Berlin. Bis 1. Januar werden die Corona-Maßnahmen verlängert. Im Bundestag wirbt Kanzlerin Merkel um Geduld – und macht ein wenig Hoffnung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Verlängerung des Teil-Lockdowns bis Anfang Januar als alternativlos verteidigt. Angesichts des hohen Infektionsgeschehens müssten die Beschränkungen weiter gelten. Lockerungen „wären nicht verantwortbar“, sagte Merkel am Donnerstagmorgen in einer Regierungserklärung im Bundestag, in der sie die Beschlüsse von Bund und Ländern vom Vorabend erläuterte.

Erneut rief sie alle Bürger auf, jeden nicht notwendigen Kontakt zu vermeiden. Jeder könne im Kampf gegen Corona mithelfen: „Wir sind nicht machtlos.“ Es stünden schwierige Wintermonate bevor. Sie wünsche sich „und uns allen“, dass die Menschen mehr denn je miteinander und füreinander einstehen würden. Wenn dies beherzigt werde und möglicherweise vor Weihnachten die ersten Impfstoffe ausgeliefert würden, könne die Krise absehbar überwunden werden, sagte Merkel. „Wir haben ein starkes Gesundheitssystem, dass der Pandemie bisher standgehalten hat. Und wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt.“

Die vor vier Wochen verhängten scharfen Kontakteinschränkungen zeigten erste Erfolge. Die Kontakte seien um etwa 40 Prozent zurückgegangen, der dramatische exponentielle Anstieg bei den Infektionszahlen sei gestoppt worden. Dies sei ein erster, aber noch kein nachhaltiger Erfolg. Nötig sei eine Trendwende nach unten bei den Infektionszahlen, derzeit sehe man aber nur eine Seitwärtsbewegung. Ziel von Bund und Ländern bleibe es, die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen auf unter 50 zu drücken.

Merkel: Vor vier Wochen war es „fünf vor Zwölf“ in Deutschland

Merkel bekräftigte, dass es kein milderes Mittel als die Schließung ganzer Branchen und Kontaktverbote im Kampf gegen die Pandemie gebe. Die Maßnahmen seien geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Vor einem Monat sei es „fünf vor Zwölf“ in Deutschland gewesen. Es wäre nicht auszudenken, „wo wir heute ohne diese nationale Kraftanstrengung stehen würden.“ Die Corona-Pandemie „ist und bleibt die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Mit Blick auf teils heftige Kritik und Unruhe in der Bevölkerung wegen der Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten erklärte die Kanzlerin, echte, harte Lockdowns habe man in europäischen Nachbarländern sehen können. Die Deutschen könnten sich glücklich schätzen, dass es im eigenen Land bislang nicht so schlimm gekommen sei.

Merkel: Masken bieten nicht 100-Prozent-Sicherheit

Große Menschenmengen in Einkaufszentren müssten unbedingt vermieden werden. Merkel warnte davor, sich mit dem Tragen eines Mund-Nase-Schutzes in Sicherheit zu wähnen. Dies sei trügerisch. Masken senkten zwar das Infektionsrisiko, aber nur höherwertige FFP2- und FFP3-Masken böten wirklich Sicherheit vor Ansteckungen.

Merkel zeigte Verständnis für Existenzängste von Kulturschaffenden, Gastronomen und Hotelbetreibern . Viele könnten ihren Beruf kaum oder gar nicht ausüben. Deshalb nehme der Bund viele Milliarden in die Hand, „um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern“.

Eindringlich appellierte Merkel an die Bürger, die geplanten Lockerungen an Weihnachten und zu Silvester nur maßvoll zu nutzen.

Auf private Reisen sollte so weit es geht verzichtet werden. Die Kanzlerin kündigte an, dass sie in Europa dafür eintreten werde, alle Skigebiete vorübergehend zu schließen, um ein mögliches Aufflammen der Pandemie zu verhindern. Es sehe aber „leider nicht so aus“, als ob dies gelingen werde. Österreich hat bereits angekündigt, seine Skigebiete offenzuhalten. Merkel sagte, sie werde aber noch einmal einen Anlauf unternehmen. Deutschland hat bis Jahresende den EU-Ratsvorsitz inne.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag bei ihrer Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie im Bundestag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag bei ihrer Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie im Bundestag in Berlin. © dpa | Kay Nietfeld

„Sie sind nur noch bösartig“ – SPD-Fraktionschef Mützenich kanzelt AfD ab

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf Merkel und der Bundesregierung vor, mit dem in der Vorwoche beschlossenen dritten Infektionsschutzgesetz sich einen Blankoscheck in der Pandemie ausgestellt zu haben. Dagegen hätten Menschen vor dem Reichstag demonstriert und seien „mit Wasserwerfern und Gewalt“ von der Polizei aufgerieben worden. Dies sei ein Tiefpunkt der demokratischen Verfasstheit des Staates gewesen. Lesen Sie dazu: Warum sich die AfD als Anti-Anti-Corona-Partei versucht

Die Berliner Polizei hatte Kundgebungen, auf denen Mitglieder der „Querdenker“-Bewegung aus Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen, rund um den Reichstag aufgelöst, weil massenhaft keine Masken getragen wurden und Teilnehmer keinen Abstand hielten.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte den Auftritt von Weidel scharf. Tiefpunkt in der parlamentarischen Geschichte des Bundestages sei nicht die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes gewesen, wie die AfD es behaupte, sondern der aktuelle Auftritt von Weidel: „Sie haben erlaubt, dass es einen Angriff auf ein Verfassungsorgan gegeben hat.

Sie sind nur noch provokativ und bösartig“, sagte Mützenich mit Blick auf AfD-Abgeordnete, die vergangene Woche mehrere Aktivisten aus der rechtspopulistischen Anti-Corona-Szene als Gäste in das Reichstagsgebäude gelassen hatten. Diese filmten im Gebäude und pöbelten gegen Abgeordnete anderer Fraktionen und belästigten Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Kommentar: Die Feinde der Demokratie sitzen im Parlament

Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, bei der Debatte nach der Abgabe der Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie.
Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, bei der Debatte nach der Abgabe der Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie. © dpa | Michael Kappeler

Merkel sagte, die parlamentarische Demokratie sei leistungsfähig. „Sie kann Entscheidungen sehr schnell treffen und ist für die Bürgerinnen und Bürger ein Anker des Vertrauens.“ Mitte Dezember wollen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten erneut beraten und prüfen, wie die verlängerten Corona-Maßnahmen wirken.