Berlin. Die beste Freundin ist nicht geimpft – und trotzdem keine Querdenkerin? Hinter Vorbehalten steckt oft etwas ganz anderes als Ignoranz.

Vielleicht ist es die Cousine, die sich plötzlich nur noch zum Spazierengehen treffen will und erst auf Nachfrage erklärt, dass sie ins Café auch gar nicht mehr reinkommen würde. Vielleicht ist es der alte Schulfreund, der plötzlich auf Whatsapp Textkacheln mit zweifelhaftem Inhalt verteilt. Oder der Nachbar, oder die Kollegin, oder, oder, oder.

Wenn in diesen Tagen über Menschen gesprochen wird, die sich nicht impfen lassen wollen, dann sind die Bilder, die auftauchen, die von den Demonstrationen: Radikalisierte Querdenker, die jede Woche ungehindert auf den Straßen rausbrüllen, dass sie unterdrückt würden. Leute, die Corona als Vehikel nutzen, antisemitischen Verschwörungsmythen zu verbreiten. Vermeintlich "Bürgerliche", die lieber Seite an Seite mit Rechtsextremen gehen, als im Supermarkt eine Maske zu tragen.

Um sie soll es hier nicht gehen. Sondern um die anderen: Jene große Minderheit in der Bevölkerung, die zwar keinen Fuß auf diese Demonstrationen setzen würde, aber bislang ebenso wenig in ein Impfzentrum. 25 Prozent der über Fünfjährigen in Deutschland, die geimpft sein könnten, sind es nicht.

Wir gegen die?

Sieht man von seltenen Fällen ab, in denen wegen Vorerkrankungen von einer Impfung abgeraten wird, sind die in Deutschland angebotenen Impfungen gegen Corona sicher und zuverlässig. Sie schützen den Einzelnen vor schweren, potenziell tödlichen Corona-Verläufen und sind für die Gemeinschaft der Weg aus der Pandemie.

Und trotzdem gibt es sehr viele Menschen, die sie nicht wollen. Rational ist das nicht. Und für viele, die selbst geimpft sind, vielleicht Corona überstanden oder sogar nahestehende Menschen an das Virus verloren haben, ist es schwer zu verstehen und auch schwer, damit umzugehen. Die Antwort auf die Frage "Bist du geimpft?" entscheidet nicht nur über individuelles Risiko, sondern auch darüber, welche gesellschaftlichen Folgen die Pandemie hat. Impfen oder nicht impfen, das ist eine Entscheidung, die neben den medizinischen Fakten längst politische und moralische Untertöne hat.

Ungeimpft gegen Geimpft, wir gegen die? Das muss nicht immer stimmen.
Ungeimpft gegen Geimpft, wir gegen die? Das muss nicht immer stimmen. © Peter Kneffel/dpa

Nicht zuletzt die Querdenker-Demonstrationen und die Erzählung von der angeblichen Spaltung der Gesellschaft haben daraus ein Identitätsmerkmal gemacht, eine Standortbestimmung. Geimpft gegen ungeimpft, wir gegen die. Doch so einfach ist es nicht. Und wer sich wundert, dass die Cousine oder der Schulfreund sich plötzlich auf der anderen Seite einer unsichtbaren Linie wiederzufinden scheinen, der sollte diesem Gefühl folgen – und fragen, wie es dazu kommt. Lesen Sie auch: Eva Herman – So wurde sie zur Ikone der Verschwörungsszene

Zuhören und Einfühlen

Häufiger als kategorische Wissenschaftsfeindlichkeit oder Verschwörungsmurks stehen hinter dem Zögern mit der Impfung Verunsicherung, Angst und Zweifel. Und Freunden und Freundinnen, die Angst haben, erzählt man nicht, dass diese Angst völlig unbegründet ist und sie sich nicht so anstellen sollen. Stattdessen versucht man zuzuhören und zu helfen. Expertinnen und Experten raten dazu, in Gesprächen wie diesen Fragen zu stellen, Informationen zu liefern, Raum für Sorgen einzuräumen und dem Gegenüber die Chance zu lassen, das Gesicht zu wahren.

Klingt viel verlangt? Ist es auch. Gespräche wie diese fordern Geduld und Empathie, und das, wo beides sich nach zwei Jahren Pandemie oft nach knappem Gut anfühlt. Aber es kann sich lohnen. Am Ende kann eine stärkere Beziehung stehen – und hoffentlich eine weitere geimpfte Person.

Geimpft oder ungeimpft – Angst, Trauer und Unsicherheit haben in den vergangenen Corona-Jahren fast alle erlebt. Wir sollten versuchen, uns daran zu erinnern, was in diesen Momenten geholfen hat.