler, der seinen Namen nicht nennen möchte. Viele seiner Verwandten und Freunde seien bereits weg, andere würden folgen, wird der lokale Friseur Abdullah Omar bei Reuters zitiert. „Die Menschen haben ihre Häuser und Autos verkauft, um sich das leisten zu können“, erzählt er.

Irakische Reisebüros hatten seit Monaten offensiv Reisen nach Minsk angeboten - mit dem Argument, wie einfach der Visaprozess sei, ohne den weiteren Schmuggel nach Polen zu erwähnen. „Wenn ihr gebucht habt, bekommt ihr innerhalb von nur drei Tagen euer Visum im Flughafen in Bagdad am Counter. Bei der Ankunft in Minsk geht ihr direkt zu Passkontrolle. Die stempelt den Pass ab - und willkommen in Minsk“, erzählte der Mitarbeiter der irakischen Al-Rahim Reiseagentur auf der Facebook-Seite der Agentur.

Direktflüge jetzt vor allem aus Dubai, Istanbul und Damaskus statt Bagdad

Seit August war die Reise etwas komplizierter geworden. Direkte Flüge von Bagdad oder Erbil nach Minsk wurden aufgrund des Drucks aus der EU eingestellt. Nun geht die Reise vor allem über Dubai, Istanbul oder Damaskus.