Berlin. Nur wenn alle Opfer bringen, werden wir die Folgen der Pandemie gut bewältigen. Rücksichtslosigkeit à la Adidas ist Fehl am Platz.

Die Pandemie durch das neue Coronavirus ist der größte Belastungstest, den unser Gesundheitssystem seit Gründung der Bundesrepublik bestehen muss. Es ist noch offen, ob es ihn am Ende bestehen wird – oder ob es, wie in Italien und Spanien, in die Knie gehen wird und wir Patienten-Selektion erleben, die üblicherweise nach verlustreichen Kriegsschlachten angewendet werden muss.

Die Pandemie mit ihren Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens wird aber auch ein Belastungstest für die Moral der Gesellschaft. In Zeiten großer Gefahr werden Charaktere, Schwächen und Stärken sichtbar, die sonst unter einer wohlpolierten Oberfläche schlummern. Moralisch reden und moralisch handeln sind zwei Ebenen. Eine Krise, wie wir sie jetzt erleben, kann diese Diskrepanz brutal ans Licht zerren.

In der Pandemie stellt sich sicher jeder die Frage der eigenen wirtschaftlichen Existenz. Wie sieht die Zukunft aus? Behalte ich meinen Job? Kann ich meine Firma retten? Kann sich der Staat seine Pensionen, Gehälter und die soziale Unterstützung auch in Zukunft leisten? Mit jedem Tag des vom Virus erzwungenen Shutdowns werden diese Fragen dringlicher, und daher ist es richtig – ohne in Panik zu verfallen –, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Coronakrise: Adidas handelt rücksichtslos – und nimmt Dominoeffekt in Kauf

Während andere noch nachdenken, hat Adidas Fakten geschaffen. Die Mietzahlungen für die meisten der 460 Shops in Deutschland werden eingestellt – obwohl die Geschäfte erst seit wenigen Tagen geschlossen sind. Während Zehntausende kleine Kioskbetreiber, Gastronomen und Gewerbetreibende erst mal brav weiterzahlen, macht es sich der Dax-Konzern einfach.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Dabei leidet Adidas – anders als andere, die tapfer ihre Mieten bezahlen – keine Not. Zum Jahresende 2019 machte der deutsche Sportartikelhersteller über 23,6 Milliarden Umsatz und verdiente dabei rund zwei Milliarden Euro. Davon ließe sich die Miete für den Monat April sicher bezahlen. Mit der rücksichtslosen Aktion startet jetzt eine wirtschaftliche Infektionskette, die auf Vermieter und Investoren übergreifen kann und von dort auf viele weitere Bereiche unserer Wirtschaft.

Dass ausgerechnet Adidas in den Wettlauf um Mietenkürzungen schneller startet als Usain Bolt im 100-Meter-Lauf, ist eine Schande. Im Netz tobt schon ein Shitstorm der Kunden. Zu Recht. Denn diesem unsportlichen Vorbild werden jetzt viele folgen – mit noch unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft.

Solidarisch oder egoistisch? Die Krise zeigt das wahre Gesicht

Es wäre fatal, wenn jedes Unternehmen seine wirtschaftlichen Probleme vorschnell auf Geschäftspartner abzuwälzen versucht. Und es ist kurzsichtig. Denn es gibt ein Leben nach der Pandemie, und dann kommt der Moment, sich in die Augen zu schauen.

Nach der Krise wird man zurückblicken und beurteilen, wer sich wie verhalten hat. Solidarisch, lethargisch oder egoistisch? Und das gilt sicher nicht nur für Großkonzerne wie Adidas.

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Jeder muss sich fragen: Habe ich selbst genug geleistet? Haben die Jungen ausreichend aufgepasst, dass sich die gefährdeten Älteren nicht infizieren? Standen die Chefs zu Mitarbeitern in Not? Standen die Arbeiter und Angestellten zu ihren Chefs, damit die Firma überlebt und Kunden dringend benötigte Waren erhalten? Und auch: Haben wir Medien Panik geschürt oder unverantwortlich verharmlost?

Bislang haben sich fast alle im Land – von der Kassiererin im Supermarkt bis zum Spitzenpolitiker – vernünftig und rücksichtsvoll verhalten. Und wir werden diese Pandemie auch nur gut überstehen, wenn dies noch lange so bleibt. Wenn wirklich jeder – ganz nach seinen persönlichen Verhältnissen – bereit ist, auch ein Opfer zu bringen. Damit es nach diesem Albtraum für alle ganz schnell wieder bergauf geht.

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