Washington. Bis ein Ergebnis der US-Wahl vorliegt, könnten Tage vergehen. Was passiert in der Zwischenzeit? Wir blicken auf mögliche Szenarien.

Vor vier Jahren war es morgens 2.30 Uhr Ortszeit Washington, als in Amerika am Tag danach der Sieger der Präsidentenwahl feststand: Donald Trump. Hillary Clinton hatte kurz zuvor ihre Niederlage am Telefon eingestanden und ihrem Widersacher gratuliert. „Business as usual“ in einer der ältesten Demokratien der Welt sozusagen.

Am kommenden Dienstag rechnet kaum jemand mit einer zeitnahen Auflösung. Von Hängepartie bis zu gewalttätigen Ausschreitungen, weil kein Sieger feststeht, reichen Spekulationen und Szenarien. Ein Was-wäre-wenn-Überblick:

US-Wahl zum Präsidenten: Warum gibt’s überhaupt eine Debatte?

Weil Donald Trump für eine Premiere gesorgt hat: Auf die Frage, ob er ein für ihn ungünstiges Wahlresultat respektieren wird, sagte der Präsident zunächst mehrfach: Abwarten, er müsse sich erst das Zustandekommen der Ergebnisse anschauen. Später legte er nach: Eine Niederlage wäre nur durch Betrug zu erklären. Stichwort: Briefwahl. Lesen Sie hier: Trump: Friedliche Machtübergabe an Biden nicht garantiert

US-Wahl 2020: Was ist die Wunschkonstellation?

Ein Erdrutschsieg für Trump oder seinen Herausforderer Joe Biden, der sich am Abend des 3. November seriös abbilden lässt. Aber kein Meinungsforscher sagt das voraus. Erste Wahllokale schließen in Indiana und Kentucky um 18 Uhr (0 Uhr MEZ). Das Schlusslicht bildet Alaska um Mitternacht (6 Uhr MEZ) am 4. November.

Zwischen 20 und 22 Uhr Ostküstenzeit (2 und 4 Uhr MEZ) schließen in entscheidenden Bundesstaaten wie Florida, Pennsylvania, Michigan, Arizona, Wisconsin die Wahllokale. Danach gibt es Prognosen.

Wie sieht das Schreckensszenario aus?

Amtsinhaber Donald Trump verliert, erkennt aber das maßgeblich durch viele Briefwahlstimmen für Joe Biden zustande gekommene Ergebnis nicht an und wird dabei von Justizminister Bill Barr und den Republikanern im Kongress unterstützt. Landesweit gibt es Proteste. In den Tagen nach der Wahl kommt es zu Unruhen, die von der Polizei nicht eingedämmt werden können.

Trump setzt die Nationalgarde in Marsch, bemüht über den „Insurrection Act“ das Kriegsrecht und ordnet einen Militäreinsatz zur Wiederherstellung des inneren Friedens an. Bürgermilizen nehmen parallel das Heft in die Hand. Amerika würde ins Chaos abgleiten. Wichtig: Alle Experten halten diese Option für die unwahrscheinlichste, schließen sie aber angesichts der extremen Polarisierung des Landes nicht kategorisch aus.

Was passiert bei knappem Vorsprung für Trump – oder einem Patt?

Anfechtungsklagen in relevanten Bundesstaaten wären programmiert, heißt es aus dem Regierungsumfeld. Der Präsident hat mehrfach betont, dass die hohe Zahl von Briefwählern in einen Betrug zu seinen Lasten einmünden werde. Dabei gibt es für Manipulationen bisher keinerlei Beweise. Zunächst würden sich Gerichte in den jeweiligen Bundesstaaten damit beschäftigen, später dann wahrscheinlich der Oberste Gerichtshof.

Donald Trump, der republikanische Amtsinhaber, behauptet, dass seine Niederlage nur durch Betrug zu erklären wäre.
Donald Trump, der republikanische Amtsinhaber, behauptet, dass seine Niederlage nur durch Betrug zu erklären wäre. © AFP | Steve Pope

Wie wären Trumps Chancen vor dem Supreme Court?

