London. Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn will offenbar selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen – und einen No-Deal-Brexit verhindern.

Vor wenigen Wochen gab Boris Johnson noch den Wolf im Schafspelz. Die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien ohne einen Vertrag aus der EU austrete, stehe bei eins zu einer Million, versuchte er seine Kritiker zu beruhigen. Damals war er noch Kandidat für den Vorsitz der Konservativen Partei und den Posten des Premierministers.

Doch nach der Amtseinführung ist vom Schafspelz nichts mehr zu sehen. Johnson spielt den starken Mann: Entweder die EU geht auf seine Bedingungen ein und verhandelt den Ausstieg neu – oder harter Brexit zum 31. Oktober.

Gegen diese Karacho-Linie regt sich nun heftiger Widerstand. Jeremy Corbyn, der Chef der größten Oppositionspartei Labour, will Johnson stürzen. In einem Brief an die Vorsitzenden der kleineren Oppositionsparteien und die Rebellen der regierenden Konservativen im Unterhaus kündigte er einen Misstrauensantrag „bei der frühesten Gelegenheit“ an.

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Dafür werbe er bei seinen Kollegen um Unterstützung. Nach dem Sturz von Johnson würde Corbyn „für eine zeitlich strikt begrenzte Dauer“ eine Übergangsregierung anführen. Das Ziel sei, eine Verschiebung des Austrittstermins am 31. Oktober zu erwirken und danach Neuwahlen anzusetzen.

Jeremy Corbyn will ungeregelten Brexit verhindern

Die Regierung habe für einen ungeregelten Austritt kein Mandat, schrieb Corbyn. Auch das Ergebnis des Referendums vom Juni 2016 würde keine Rechtfertigung für einen No-Deal-Brexit liefern. Mit dieser Argumentation rennt der Labour-Chef bei seinen Kollegen zwar offene Türen ein. Doch einen Haken hat die Sache: Ihnen gefällt nicht, dass ausgerechnet Corbyn eine „Regierung der nationalen Einheit“ anführen soll. Der 70-jährige Politiker mit seinem strammen Linkskurs ist sehr umstritten – bei seinen politischen Gegnern wie auch in der eigenen Fraktion.

Jo Swinson, die Anführerin der Liberaldemokraten, sagte, dass Corbyn „nicht die Person ist, die in der Lage wäre, selbst eine zeitweilige Mehrheit im Parlament aufzubauen“. Das Ganze sei Nonsens. Auch Caroline Lucas, die Co-Chefin der Grünen, machte klar, dass sie gegen einen Premierminister Corbyn stimmen würde.

Etwas besser sah es bei den walisischen und schottischen Nationalisten aus. Liz Saville Roberts, Chefin der walisischen Plaid Cymru, erklärte, dass sie jeden Versuch, einen „No Deal“ zu stoppen, unterstützen würde. Aber der richtige Weg wäre ein zweites Referendum. Ian Blackford, der die schottische SNP-Fraktion anführt, betonte, er sei bereit, den Labour-Chef bei frühester Gelegenheit zu sprechen.

Einige Konservative sind bereit, sich gegen Boris Johnson zu wenden

Noch ist Sommerpause im Parlament. Noch hätte die Opposition Zeit, sich zusammenzuraufen. Wenn das Haus ab dem 3. September wieder tagt, wären die Chancen,

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stürzen zu können, ziemlich gut. Putschgerüchte liegen jedenfalls in der Luft. Die Regierung hat auch mit der Unterstützung durch die nordirischen Nationalisten von der DUP nur eine Arbeitsmehrheit von einer Stimme im Hohen Haus. Innerhalb der Fraktion der Konservativen gibt es rund 20 Abweichler bei den Torys.

Sie wären bereit, gegen ihren Parteivorsitzenden und Regierungschef Johnson zu stimmen, um einen „No Deal“ zu verhindern. Abgeordnete wie der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve oder der Ex-Schatzkanzler Kenneth Clarke sehen in einem ungeregelten Austritt ein einziges Desaster.

  • Hintegrund:

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Der Sturz Johnsons ist eine Sache. Eine ganz andere ist es hingegen, Corbyn auf den Schild zu heben. Das ist in der zutiefst stammesmäßig geprägten Polit-Kultur des Königreichs undenkbar. Torys, die Corbyn für einen ausgemachten Marxisten halten, können sich seiner Revolte nur schwer anschließen. Deshalb wurde vor Kurzem ein anderer Vorschlag eingebracht: Eine Regierung der nationalen Einheit sollte ein möglichst unumstrittener, allseits respektierter Politiker anführen. Im Gespräch waren unter anderem Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer oder der „Vater des Hauses“, der dienstälteste Abgeordnete Kenneth Clarke.

Doch genau diesem Modell erteilte dann die Labour-Führung eine klare Absage: Nur Corbyn käme für die Position eines Interimspremiers infrage. Es bleibt abzuwarten, ob Labour diese Position halten kann. Denn sollte Corbyn es nicht schaffen, selbst eine Regierung bilden zu können, würde der Druck wachsen, einen anderen Johnson-Ersatz zuzulassen.

Andere Manöver werden zurzeit ebenfalls geplant. Der von

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geschasste Schatzkanzler Philip Hammond will eine Allianz von moderaten Konservativen zur Verhinderung eines „No Deals“ schmieden. Der Plan ist, ein Gesetz zu verabschieden, das den Premierminister verpflichtet, in Brüssel um eine Verlängerung zu bitten. Andere Abgeordnete wollen sogar das Staatsoberhaupt Elizabeth II. einspannen. Die Queen soll zu dem am 17. Oktober stattfindenden EU-Gipfel nach Brüssel reisen und dort die Verlängerungsbitte einreichen. Das klingt ziemlich abenteuerlich, aber die Zeiten sind ernst.