Berlin. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach über Verschärfungen von Corona-Regeln, sein Verhältnis zur FDP und warum er noch Single ist.

Während die Verhandlungsführer von SPD, Grünen und FDP die Chancen einer Ampelkoalition ausloten, sitzt Karl Lauterbach vor einem Café im Prenzlauer Berg und bewertet die Lage.

Lauterbach freut sich über den sonnigen Herbsttag, warm genug für ein Interview im Freien. „In ein Café, in das auch Ungeimpfte dürfen, setze ich mich nicht gern“, sagt der Epidemiologe, der bei der Bundestagswahl für die SPD ein Direktmandat holte.

Überlegen Sie schon, wie Sie Ihr Büro einrichten im Gesundheitsministerium, Herr Lauterbach?

Karl Lauterbach: (lacht) Ich spekuliere nicht über Ministerposten – weder öffentlich noch im Privaten. Ich versuche einfach, meine Arbeit zu machen.

Aber Sie sagen nicht Nein, wenn Olaf Scholz fragt, ob Sie Gesundheitsminister werden wollen.

Lauterbach: Falls jemand gesucht wird, der in dem Bereich eine gewisse Erfahrung mitbringt, dann würde ich darüber nachdenken.

„Wir können die Schutzmaßnahmen nicht maßgeblich beenden“: Karl Lauterbach in Berlin-Prenzlauer Berg.
„Wir können die Schutzmaßnahmen nicht maßgeblich beenden“: Karl Lauterbach in Berlin-Prenzlauer Berg. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Koalitionen hängen an Personen. Wie gut ist Ihr Verhältnis zur FDP?

Lauterbach: Ich komme gut zurecht mit Christian Lindner, den ich lange kenne. Wir haben es immer so gehalten: Wenn uns etwas stört – Missverständnisse in der Presse oder ungerechtfertigte Kritik –, dann tauschen wir uns direkt aus. Das schafft eine gute Basis.

Ich schätze auch Johannes Vogel und Herrn Kubicki sehr. Und bei der Verhandlung des Digitalpakts habe ich gute Erfahrungen mit Herrn Buschmann gemacht.

Die FDP hat den Verzicht auf Steuererhöhungen zur Koalitionsbedingung erhoben. Lässt sich die SPD darauf ein?

Lauterbach: Ich glaube, auch die FDP sieht klar, dass wir enormen Investitionsbedarf haben. Da dürfen die notwendigen Mittel nicht fehlen. Den Kompromiss wird man in den Verhandlungen finden, nicht vorher. Lesen Sie auch: Vier Punkte, an denen eine Ampelkoalition noch scheitern könnte

Auch in der Gesundheitspolitik wird es schwer mit den Liberalen. Oder geben Sie Ihre Pläne auf, die private Krankenversicherung abzuschaffen und eine Bürgerversicherung einzuführen?

Lauterbach: Ich verfolge das Konzept der Bürgerversicherung schon fast 20 Jahre. Die FDP kann nicht übersehen, dass wir in Deutschland eine ausgeprägte Zwei-Klassen-Medizin haben, die oft auch zulasten junger Leistungsträger geht.

Viele Selbstständige haben im Alter ein enormes Problem, ihre Prämien zu bezahlen. Ob wir bei der Krankenversicherung zu Lösungen kommen, wird man sehen.

Was würden Sie anders machen als Jens Spahn?

Lauterbach: Ich habe den Gesundheitsminister in der Pandemie bewusst nicht kritisiert. Wir haben auch gut zusammengearbeitet. Natürlich würde ich als Sozialdemokrat andere Schwerpunkte setzen. Wir haben drei Riesenprobleme, die unbedingt gelöst werden müssen.

Erstens stehen wir vor einem katastrophalen Mangel in der Pflege. Viele Kliniken können bestimmte Eingriffe nur noch eingeschränkt durchführen, weil Pflegekräfte fehlen. Wenn wir vermeiden wollen, dass Krankenhäuser schließen, müssen wir die Pflegekräfte besser bezahlen. Ein zweites Problem ist mindestens so gefährlich …

… das wäre?

Lauterbach: Uns fehlen Ärztinnen und Ärzte. Wir brauchen 5000 Medizin-Studierende zusätzlich, wenn wir nicht auf Ärzte aus dem Ausland angewiesen sein wollen.

Und es gibt eine dritte Herausforderung, die in der vergangenen Legislaturperiode nicht richtig angegangen worden ist: Wir müssen die Medizin – ambulant wie stationär – entbürokratisieren. Wir haben im Gesundheitssystem eine Bürokratie des Misstrauens. Das führt dazu, dass selbst gut gemeinte Gesetze nicht funktionieren. Wir müssen mit mehr Vertrauen arbeiten.

Wie groß ist Ihr Vertrauen, dass die Corona-Pandemie bald zu Ende geht?

