Berlin. Die Gesundheitsämter sollen bis Ende Februar eine moderne Software einführen, um sich zu vernetzen. Viele sehen dabei aber Probleme.

Eine neue Software soll die Nachverfolgung von Corona-Infizierten erleichtern

Bislang ist die Zusammenarbeit zwischen den Ämtern erschwert, weil sie auf eigene Programme setzen

Eine Umfrage unserer Redaktion zeigt, dass viele Gesundheitsämter im Umstieg ein Problem sehen

Detlef Wagner (CDU) fühlt sich in den vergangenen Wochen immer wieder an den Kampf der Systeme erinnert, den große Elektronik-Konzerne in den frühen Achtziger Jahren führten: Im sogenannten “Formatkrieg” oder “Video-Krieg” setzte sich die VHS-Kassette gegen die Videosysteme “Video 2000” und “Betamax” durch.

Ähnlich, sagt der Stadtrat aus Berlin, sei die Lage derzeit in Gesundheitsämtern, die auf Geheiß von Bund und Ländern eine neue Software zur Pandemiebekämpfung einführen sollen. “Auch hier gewinnt nun ein System, das aber nicht unbedingt das bessere ist”, meint Wagner, der für das Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf verantwortlich ist. “Wir haben Sormas schon seit Juni installiert. Weil uns aber viele Funktionen bisher fehlten, nutzen wir in der Praxis andere Programme”, sagt er.

Corona: Nachverfolgung endet oft an Landkreisgrenze

Gesundheitsämter deutschlandweit stehen vor enormen Herausforderungen. Denn ein Plan von Bund und Ländern sieht vor, dass die rund 380 Ämter bis Ende Februar das Programm Sormas einführen. Das soll die Nachverfolgung von Corona-Infizierten deutlich erleichtern, weil bislang viele Behörden noch eigene und damit unterschiedliche Software einsetzen.

Nur gut ein Drittel setzt bisher auf Sormas. Die Zusammenarbeit unter den Ämtern ist damit erschwert oder quasi unmöglich. Die Nachverfolgung von Corona-Ausbrüchen endet an der Landkreisgrenze. Im Digitalen ist Deutschland damit auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Nun ruhen die Hoffnungen der Bundesregierung auf Sormas – damit Deutschland endlich herauskommt aus dem Software-Chaos.

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Viele Ämter nutzen schon andere Software

Eine Umfrage unserer Redaktion zeigt allerdings, dass die Bereitschaft auf die Software umzusteigen bei vielen Gesundheitsämtern sehr viel kleiner ist, als sich die Bundesregierung das wünschen dürfte. Rund hundert Gesundheitsämter haben auf die Frage geantwortet, ob sie das Programm bis Ende Februar einsetzen wollen und ob dieser Zeitplan realistisch ist. Und schon jetzt zeigt sich: Ein halbes Dutzend der Behörden schließt den Einsatz praktisch aus und will bei eigenen Softwarelösungen bleiben.

Soldaten unterstützen das Gesundheitsamt in Herne bei der Kontaktpersonennachverfolgung.
Soldaten unterstützen das Gesundheitsamt in Herne bei der Kontaktpersonennachverfolgung. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Mehr als ein Drittel der Behörden, die unserer Redaktion geantwortet haben, bezweifelt, dass das System pünktlich im Februar an den Start gehen kann. Die Gründe: Der “Systemwechsel zur Zeit des Höhepunkt der Pandemie mit einem so kurzen zeitlichen Vorlauf” wird “als nicht sachgerecht” erachtet, urteilt unter anderem die Koordinierungsstelle ÖGD in Schleswig-Holstein, die für 15 Ämter zuständig ist. Aus dem Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt heißt es, dass noch Sofware-Schnittstellen zwischen Sormas und den eigenen Programmen fehlen.

Die Stadt Dresden verweist darauf, dass sie wie der ganze Freistaat schon vor Jahren eine einheitliche Software eingeführt habe. Dresden will Somas erst im Sommer erproben, “wenn überhaupt”. Das Gesundheitsamt in Delmenhorst lobt die eigene Software Mikado und schreibt, eine Umstellung auf Sormas würde “einen erheblichen Mehrarbeitsaufwand bedeuten und letztendlich einen Rückschritt in der Digitalisierung darstellen”.

Andere Behörden wie jene des Landkreises Rastatt führen Datenschutzbedenken an. Zum ganzen Bild gehört jedoch auch: Viele Ämter warten auf die für Anfang Februar angekündigte neue Version SormasX und hoffen, dass die besser ist.

Bundesregierung verspricht mehr Personal

Skeptisch gegenüber Sormas gibt sich Tom W., der in einem Gesundheitsamt in Nordrhein-Westfalen arbeitet und anonym bleiben will, um keine Probleme mit seinem Arbeitgeber zu bekommen. “Die Software ist zum Teil an unseren Bedürfnissen vorbeientwickelt worden”, sagt W. Im Vergleich zu anderen Programmen dauere es viel länger einen neuen Corona-Fall anzulegen.

In seinem Gesundheitsamt teilten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gruppen auf, die zum Beispiel nur Fälle in Kitas oder in Kliniken bearbeiten. Da gebe es bei anderen Programmen bessere Lösungen – in Sormas sei das nur mit Aufwand zu bewerkstelligen. Ein weiteres Manko laut W., dass von Woche zu Woche wichtiger wird: Ist jemand geimpft, kann das nicht vermerkt werden. Immerhin: Laut Entwicklern wird daran gearbeitet. Doch kritisiert W., dass die Funktion jetzt nötig sei und andere Software sie schon biete.

Und es gibt weitere Baustellen. Um die Umstellung auf Sormas zu erleichtern, hat die Bundesregierung mehr Personal versprochen. Prinzipiell sei das ja schön, sagt der Berliner Stadtrat Detlef Wagner aus Charlottenburg-Wilmersdorf: “Es stellt sich mir aber die Frage, wo diese Leute mit Sachverstand so schnell herkommen sollen. Und wo wir sie unterbringen.” Weil alle Plätze in seinem Amt belegt sind, arbeiten Mitarbeitende bereits in einem Schulcontainer auf dem Parkplatz.

"Wir sollten aber die riesigen Probleme nicht wegreden"

Der Flickenteppich an Softwarelösungen in deutschen Gesundheitsämtern hat vor allem zwei Gründe: Einerseits bestimmen die Kommunen im föderalen System selbst, welche Programme sie einsetzen. Andererseits rangen sich Bund und Länder erst im November dazu durch, mit Sormas eine Software für den flächendeckenden Einsatz zu empfehlen. Und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem viele Ämter bereits eigene Programme installiert hatten, die in der Praxis oftmals gut funktionieren.

Tom W. hält es zwar grundsätzlich für eine richtige und wichtige Idee, die Ämter nun mit SormasX (Exchange) zu vernetzen. “Wir sollten aber die riesigen Probleme nicht wegreden. Vor allem in Gesundheitsämtern in Großstädten, die Datensätze von mehreren Zehntausenden oder Hunderttausenden Fällen haben, könnte eine aufwendige Umstellung die Arbeit verlangsamen oder zeitweise lahmlegen.” Dafür brauche es viel Personal – und eben Leute, die sich auskennen. Ansonsten drohe der Kollaps des Systems.