Berlin. Die Bundesländer wollen im Wintersemester zur Präsenz zurückkehren. Doch nicht nur bei der Kontrolle der 3G-Regelungen gibt es Fragen.

Vorlesungen vor dem Laptop, Kontakt mit Kommilitonen und Kommilitoninnen hauptsächlich über soziale Netzwerke und selbst Prüfungen per Mail – so sah das Studium von Alexander Rusko bisher aus. Der 19-Jährige studiert seit Herbst 2020 Betriebswirtschaftslehre in München. Eine Vorlesung im Hörsaal hat er noch nie erlebt und auch aus seinem Studiengang kennt er nur einige Wenige. „Vor allem in den ersten Semestern ist es wichtig Leute kennenzulernen,“ sagt der Student.

In den vergangenen Semestern hat er sich auch von der Politik vernachlässigt gefühlt: „Es stand nicht mal zur Diskussion, dass Studierende wieder in die Unis kommen können.“ Doch das soll sich jetzt ändern. Im Oktober starten die meisten deutschen Universitäten und Hochschulen in das neue Semester – das vierte Semester seit Beginn der Coronavirus-Pandemie und das erste, in dem die Lehre zumindest in Teilen wieder in Präsenz stattfinden soll. Aber es sind noch einige Fragen offen.

Präsenzbetrieb in allen Bundesländern geplant

Die Universitäten in allen Bundesländern wollen im kommenden Wintersemester wieder zum hauptsächlichen oder zumindest teilweisen Präsenzbetrieb zurückkehren. Das bestätigten die Bildungs- und Wissenschaftsministerien aller 16 Bundesländer auf Nachfrage dieser Redaktion. Einige Bundesländer, wie beispielsweise Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen streben dabei eine standardmäßige Präsenzlehre an, andere Länder wollen zumindest soweit wie möglich wieder Veranstaltungen vor Ort anbieten. Grundlage für die Präsenz soll flächendeckend die 3G-Regelung sein.

Die drei vergangenen digitalen Semester waren für viele Studierende eine große Belastung. Es fehlte an sozialen Kontakten auf dem Campus und am Austausch mit anderen Studierenden. „Ich glaube, die Studierenden sehnen sich danach, wieder interaktiv lernen zu können, den Austausch mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zu haben und damit zumindest ansatzweise wieder ein normales studentischen Leben führen zu können“, erklärt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde.

Seminare in Präsenz, Vorlesungen online

Auch die Studierenden sind froh über die Aussicht, ab Oktober zumindest ab und zu wieder im Hörsaal sitzen zu können. „Wir begrüßen die Rückkehr zur Präsenz,“ sagt Lone Grotheer, Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschluss von Student*innenschaften (FZS). „Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Corona-Semester für niemanden leicht waren.“ Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, geht davon aus, dass vor allem kleinere Veranstaltungen und Seminare in Präsenz stattfinden werden, große Vorlesung weiterhin online.

Doch in der praktischen Umsetzung der Präsenzlehre ist vieles noch unklar. Fest steht in vielen Fällen nur, dass Präsenz-Vorlesungen stattfinden sollen und dass in den Universitäts-Räumen die 3G-Regelung gelten soll. An den Veranstaltungen teilnehmen darf demnach nur wer geimpft, genesen oder getestet ist. Wie genau allerdings die Kontrolle der 3G-Regelung in den teilweise sehr großen Universitäten umgesetzt werden soll, ist ungeklärt.

Das sei das „schwierigste und momentan auch drängendste Thema“, sagt Peter-André Alt. „Die Hochschulen haben zu Recht gesagt, sie könnten bei einer Größe von manchmal bis zu 30.000 oder 40.000 Studierenden nicht für jede Veranstaltung die Einhaltung der 3G-Regelung kontrollieren.“ Er sehe dabei nur die Möglichkeit „mit Stichproben zu arbeiten“.

Lage bei Kontrolle der 3G-Regelung unübersichtlich

Dafür gebe es in den Hochschulen unterschiedliche Konzepte, erläutert Alt: Manche Universitäten würden auf zusätzliche Verwaltungskräfte setzen, die an den Eingängen kontrollieren, andere würden die Lehrkräfte mit einbeziehen. Zusätzlich dazu gibt es Überlegungen, Nachweise über die Studierendenkarten möglich zu machen. Dem FZS ist das zu wenig, sie fordern zum Schutz der Studierenden eine strengere Einschränkung der Präsenz: „Wir würden uns sogar eine 2G-Regelung mit der Möglichkeit zur Testung für Ausnahmefälle, die sich tatsächlich nicht impfen lassen können, wünschen“, sagt Lone Grotheer.

