Berlin. Die Corona-Pandemie zersetzt allmählich unser Nervenkostüm. Mit mehr Toleranz und Respekt für den Nächsten wird es für uns alle besser.

Wir schreiben den Monat 16 in einer Pandemie, wie sie die lebenden Generationen in Deutschland noch nie erlebt haben. Mit der Bekämpfung gehen Maßnahmen und Verbote einher, die so drastisch sind, dass der politische Fortschritt eines ganzen Jahrhunderts hinweggefegt scheint.

Strenge Kontrollen und Abweisungen an den Grenzen. Kein Zugang für viele Kinder und Jugendliche zum Unterricht in Schulen. Ausgangsbeschränken und Kontaktverbote für den Großteil der Bürger. Ein Quasi-Verbot der Berufsausübung für Gastronomen, Hoteliers, Veranstalter, Reiseanbieter und viele Künstler.

Gemeinsam durch die Corona-Krise – mit Einsicht und Rücksicht

Man muss das alles so hart auflisten, um die gemeinsame Grundlage für eine ehrliche Debatte zu haben. Eine Debatte, die dringend notwendig ist. Denn alle beschriebenen Eingriffe in die Rechte der Menschen lassen sich nur aushalten, wenn man sich immer wieder deren Notwendigkeit bewusst ist. Und dieses Bewusstsein lässt sich nicht verordnen. Es muss auf Einsicht beruhen und wächst aus einem offenen, fairen Diskurs um den richtigen Weg.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Genau dieser faire Diskurs, die respektvoll geführte Debatte gerät in diesen Wochen erschreckend unter die Räder. Es ist offensichtlich: In Deutschland liegen die Nerven blank. Rücksicht, Nachsicht, Höflichkeit und Toleranz haben mit der anhaltenden Pandemie dramatisch gelitten. Immer häufiger setzt sogar der gesunde Menschenverstand aus.

Wenn sich Kunden im Supermarkt aus heiterem Himmel anschreien, weil jemand in Gedanken die Abstandsregel verletzt hat. Wenn Polizisten im Streifenwagen durch den Park rasen, um einen jugendlichen Kiffer zu stellen und ihn dabei fast überfahren. Wenn die Politik Regeln aufstellt, die niemand mehr versteht. Wenn im Netz verantwortungslose „Querdenker“ die irresten Theorien verbreiten.

Existenzverlust und Homeoffice: Die Krise trifft uns alle unterschiedlich hart

Es fehlt auch an Toleranz, wenn das Land nicht in der Lage ist, eine ziemlich dämliche Aktion von Künstlern abzuhaken als das, was sie ist: ziemlich dämlich. Aber deswegen noch lange nicht rechtsradikal oder demokratiefeindlich. Man muss kein Freund der Aktion #allesdichtmachen sein, um über das Maß der öffentlichen Erregung sehr zu erschrecken. Hintergrund: #allesdichtmachen-Initiator: „Wir leugnen Corona nicht“

Auch in Pandemiezeiten – oder vielleicht besonders darin – ist Respekt für den Nächsten wichtig. Und natürlich Verständnis. Jeder erlebt diese Jahrhundertkrise ganz individuell. Der eine verliert seine Existenz und verzweifelt, der andere hat Glück und wechselt lediglich gut bezahlt ins Homeoffice.

Aber uns allen gemeinsam fehlt das Ventil, um den psychischen Druck im Lockdown abzubauen. All das, was zur seelischen Balance und Gelassenheit im Alltag nötig ist: der erholsame Urlaub, die ausgelassene Party, das Feierabendbier mit Kolleginnen und Kollegen, die Familienfeier mit lieben Verwandten.

Hoffen auf die Impfkampagne reicht nicht aus

Der Mensch ist kein Einzelgänger, er braucht die Herde. Daher ist es kein Wunder, dass ein ganzes Land im Ausnahmezustand wunderlich wird. Aber die Selbsterkenntnis darüber wäre der erste Schritt zur Besserung.

Es sind noch ein paar Wochen, bis die Impfkampagne hoffentlich ihre ganze Wirkung entfaltet. So lang müssen wir alle noch durchhalten. Die Lockdowner und die Lockerer, die Streithähne in der Corona-Politik, das „Team Drosten“ und das „Team Streeck“, alle Klardenker und Querdenker.

Mit etwas mehr Toleranz und Respekt für Mehrheitsentscheidungen aber auch für ihre Kritiker wird diese verbleibende Zeit mit dem Virus uns allen weniger schwerfallen. Und den Neustart nach der Pandemie ganz sicher viel leichter machen.