Berlin. In der Corona-Krise kann Olaf Scholz zeigen, was er kann. Sein Krisenmanagement mischt die Karten für die Kanzlerkandidatur neu.

Olaf Scholz hebt ab. Während fast ganz Deutschland am Boden liegt und die Airlines in der Corona-Krise auf dem Rollfeld bleiben, will der Vizekanzler an diesem Dienstag mit einer Regierungsmaschine nach München fliegen. Scholz trifft sich mit Markus Söder. Krisenmanager unter sich. Auch Kanzlerkandidaten?

Hier der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, der schneller und härter als die Kanzlerin auf die Katastrophe reagiert hat. Da der Sozialdemokrat, der vor vier Monaten nach der verlorenen Stichwahl um den Parteivorsitz erledigt schien und nun ein Comeback feiert.

Fast kein Corona-Tag vergeht, ohne dass Scholz im Fernsehen oder in der Zeitung auftaucht. Neben Angela Merkel, Söder, Gesundheitsminister Jens Spahn und Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der Union ist Scholz neben Arbeitsminister Hubertus Heil der einzige SPD-Politiker, der als Macher in Erscheinung tritt. Das sind Deutschlands Krisenmanager in der Corona-Krise.

Coronavirus: Die neue SPD-Parteispitze spielt Scholz gegen die Wand

Das merken auch seine härtesten Kritiker. Kevin Kühnert verhinderte maßgeblich, dass Scholz Parteivorsitzender wurde. Der Juso-Chef unterstützte die Außenseiter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die den früheren Hamburger Bürgermeister Scholz und dessen Tandempartnerin Klara Geywitz besiegten.

Jetzt hört sich das bei Kühnert so an: Scholz mache seinen Job in der Corona-Krise „einfach verdammt gut“, sagte der junge Parteivize in einem Interview. „Wir alle können froh sein, dass mit Olaf Scholz ein Sozialdemokrat Finanzminister ist, Sicherheit ausstrahlt und nicht aus ideologischen Gründen mit dem Geld knausert.“

Die SPD versammelt sich in der Krise hinter ihrem Vizekanzler. Vor ein paar Wochen wäre das noch undenkbar gewesen. Aber bereits der Sieg der von Scholz geprägten Hamburger SPD bei der Wahl Ende Februar zeigte, dass ein Weg aus der Krise für die Partei womöglich doch in der Mitte und nicht linksaußen liegt.

Scholz nutzt seine Gestaltungsmacht in der Krise voll aus

Inzwischen fragen sich viele in der Partei, ob es klug war, ihren erfahrensten Mann abzuservieren und stattdessen ein Führungsduo zu wählen, das seit mehr als hundert Tagen eher unsichtbar bis überfordert die Geschicke der ältesten deutschen Partei steuert. Während die Digital-Expertin Esken auf Twitter jedem Troll persönlich die Leviten liest und sich in endlosen Debatten verzettelt, nutzt Scholz seine Gestaltungsmacht in der Krise voll aus.

Während die Kanzlerin zunächst eher schwer in die Gänge kam, war er sofort auf dem Platz. Zusammen mit Wirtschaftsminister Altmaier präsentierte Scholz riesige Schutzschirme für bedrohte Unternehmen, Arbeitsplätze und Solo-Selbstständige. „Wir legen alle Waffen auf den Tisch. Das ist die Bazooka“, sprach Scholz. Man traute seinen Ohren kaum.

War das der „Scholzomat“, der dröge Parteisoldat? Scholz schlüpfte plötzlich in die Rolle von Mario Draghi, des früheren obersten Währungshüters in Europa, der auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise den Euro mit dem Versprechen rettete, die EZB werde, koste es, was es wolle, gegen die Krise angehen. „Whatever it takes.“

Finanzen Deutschlands: Die schwarze Null ist Geschichte

Olaf Scholz gibt den Kümmerer, der vom Dax-Konzern bis zum Yogalehrer alle retten will. Das liegt ihm. Schon als Hamburger Bürgermeister ließ er Sozialwohnungen bauen, da waren explodierende Großstadtmieten für andere noch böhmische Dörfer. Jetzt geht er wieder in die Vollen. Scholz fühlt sich bestätigt, dass er die 19 Milliarden Euro an Überschüssen und Rücklagen im Haushalt nicht für Steuersenkungen verfrühstückt hat.