Lauterbach: Die Pandemie wird – falls es keine gefährlichere Variante gibt – im späten Frühjahr 2022 vorbei sein. Wir werden aber einen schweren Winter haben, wenn wir nicht die nötige Impfquote erreichen.

Bei den Erwachsenen müssen ungefähr 85 Prozent geimpft sein, um das Ganze zu einem Stopp zu bringen. Dazu fehlen zwischen fünf und zehn Prozentpunkte – mehr ist es nicht. Aber ohne diesen Teil der Bevölkerung läuft die Pandemie immer weiter. Ohne einen Schub bei den Impfungen werden wir über Monate hinweg immer wieder Fälle – auch schwere Fälle – sehen. Deswegen können wir die Schutzmaßnahmen nicht maßgeblich beenden. Mehr zum Thema: Das kommt auf Ungeimpfte im Herbst zu

Sondern?

Lauterbach: Das ist jetzt sehr unbeliebt, was ich sage: Aus meiner Sicht geht es zum Teil sogar um Verschärfungen. Wir sollten die 2G-Regel intensiver nutzen, also nur Geimpften und Genesenen den Zugang zu Restaurants, Kinos oder Veranstaltungen ermöglichen.

2G ist der Königsweg, um zwei Dinge gleichzeitig zu schaffen. Zum einen schützen wir die Ungeimpften, was in den nächsten Wochen wichtiger wird. Zum anderen schaffen wir einen Anreiz, sich doch noch impfen zu lassen.

Wie weit trauen Sie sich selbst ins normale Leben zurück?

Lauterbach: Ich bin früher sehr gerne ins Kino gegangen. Das will ich jetzt wieder machen, wenn es die Zeit zulässt – aber nur unter 2G-Bedingungen. Ich bin auch ein typischer Kaffeehaus-Besucher, aber ich fühle mich dort nur wohl, wenn 2G praktiziert wird.

In ein Café, in das auch Ungeimpfte dürfen, setze ich mich nicht gern. Allein deswegen, weil ich nicht unbewusst andere Menschen infizieren möchte.

Wie wollen Sie den notwendigen Schub beim Impfen hinbekommen?

Lauterbach: Wir müssen innovativer sein. Viele Impfskeptiker sorgen sich, dass die Impfstoffe in ein paar Jahren schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Aber das kann leicht ausgeräumt werden: Es gibt keine späten Impfwirkungen bei bekannten Impfungen. Das ist einfach so.

Was fünf Monate nach der Impfung nicht aufgetreten ist, tritt auch später nicht auf. Viruserkrankungen wie Corona erhöhen dagegen das Risiko, in späteren Jahren an Demenz oder Parkinson zu erkranken. Das müssen wir noch viel deutlicher sagen. Langfristschäden der Impfung wird es nicht geben, Langfristschäden von Covid wohl. Lesen Sie auch: Was man über die Corona-Langzeitfolgen weiß

Sie glauben, gutes Zureden genügt?

Lauterbach: Wir sollten Ärzten, die wirklich Spezialisten sind, die beste Sendezeit bei den Öffentlich-Rechtlichen geben. Direkt vor den Abendnachrichten, die von Millionen Menschen gesehen werden. Und wenn Prominente aus dem Sport wie Jürgen Klopp dazukommen und gemeinsam mit einem Arzt für die Corona-Impfung werben, dann hat das eine starke Wirkung. Ich wäre gerne bereit, das zu organisieren.

Der Impfschutz lässt allmählich nach. Wann kommt die Booster-Impfung für alle?

Lauterbach: Eine wichtige Studie aus Katar hat erneut gezeigt, dass der Schutz vor der eigentlichen Infektion sechs Monate nach der Impfung nur noch 22 Prozent beträgt. Der Impfschutz vor der Ansteckung ist damit zum größten Teil weg. Aber vor schwerer Krankheit hält er noch an. Lesen Sie hier: Booster-Impfung: Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Medizinisch ideal ist die dritte Impfung für Ältere sechs bis acht Monate nach der zweiten. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission ist daher absolut richtig. Die ethische Dimension ist aber eine andere. Der Impfstoff, den wir für Booster-Impfungen einsetzen, fehlt in den Entwicklungsländern.

Brauchen wir eine neue Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin, um eine Linie für das Winterhalbjahr zu beschließen?

Lauterbach: Es wäre sinnvoll, dass sich die Ministerpräsidenten zeitnah mit der Kanzlerin noch einmal treffen. In der Pandemie stehen sehr viele Entscheidungen an – von den Corona-Regeln bis zu den Booster-Impfungen. Wir dürfen in der Zeit, in der Koalitionsverhandlungen laufen, nicht den Überblick verlieren.

Herr Lauterbach, Sie haben im Frühjahr bemerkenswert offen über Ihr Privatleben gesprochen. „Zum kompletten Glück fehlt mir eine liebevolle Frau“, haben Sie gesagt. Gibt es neue Entwicklungen?

Lauterbach: Ich gehe in Arbeit unter, das ist die traurige Wahrheit. Mehr ist dazu nicht zu sagen.