Berlin. Ungarns Kurs gegen Nicht-Heterosexuelle stößt auf heftige Kritik. EU-weit zeigen sich Menschen solidarisch mit der LGBTQI-Community .

Viktor Orban machte einen Rückzieher. Eigentlich wollte der ungarische Premier am Mittwochabend in München das EM-Gruppenspiel Ungarn gegen Deutschland besuchen und der europäischen Öffentlichkeit demonstrieren, dass ihn der Protest gegen seine Homosexuellen-Politik ziemlich kalt lässt.

Doch am Morgen sagte Orban die Reise ab. Denn die Debatte hat eine neue Wendung genommen: Die Stadt München musste zwar zu Orbans Freude die geplante Stadionbeleuchtung in Regenbogenfarben abblasen – dafür löst der Fall jetzt eine politische Welle aus, die für den rechtskonservativen Premier zum Problem wird. Die Kritik an seinem Kurs wächst europaweit, Orban droht eine zunehmende Isolation.

Merkel lehnt Orbans Gesetz ab

Kanzlerin Angela Merkel, bislang eher eine moderate Kritikerin des Regierungschefs, sprach im Bundestag Klartext: Das umstrittene Homosexuellengesetz sei „falsch und mit meiner Vorstellung von Politik nicht vereinbar“, sagte Merkel. Sie lehne das politisch ab.

Gemeint war jener Parlamentsbeschluss von vergangener Woche, mit dem in Ungarn Informationsmöglichkeiten für Jugendliche über Homosexualität und Transsexualität eingeschränkt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzte sich an die Spitze der Kritik und nannte das Gesetz „eine Schande“. „Es diskriminiert Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, es verstößt gegen fundamentale Werte der Europäischen Union – Menschenwürde, Gleichheit und der Respekt für Menschenrechte“, sagte von der Leyen. Die verantwortlichen EU-Kommissare sollen jetzt schriftlich in Budapest protestieren, bevor die Regelungen überhaupt in Kraft getreten sind. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn scheint damit unvermeidlich.

Orban wehrt sich zwar, nennt von der Leyens Kritik „schade“ und „beschämend“. Das besagte Gesetz garantiere nur die Rechte der Eltern, meint er. Aber mit so viel Gegenwind hat Orban kaum gerechnet, als er das Paragrafenwerk vergangene Woche vom Parlament in Budapest mit der breiten Mehrheit seiner Fidesz-Partei beschließen ließ. Demnach sind Bücher, Filme und Literatur, in denen Kindern und Jugendlichen homosexuelle Inhalte zugänglich gemacht werden, künftig verboten. Ebenfalls verboten ist Werbung, die Homo- und Transsexualität darstellt oder propagiert. Aufklärungsprogramme in den Schulen dürfen nur noch von ausgewählten Organisationen durchgeführt werden.

Orban: Homosexuelle als Zielscheibe

Weil im Gesetz klare Definitionen fehlen, droht obendrein Rechtsunsicherheit: Der Fernsehsender RTL Klub warnte, künftig dürften selbst Filme wie „Harry Potter“ oder „Billy Elliot“ nur noch spätabends im TV gezeigt werden. Ursprünglich war es in dem Gesetz nur um Strafverschärfungen für Pädophile gegangen, dann sattelte die Regierung kurzfristig drauf.

Orban folgt damit einem alten Muster: Er vermischt in Gesetzentwürfen kaum umstrittene Pläne mit anderen, politisch brisanten Inhalten. Kritiker werden dann unter Verdacht gestellt, zum Beispiel Pädophile schützen zu wollen. Die meisten Oppositionsparteien hatten die Abstimmung über das Gesetz dennoch boykottiert, während über 10.000 Menschen vor dem Parlament demonstrierten; mehr als 100.000 Ungarn unterschrieben bereits eine Petition gegen das Gesetz.

Orban, der lange Zeit bevorzugt Stimmung gegen Migranten schürte, hat schon vor Jahren begonnen, auch Homosexuelle zur Zielscheibe zu machen. Die Ehe ist bereits länger nur zwischen Mann und Frau anerkannt, voriges Jahr wurde per Verfassungsänderung das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare abgeschafft.

Orban will konservatives Publikum binden

Orban hofft offenbar, mit solchen Eingriffen das konservative Publikum auf dem Land vor den Parlamentswahlen nächstes Jahr fester an sich zu binden. Der Ministerpräsident steht unter Druck: Seine Zustimmungswerte in Umfragen gehen zurück, zur Wahl im Frühjahr 2022 hat sich die Opposition von weit links bis rechts außen zum Bündnis zusammengeschlossen, um den zunehmend autokratisch regierenden Premier zu stoppen. Bislang konnte Orban mit Kritik aus dem Westen gut leben, sie passte in seine Kampagne zur Verteidigung der nationalen Identität Ungarns gegen „zu viel Liberalität“.

Doch nun droht ihm erstmals echter Widerstand aus Europa. Wegen des Homosexuellengesetzes haben bereits 13 EU-Staaten, darunter Deutschland, Konsequenzen gefordert. Die Kürzung europäischer Fördermittel für Ungarn rückt näher. In Brüssel hieß es, beim Gipfel der EU-Regierungschefs an diesem Donnerstag müsse Orban mit geballtem Protest seiner Kollegen rechnen.