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In der SPD war er noch im vergangenen Jahr von Kritikern ob seiner Knausrigkeit als „Olaf Schäuble“ verspottet worden. Nun kann Deutschland zumindest hoffen, die Krise ökonomisch mit einem blauen Auge durchzustehen (wenn sie nicht zu lange dauert). Teuer wird es in jedem Fall. Für den Nachtragshaushalt nimmt Scholz 156 Milliarden Euro an Schulden auf. Die schwarze Null, ein ausgeglichener Haushalt, ist Geschichte. Das freut viele SPD-Linke.

Und der pragmatische Scholz gibt das Geld gerne aus, wenn es Arbeitsplätze retten kann. Das gelang ihm in der Bankenkrise 2008/09. Als Arbeitsminister sicherte Scholz mit dem Kurzarbeitergeld Hunderttausende Jobs. Kürzlich durfte Scholz den zuständigen Minister Heil im Bundestag vertreten. Der Parteifreund war da vorsorglich in Corona-Quarantäne.

Scholz und Merkel haben bereits zusammen die Bankenkrise bewältigt

Scholz erzählte hinterher, er habe Tränen in den Augen gehabt, weil er noch einmal in seinen Kurzarbeitererfolgen schwelgen durfte. Selbstzweifel plagten Scholz noch nie. Seine jahrelang in der Partei ausgelebte Überheblichkeit war mit ein Grund für seine desaströse Niederlage im SPD-Entscheid. Noch weiß keiner, ob die von Scholz ausgepackte Bazooka reicht, um die deutsche Wirtschaft zu retten.

Schon einmal verschätzte er sich gewaltig, 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg. Scholz versprach eine Stimmung wie beim Hafengeburtstag. Dann brannte beim G20-Gipfel unter den Augen der Welt das Schanzenviertel. Scholz war blamiert. Er habe daraus gelernt, so sein Umfeld.

„Er ist älter geworden, reifer, wägt noch mehr ab.“ Im Kampf gegen die dramatischen Corona-Folgen bleibt ihm dafür keine Zeit. Gut für das Krisenmanagement der Bundesregierung ist, dass Scholz und Merkel harmonieren. Seit der gemeinsam bewältigten Bankenkrise ist ein Vertrauensverhältnis gewachsen. Die Kanzlerin muss sich keine Sorgen machen, wenn ihr Vize in ihrer coronabedingten Abwesenheit das Kabinett physisch leitet. Scholz selbst war ein paar Tage zu Hause in Potsdam gefangen. Seine Corona-Tests waren ebenfalls negativ.

Kanzlerkandidatur: Scholz ist wieder im Rennen

Zu Ausgangssperren hat er eine klare Meinung. Er mahnt wie Merkel zu Geduld. „Es geschieht auch, um Leben zu retten, und deshalb ist es aus meiner Sicht zynisch, wenn einige jetzt beginnen, darüber zu diskutieren, dass gesundheitliche Fragen hintanstehen sollen und dass wirtschaftliche Fragen vorangehen.“

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    Was bedeutet Scholz’ Corona-Comeback für die Kanzlerkandidatur? Er ist auf jeden Fall wieder im Rennen. Aber wie realistisch ist das? Einer, den die eigene Partei nicht als Chef wollte? Esken und Walter-Borjans selbst haben auf eine Kandidatur verzichtet. Die Vorsitzenden besitzen jedoch das Vorschlagsrecht. Heil, neuer Herr über das Kurzarbeitergeld, könnte sich in der Krise das nötige Ansehen für eine Kandidatur aufbauen.

    Notlösungen wären Generalsekretär Lars Klingbeil und Fraktionschef Rolf Mützenich. Franziska Giffey will Berliner Bürgermeisterin werden. Fraglich bleibt, wie stark die Anerkennung für Scholz bei der SPD einzahlt. Bislang fuhr nur die Union in den Umfragen einen satten Corona-Bonus ein. Und schon einmal scheiterte ein krisengestählter Finanzminister als Kanzlerkandidat krachend. Peer Steinbrück wehrte mit Merkel die Finanzkrise ab. Bei der Wahl 2013 ging er unter. Scholz sollte mit dem Abheben vorsichtig sein.