Genau wie die Schulen müssen die Universitäten außerdem die Frage beantworten, was passiert, wenn unter den Studierenden Corona-Fälle auftreten sollten. Es braucht Pläne, wie in solchen Situationen reagiert und der Betrieb aufrechterhalten werden kann.

Impfquote unter Studierenden höher als in Gesamtbevölkerung

Doch es gibt auch positive Nachrichten: Es kann davon ausgegangen werden, dass die Impfquote unter den Studierenden deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung. „An vielen Hochschulorten wurden anonymisierte Umfragen mit hoher Rücklaufquote und entsprechend guter Aussagekraft durchgeführt. Demnach können wir durchweg von einer Impfquote von über 80 Prozent ausgehen, an manchen Standorten über 90 Prozent,“ so Peter-André Alt.

Ähnliche Aussagen gibt es auch von Seiten des Studentenwerks. „Das sind natürlich gute Zeichen“, sagt Generalsekretär Meyer auf der Heyden. „Ich glaube, das Bewusstsein unter den jungen Leuten ist hoch, sie haben sehr unter den Einschränkungen gelitten und eigentlich nur darauf gewartet, sich schnell impfen zu lassen, um dann auch wieder am Leben teilhaben zu können.“

Studierendenverband fordert hybride Angebote

Trotzdem sind längst nicht alle Studierenden geimpft oder genesen. Ab Oktober werden jedoch nach Bund-Länder-Beschluss die Corona-Tests für Ungeimpfte kostenpflichtig. Nur Studierende, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, dürfen sich dann weiterhin kostenlos testen – und selbst dann könnte der, durch die Präsenz entstehende, Kontakt gefährlich werden. „Man darf nicht vergessen, dass es auch unter Studierenden Menschen gibt, die zum Beispiel zu Hochrisikogruppen gehören und für die deswegen diese Rückkehr deutlich problematischer ist,“ mahnt Lone Grotheer vom FZS.

Der Studierendenverband fordere aus diesem Grund hybride Angebote, „damit es die Möglichkeit gibt, in Fällen, in denen das nötig ist, digital an der Lehre teilzunehmen.“ Einige Bundesländer, wie beispielsweise Hessen oder Sachsen, kündigten bereits an, auch weiterhin solche Angebote machen zu wollen. Die tatsächliche Umsetzung obliegt jedoch den jeweiligen Hochschulen.

Tests für geimpfte Studierende aus dem Ausland kostenpflichtig

Geht es nach Peter-André Alt gibt es keinen Grund für freiwillig nicht geimpfte Studierende kostenlose Tests bereitzustellen: „Wer sich freiwillig nicht impfen lässt, der muss sich testen lassen, auch wenn das kostenpflichtig ist.“ Ein Problem dabei: In die Gruppe der Ungeimpften, die sich jeden Tag kostenpflichtig testen lassen müssten, könnten auch internationale Studierende fallen, die zwar geimpft sind – allerdings nicht mit den in der EU zugelassenen Impfstoffen.

Hier tue sich „noch ein Loch auf“, sagt Achim Meyer auf der Heyde. „Es muss natürlich geklärt werden, wie diese Studierenden abgefedert werden können, wenn sie sich ständig testen lassen und dann die Tests auch selbst bezahlen müssen.“ Zumindest das Bundesland Bayern wolle auch weiterhin für alle Studierenden kostenlose Tests zur Verfügung stellen, kündigte Wissenschaftsminister Bernd Sibler an.

Wohnungsmarkt für Studierende umkämpft

Eine Kostenfrage sind allerdings nicht nur die Tests. Für viele Studierende bedeutet die Rückkehr zur Präsenz auch einen Umzug. „Man darf dabei natürlich vor allem nicht vergessen, dass viele Studierenden über die Corona-Zeit zurück zu ihren Eltern gezogen sind und in der Studienstadt erst einmal wieder eine Wohnung finden müssen,“ sagt Lone Grotheer. Das wäre für viele eine finanzielle Belastung: „Mit einem neuen Erstsemester-Jahrgang und noch zwei, drei weiteren Semestern, die noch gar nicht an der Uni sein mussten, wird der Wohnungsmarkt natürlich sehr hart umkämpft sein.“

Aber zumindest die Job- und Finanzierungsmöglichkeiten für Studierende hätten sich deutlich verbessert, erklärt Meyer auf der Heyde: „Erstens werden die BAföG-Freibeträge nochmal angehoben, so dass mehr Studierende BAföG bekommen könnten. Aber auch die Arbeitsmarktsituation für Studierende hat sich massiv verbessert.“

Auch Alexander Rusko weiß noch nicht, wie oft er in die Uni gehen wird im kommenden Semester. Trotz allem freut er sich, ab Herbst ein bisschen mehr ein typischen Studierendenleben zu haben.