Mit der frisch von ihm dorthin entsandten Richterin Amy Coney Barrett und den vorher installierten konservativen Juristen Gorsuch und Kavanaugh könnte Trump nominell auf eine konservative 6:3-Richtermehrheit in seinem Sinne hoffen. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

Würde Joe Biden bei knappem Ausgang oder Patt auch so weit gehen?

Bidens Wahlkampf-Team schweigt dazu. Analysten aus dem demokratischen Umfeld sagen, dass der Herausforderer, wenn nötig, Stimmen-Neuauszählungen verlangen würde. Wären die Fakten klar gegen ihn, würde Biden am Ende seine Niederlage einräumen, „um das Land nicht zu destabilisieren“, heißt es. Das gelte auch für den Fall, dass Biden die meisten Direktstimmen bekommt, aber nicht die Mehrheit im entscheidenden Wahlkollegium.

Wichtige Einschränkung: Sollten Trumps Anwälte den Versuch unternehmen, gerichtlich die Auszählung von Briefwahlstimmen nach dem 3. November zu verbieten, würde der Alt-Vizepräsident auf legalem Weg „bis zur letzten Patrone kämpfen“, sagen Insider.

Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftskandidat, liegt in den Meinungsumfragen vorn.
Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftskandidat, liegt in den Meinungsumfragen vorn. © dpa | Carolyn Kaster

Warum pocht Trump darauf, dass alle Ergebnisse am Wahlabend vorliegen müssen?

Trump geht davon aus, dass er am 3. November gewinnt, weil voraussichtlich mehr republikanische denn demokratische Wähler direkt an die Wahlurnen gehen werden. Diese Stimmen werden bei der Auszählung im Allgemeinen vorgezogen und fließen in die ersten Hochrechnungen ein. In der Wahlnacht könnte so der Eindruck entstehen, Trump habe die Wahl für sich entschieden.

Allein: Das hohe und vor allem auf demokratische Wähler zurückgehende Briefwahlaufkommen (bis Donnerstag 70 Millionen plus x) kann aufgrund unterschiedlicher Fristen in den Bundesstaaten nicht komplett in der Wahlnacht ausgezählt werden.

Pennsylvania etwa akzeptiert ordnungsgemäß per Brief eingegangene „mail-in-ballots“ auch noch drei Tage nach dem Wahltag. In diesem Szenario ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende Biden der Sieger ist. Lesen Sie hier: Florida: Die Wahlschlacht in Amerikas Rentner-Paradies

Gibt es ein Gesetz, das die Verkündung des Endergebnisses in der Wahlnacht vorschreibt?

Nein, auch wenn Trump den gegenteiligen Eindruck erweckt. Rechtlich haben alle Bundesstaaten bis zum 8. Dezember Zeit, ihr amtliches Endergebnis festzustellen. An diesem Tag müssen sie die 538 Wahlfrauen und -männer benennen, die am 14. Dezember im „electoral college“ den Präsidenten wählen.

Wenn ein Bundesstaat bis zum 8. Dezember kein klares Ergebnis haben sollte – wie werden dann die Teilnehmer für das Electoral College bestimmt?

Dann könnte der Kongress des Bundesstaates per Mehrheitsvotum das Wahlkollegium benennen. Was in wichtigen Staaten wie Michigan, North Carolina, Pennsylvania, Arizona, Florida und Wisconsin Trump begünstigen könnte, weil Republikaner dort die parlamentarische Mehrheit haben. Regiert in dem Bundesstaat ein demokratischer Gouverneur, könnte er als höchster Wahlbeamter selbst eine Gruppe von Wahlleuten bestimmen, die sich wahrscheinlich Biden verpflichtet fühlen würde.

In diesem wohl unwahrscheinlichen Fall läge das letzte Wort bei Mike Pence. Der Vizepräsident ist auch Präsident des Senats, wo dieser Streitfall landen würde.

Worauf wird es stark ankommen?

Auf die großen TV-Sender und Nachrichtenportale im Internet. Sie sind es, die unter Berufung auf Meinungsforscher mit Hochrechnungen den Ton des Abends setzen. Dabei könnten Fakten geschaffen werden, die schwer wieder einzufangen sind, wenn die Auszählung der Briefwähler anderes ergeben sollte. Alle Sender haben sich zu höchster Seriosität verpflichtet.

US-Wahl 2020 - Alles zum Duell Trump vs. Biden