Berlin. Vier Männer, keine Kandidatin in Sicht: Hat die CDU ein Frauenproblem? Tatsächlich werden Frauen überall in der Politik diskriminiert.

Angela Merkel hat sich vor genau einem Jahr zu einem Thema geäußert, um das die mächtigste Frau der Welt nie viel Aufhebens gemacht hat. Ihr Frausein. Sie hat sich selbst nie als glühende Feministin verstanden. Dabei ist sie natürlich allein schon dank ihrer einzigartigen Karriere nach der Wende ein positives „role model“ für viele Mädchen und Frauen gewesen, und ist es noch.

Nun streben vier Männer an die Spitze der CDU. Alle aus Nordrhein-Westfalen. Das Klischee der alten, weißen Männer haut nicht wirklich hin, weil von 39 (Jens Spahn) bis 64 (Friedrich Merz) alles dabei ist. Fakt ist, dass eine Kandidatenfrau in der CDU weit und breit nicht in Sicht ist. Ist das Merkels Schuld, weil sie es versäumt hat, Frauen zu fördern?

Angela Merkel hat Frauen in Top-Positionen gebracht

Das ist Quatsch. Mit Merkels Hilfe sind zuletzt mehrere Frauen ganz nach oben gekommen. Ursula von der Leyen ist EU-Kommissionspräsidentin geworden (die Idee hatte Frankreichs Präsident Macron, aber Merkel war schnell dabei). Im Geleitzug dieser Personalie rückte die Französin als erste Frau an die Spitze der Europäischen Zentralbank.

Um von der Leyen zu bekommen, ließ Merkel ihren langjährigen Vertrauten Jens Weidmann für den Chefposten bei der EZB fallen. Und Annegret Kramp-Karrenbauer wurde CDU-Vorsitzende.

Bei deren Vereidigung als Verteidigungsministerin im Juli vergangenen Jahres saßen AKK, von der Leyen und Merkel stolz wie Bolle und mit einem Grinsen im Gesicht im Schloss Bellevue auf samtbezogenen Stühlen. „Ladies, wir haben’s geschafft“, so hätte man das Bild überschreiben können. Dass AKK nun überfordert und entnervt auf Vorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet, ist keine Geschlechter-, sondern eine Eignungsfrage.

Frauen im Bundestag klagen über Stress, kaum Zeit für Kinder, Chauvi-Sprüche

Politik-Korrespondent Tim Braune.
Politik-Korrespondent Tim Braune. © Reto Klar | Reto Klar

Ist es ein Rückschritt für die Emanzipation, wenn der nächste CDU-Vorsitzende statt Annegret bald Armin, Jens, Friedrich oder Norbert heißt? Nein. Dennoch bleibt die mangelnde Gleichberechtigung und Repräsentanz von Frauen in der Politik ein Riesenproblem. Der Frauenanteil im Bundestag ist auf 30 Prozent gesunken.

Die CDU kommt nur auf 20 Prozent, die FDP auf 22,5 Prozent, bei der AfD sind weniger als 11 Prozent der Abgeordneten weiblich. Spitze sind Grüne (58,2 Prozent), Linkspartei (53,6 Prozent) und SPD (41,8 Prozent). Warum sind so wenig Frauen in den Parlamenten, warum finden die Parteien auf kommunaler Ebene kaum weiblichen Nachwuchs?

Wer mit Frauen im Bundestag spricht, bekommt auf diese Fragen fast immer gleichlautende Antworten zu hören: Marathonsitzungen bis tief in die Nacht, Unvereinbarkeit mit Familie und Kindern, weit verbreiteter Chauvinismus auf den Fluren der Fraktionen und Ministerien. Dazu kommt das Internet als weites Spielfeld für Frauenhasser.

Frauenhass im Netz schreckt Nachwuchspolitikerinnen ab

Gerade erst hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ein Gesetz auf den Weg gebracht, um Frauen im Netz besser zu schützen. Was Politikerinnen auf allen Ebenen an Beleidigungen, Drohungen und Sexismus ertragen müssen, ist unvorstellbar. Das schreckt hoch qualifizierte Frauen ab.

Ohne eine Quote, ohne Parité-Gesetze wie in Brandenburg werden die Männer freiwillig keine Macht hergeben. Sind Frauen erst im Testosteron-dominierten System dabei, merken sie schnell, dass sie sich viel mehr abstrampeln müssen als ihre Kollegen. Ihr Äußeres, ihre Kleidung, ihre Stimme, alles wird härter beurteilt.

Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles, machtpolitisch wahrlich kein Kind von Traurigkeit, erfuhr das in aller Brutalität. Als sie im Karneval auf einer Bühne sinnfreie Lieder trällerte (was für eine Entgleisung!), wurde sie dafür medial in der Luft zerrissen. Hätte an ihrer Stelle ein Politiker bierschwenkend einen Gassenhauer gegrölt, der Saal hätte getobt.

Nahles, eine begeisterte Reiterin, die seit einem schweren Sportunfall in der Jugend hoch zu Ross Körper und Seele heilte, gründete im Bundestag einen Pferde-Club. Die Reaktion: Was für eine gefühlsduselige Instinktlosigkeit einer Polit-Amazone, und das mitten in der SPD-Krise, lautete von Fraktionskollegen geäußerte Kritik.

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Angela Merkels Blazer und Friedrich Merz’ Sakkos

Diese bitteren Erfahrungen niederschwelliger Diskriminierungen macht selbst eine Angela Merkel. „Eine Frauenstimme ist nicht so dunkel und kräftig wie eine Männerstimme. Autorität auszustrahlen ist für eine Frau etwas, das man erst lernen muss“, erzählte sie in dem besagten „Zeit“-Interview Anfang 2019.

Für einen Mann sei es auch überhaupt kein Problem, hundert Tage hintereinander einen dunkelblauen Anzug zu tragen. Aber wenn sie innerhalb von zwei Wochen viermal den gleichen Blazer anziehe, dann schrieben Bürger ans Kanzleramt. Dass die Sakkos von CDU-Aspirant Friedrich Merz oft zu weit geschnitten und ziemlich „old school“ sind, war das schon mal irgendwo zu lesen?