Berlin. Die Kriminalität ist in Zeiten von Corona erschreckend anpassungsfähig. Die Krise wird zum Stresstest für Polizei und Justiz werden.

Wenn sie dürften, würden Langfinger Kurzarbeit beantragen. Viele Läden sind geschlossen, kaum jemand auf der Straße, dafür mehr Polizei als sonst. Schlecht sind die Zeiten auch für Einbrecher: alle zu Hause. Verbrecher mögen über alle Berge sein, aber selten über die Grenze – die sind großteils geschlossen.

Die offene Drogenszene ist so offen nicht mehr. Und kein Nachtleben bedeutet: weniger Anlässe für Exzesse oder Gewalteskalationen. Kein Fußball, keine Hooligans. Das Lagebild der Kriminalität in Corona-Zeiten ist mit einem Wort: differenziert. Sie ist nicht gestiegen, aber wandlungsfähig, in gewisser Weise krisenresistent.

Corona-Folgen werden zum Stresstest für Polizei und Justiz

Es gibt einen Erfahrungssatz, der seine Gültigkeit bewahrt hat, buchstäblich wie bildlich: Gelegenheit macht Diebe. Es ist die Stunde der Trickbetrüger, der kleinen und größeren Gaunereien. Sie nutzen die Angst vor Corona aus. Wenn alle online sind, im Homeoffice, sind Cyberkriminelle nicht offline. Tendenziell wird diese Kriminalitätsform zunehmen. Die Bedrohung ist real. Darin sind sich alle Sicherheitsbehörden einig.

Miguel Sanches, Politikkorrespondent.
Miguel Sanches, Politikkorrespondent. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Absehbar ist die Zunahme von häuslicher Gewalt. Das ist eine Nebenwirkung der Abschottungspolitik. Jedenfalls hat sich das in China gezeigt, und die Erfahrung ist vermutlich übertragbar. Da stößt die Polizei zum Teil an Grenzen. Anders gesagt: Da wäre Sozialarbeit gefordert, Zuwendung, obgleich uns „social distancing“ – Abstand halten – als zeitgemäße Form der angewandten Menschenliebe nahegelegt wird.

Je länger die Ausgangssperren oder Ausgangsbeschränkungen anhalten, desto eher ist auch mit Ausbrüchen aus der häuslichen Quarantäne zu rechnen, zumal wenn das Wetter wieder zu Ausflügen einlädt. Wenn die apokalyptischen Szenarien einiger Wirtschaftsinstitute wahr werden, dann drohen Arbeitslosigkeit und Unruhen beziehungsweise Gewalt gegen sich selbst, Suizide und Depressionen.

Ein Kranker hält Quarantäne aus, weil sie begrenzt ist und Heilung verheißt; er wird im Idealfall stärker daraus hervorgehen, immun. Für alle anderen ist es schwieriger, sie durch- und auszuhalten. Damit drohen Konflikte, deren Bewältigung gewiss nicht auf der Polizeischule gelehrt wurde. Corona ist auch für Polizei und Justiz ein Stresstest.

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    Die Politik war gewarnt – und hat dennoch zu spät gehandelt

    Wo Not herrscht, treten Glücksritter, Goldgräber, Betrüger auf den Plan. Die widerlichste Erscheinung der Corona-Krise ist ein alter Bekannter: der Kriegsgewinnler. Der Markt kennt keine Moral. Nur Angebot und Nachfrage. Beim Benzin sinkt der Preis, beim Mundschutz explodiert er. Gestern drei Cent für einen Mundschutz, heute 70.

    Man kann froh sein, bestimmte Waren zu Wucherpreisen zu bekommen, weil es nämlich noch eine Steigerung davon gibt: Lieferungen, die mangelhaft oder betrügerisch sind. Der Markt mit gefälschten Gesundheits- und Sanitätsprodukten oder Medikamenten floriert. Das wird den Rechtsstaat lange beschäftigen.

    Es gab 2007 eine Großübung – Lükex – des Pandemiefalls, und Ende 2012 legte die Bundesregierung eine Risikoanalyse vor, in der mithilfe des Robert-Koch-Instituts das Szenario eines außergewöhnlichen Seuchengeschehens beschrieben wurde, übrigens „eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus“. Wir waren gewarnt, wir hätten Vorsorge treffen und Vorräte anlegen müssen.

    Lassen wir uns nicht einreden, die Politik hätte schnell reagiert. Sie hat ihre eigenen Schreckensszenarien nicht ernst genommen und auch dann nicht entschlossen genug gehandelt, als Corona schon in China wütete. Wieder einmal zeigt sich: Polizei und Justiz sind der Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Wir werden Corona in den Griff bekommen, auch alle kriminellen Begleiterscheinungen. Aber wir müssen daraus lernen.

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